Kurnaz bei Beckmann:"Ich wünsch' mir alles Gute"

Der frühere Guantanamo-Gefangene Murat Kurnaz ist noch einmal bei ARD-Talker Reinhold Beckmann aufgetreten. Doch der stellte die falschen Fragen - und interessierte sich mehr für die Drogentrips von Peter Scholl-Latour.

Oliver Das Gupta

Reinhold Beckmann freut sich auf seinen ersten Gast, leider. Der unvermeidliche und ewige Peter Scholl-Latour sitzt mit dem Talker am gewienerten Tisch und darf eine Beckmann'sche Lobeslawine über sich ergehen lassen.

Kurnaz bei Beckmann: Gast bei Beckmann: Murat Kurnaz.

Gast bei Beckmann: Murat Kurnaz.

(Foto: Foto: dpa)

Das klingt dann so: "Journalisten-Legende", "ein wirklich kompetenter Mann in Weltfragen", "im letzten Jahr in Afghanistan, Moskau, Peking, Kiew - innerhalb weniger Monate". Scholl-Latour nimmt sofort Beckmanns Ball auf und setzt munter hinzu: "Ich war in diesem Jahr schon im Sudan, der Antarktis, Texas und Mexiko".

In der Folgezeit stellt Beckmann dem 83-Jährigen packende Fragen ("Gibt es so etwas wie Heimat für Sie?") und so erfährt der Fernsehzuschauer, dass Scholl-Latour sich auf seiner Fahrt ins ewige Eis eine Rippe brach, er seine Ehefrau nicht in den Irak mitnehmen würde. Und, dass die Wehrmachtstruppe Generalfeldmarschall Rommels einen "ritterlichen" Krieg in Nordafrika führte - die geplante Ermordung maghrebinischer Juden sowie die perfiden versteckten Sprengladungen unter Klodeckeln und hinter Bilderrahmen ließ Scholl-Latour freilich unerwähnt.

Moderator als Wasserträger

Irgendwann zückt Beckmann einen Globus, sein greiser Gast soll zeigen, wo er überall schon war und wo nicht. Und so werden Vietcong ("sehr zivilisierte Leute"), pickende Pinguine und "Dingo-Fieber" (er meinte Dengue-Fieber) innerhalb weniger Sätze abgehandelt und Touristen pauschal geschmäht ("weil sie die Welt verderben"). Scholl-Latour darf sogar über eine "nukleare Abschreckung für Deutschland" sinnieren.

Beckmann wirkt wie ein Wasserträger des gewitzten Alten. Und stemmt sich bisweilen dagegen. Auffällig und aufsässig scheint der Medienmensch beweisen zu wollen, wie gut er vorbereitet ist: Fällt ein Stichwort, muss er mit einer Zahl ("Indien, 1,2 Milliarden Menschen") oder wenigstens einem Attribut ("Tanganjikasee, tiefster See Afrikas") Scholl-Latours doch sehr banale Plauderei unterbrechen. Beckmann zerstört gekonnt jede Stelle, die spannend hätte werden können.

Bevor der Dialog der beiden Herren nach gefühlten 40 Minuten endet, nötigt Beckmann seinen Gast noch zur Drogenbeichte. Ja, Opium habe er "genossen", erklärt Scholl-Latour, aber es habe keine große Wirkung gehabt. Aber damals in Kaschmir, als er einen "Klumpen Haschisch" in seinem Tee versenkt habe, folgte ein "Horrortrip": Er fühlte sich "klein, wie eine Maus", drei Tage habe der Rausch gedauert. "Großer Klumpen" wiederholt Beckmann.

Dann darf auch Murat Kurnaz an den Tisch. Der ehemalige Guantanamo-Gefangene aus Bremen war schon im Oktober 2006 bei Beckmann. Diesmal steht das groß angekündigte Zusammentreffen mit einem ehemaligen muslimischen US-Militärgeistlichen an, der Kurnaz auf Kuba betreut hatte.

Murat Kurnaz, wallende, rote Mähne und ebensolcher Bart, wirkt gehetzt, spricht in abgehackten Sätzen. Er redet abermals von den erlittenen Torturen: von Isolationshaft, menschlicher Käfighaltung, Prügel aus nichtigen Gründen, Folter per Klimaanlage.

James J. Yee, der US-Militär a. D., sitzt im Anzug und schwarzem Muslim-Käppi neben ihm und bestätigt Kurnaz' Schilderungen von Folter, die Existenz dieser Zellen. Anders als der Bremer Türke klingt er selbstbewusst, sein "American English" ist flüssig, fast heiter. Der 38-Jährige hatte in Guantanamo die Missstände angesprochen - und war schon bald selbst Ziel falscher Verdächtigungen: wegen angeblicher Spionage.

Yee schildert seinen mehr als 70 Tage dauernden realen Albtraum in knappen Worten: Hochsicherheitsgefängnis, Einzelhaft, Fesseln an Füßen und Händen, Augen und Ohren bedeckt. "Ein Riesenjustizirrtum", sagt Yee.

Angesprochen auf Kurnaz' ungeheuerlichen Vorwurf, Ärzte hätten Finger, Zehen und Arme von Gefangenen amputiert, antwortet Yee ausweichend. Er spricht davon, dass die Ärzte in dem Lager ihre "medizinische Ethik verletzt" hätten.

Beckmann versäumt es, nachzuhaken. Er lässt nun auch den FDP-Politiker Max Stadler zu Wort kommen. Der Bundestagsabgeordnete sitzt im Untersuchungsausschuss, der unter anderem die Causa Kurnaz untersucht. Nun hockt er neben Kurnaz und Yee, sichtlich betroffen: "Kurnaz ist ohne jeden Zweifel glaubwürdig" sowie "Das lässt einen fast verzweifeln". Beckmann redet nun weniger als zuvor. Und das ist gut so. Schließlich ist die Sendung bald zu Ende.

Dunkler Fleck in US-Geschichte

Yee nennt Guantanamo einen der "dunkelsten Punkte in der Geschichte meines Landes", und prophezeit: "Meine Kinder und Enkel werden fragen: Wie konntet ihr so was zulassen?".

Beckmann will nun von Murat Kurnaz wissen, was er von der ehemaligen rot-grünen Regierung erwartet. Die Frage ist nicht zugespitzt, wie es sich anböte, Beckmann bringt nicht die Worte "Steinmeier" und "Rücktritt" über die Lippen. Und Kurnaz antwortet: Er erwarte, dass sie "ihre Fehler einsehen."

Endrunde, letzte Worte: Scholl-Latour verkündet, dass Folter "allgemein" überall geschehe. Und, dass legalisierte Folter "unerträglich" sei. FDP-Mann Stadler empfiehlt Kurnaz, Schadensersatz von den USA zu fordern.

Der geht auf den wohlmeinenden Vorschlag nicht ein. Er hoffe einfach, sein Leben führen zu können wie vorher, sagt er. "Ich wünsch' mir alles Gute".

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: