Kunstwerke im Dom:Himmlische Wunderwelt

Dreikönigsschrein beim Pilgerweg im Kölner Dom Köln 26 09 2015 Foto xC xHardtx xFuturexImage

Ein Meisterwerk der Goldschmiedekunst: der Schrein, in dem die Gebeine der Heiligen Drei Könige ruhen.

(Foto: imago)

Der Schrein der Heiligen Drei Könige ist ein Meisterwerk, die Flügelaltäre sind wahre Schätze: Die Ausstattung ist so einzigartig wie der Bau selbst.

Von Michael Rohlmann

Eine Wunderwelt von Heiltümern, Bildern und Skulpturen, von Goldglanz und leuchtenden Glaswänden, von irdischem Reichtum und himmlischen Harmonien, von alten Machttraditionen und unfassbarer Schönheit erwartete einst den Pilger und empfängt noch heute den Besucher des 1322 geweihten Kölner Domchors. Diesen schon im Mittelalter vollendeten Kernbereich der Domarchitektur erfüllt eine Ausstattung, deren Fülle, Vielfalt und Qualität einzigartigen Ruhm unter den gotischen Kathedralen beanspruchen kann.

Einer Legende zufolge stürzte der erste Dombaumeister wegen eines Teufelspakts ab

Der im Außenbau über dem Rhein breit und nach oben immer vielgliedriger und lichter aufstrebende Chor stemmt auf der Spitze ein Kreuz triumphal in den Himmel und der im Osten aufgehenden Sonne entgegen. Seine weithin sichtbare Erscheinung umgibt in halber Höhe, über der Zone fratzenhafter Wasserspeier ein Wächterchor einst posaunenblasender Engel. Zur Stadt hin war der Chor für Jahrhunderte mit einer hohen Mauer geschlossen, deren drei Fenster und bekrönender Stern den Weg zu dem wichtigsten Kirchenbesitz wiesen: den Reliquien der Heiligen Drei Könige. Nur der gewaltige Stumpf des Südturms erhielt im Mittelalter ein Figurenportal. Im Giebelfeld zeigt der Kirchenpatron Petrus seine Demut: Sein Marterkreuz ist mit dem Kopf nach unten zum Boden gekehrt. In der oberen Bildzone lässt der Heilige den Zauberer Simon Magus, der hochmütig zum Himmel fliegen wollte, aus den Wolken und der Spitze des Giebelfeldes hinabstürzen. Das Wagnis des spektakulär zum Himmel strebenden, bald ins Stocken geratenen Turmbaus wird hier am Turmportal von verwerflichem, sündhaften Höhenflug abgegrenzt. Die Kölner haben diese Anspielung freilich auf ihre Weise verstanden und ließen der Legende zufolge den ersten Dombaumeister Gerhard nach einem Teufelspakt hoch vom Bau in den Tod stürzen.

Im von Gerhard begonnenen Chorumgang erwarteten den Pilger die größten und ehrwürdigsten Schätze, aufgereiht im Kranz der Chorkapellen. Es sind vor allem die noch aus dem Vorgängerbau übertragenen uralten Heiligtümer und Erinnerungszeichen glorreicher städtischer und erzbischöflicher Tradition.

Vor 974 entstand das Holzkruzifix des Erzbischofs Gero, das bei dessen Grab im "Alten Dom" gestanden hatte. Es ist die schönste und eindrucksvollste der wenigen erhaltenen frühen christlichen Großskulpturen. Hochgräber verehrter Erzbischöfe wurden in den Kapellen auf die jeweiligen Altäre ausgerichtet: Die Grabfigur Philipps von Heinsberg ist von einem Modell der unter ihm begonnenen Kölner Stadtmauer umgeben, der größten des europäischen Mittelalters. Rainald von Dassel wurde mit einer Grabkapelle geehrt, weil er Köln im Jahr 1164 die Reliquien der Heiligen Drei Könige aus Mailand verschafft hatte. Seine ebenfalls aus Mailand mitgebrachte Madonnenstatue musste neu hergestellt werden, wohl weil das Urbild beim Brand des "Alten Doms" zerstört worden war. Konrad von Hochstaden hatte den Bau des neuen gotischen Domes begonnen. Die bronzene Liegefigur des Verstorbenen ist von jugendlicher Schönheit.

Den größten Schatz aber barg die zentrale Marienkapelle. Hier stellte man den Schrein der Heiligen Drei Könige auf. An dem Wunderwerk der Goldschmiedekunst war um 1200 Meister Nikolaus von Verdun beteiligt. Der Schrein ist mit einer Vielzahl antiker Gemmen und Kameen besetzt. Diese Relikte antiker Kaiserzeit sind hier zusammen mit den Reliquien in einem goldenen Kirchenmodell geborgen. Auf der Stirnseite bringen die Könige der Madonna kleine Werke der Goldschmiedekunst dar. Sie empfangen dafür den Segen des Christuskindes, der sich so auch auf die Stiftung des Schreins selbst erstreckt.

Wirklichkeit und Göttlichkeit verschmelzen in Figuren und Fensterbildern

Kapellenkranz und Umgang umfangen den hoch und steil fluchtenden Binnenchor, wo sich vor dem riesigen Hauptaltar früher die langen Reihen der hochadeligen Domherren versammelten. Zu ihren Mitgliedern gehörten auch Papst und König. Der Chorraum ist eine Zone der Gruppenbilder und der Gemeinschaftserfahrung. Das Altargeschehen umgeben die Bilderzyklen von Bischöfen und Kaisern, von Propheten und Heiligen, von Apostel- und Engelsreigen, von biblischen Königen und Wappenzeichen zeitgenössischer Stifter.

Von den monochromen Marmorfiguren des Hochaltars über die farbigen Steingemälde der Chorschranken, den farbig schimmernden plastischen Statuen der Chorpfeiler bis hinauf zu den schon immateriell leuchtenden, vom Himmelslicht durchdrungenen Fensterfiguren transzendieren sich Gegenwart und Wirklichkeit zu einer Erfahrung zeitübergreifenden göttlichen Zusammenseins. Die Chorherren erlebten hier die Kirche, die ecclesia, in der Grundbedeutung des Wortes als Zusammenkunft der Gläubigen. In der liturgischen Feier verschmolz dabei die irdische Kirche der Lebenden mit jener in den endlosen Bilderreihen beschworenen, vorbildhaften himmlischen.

Erhoben sich die Chorherren empor aus der sündhaften Welt ihres mit Fratzen und allerlei irdischer Verführung geschmückten Chorgestühls, so standen sie aufrecht unter dem Reigen der Pfeilerapostel. Die Pfeiler symbolisieren die Funktion der Apostel: wie die einen die Kirchenarchitektur stützen, so die anderen die Kirchengemeinde. Über den Häuptern der Apostel musizieren lächelnde Engel. Sie zeigen die göttliche Inspiration der Apostel, die sich auch in deren melodischen Faltenschwüngen und tänzerischen Körperbiegungen äußert. Ebenso visualisieren die kleinen Musiker den harmonischen Zusammenklang der Apostelschar, den von Chorherrn, Kölnern und Christen geforderten Zusammenhalt der Gemeinschaft.

Als durch Franzosen- und Preußenherrschaft das alte reichsstädtische Heilige Köln mit seinen zahllosen Stiften und Klöstern zugrunde gegangen war, wurden drei riesige spätgotische Flügelaltäre in den Schutz der Kathedrale gebracht. Aus dem Klarissenkloster kam der frühe Klarenaltar, aus der Ratskapelle Stefan Lochners Retabel der Stadtpatrone, aus St. Maria ad Gradus das niederländische Importstück des Agilophusaltars. Diese Mediensynthesen von Schreinarchitektur, Skulptur und Malerei vereinen die bislang im Kölner Dom auf Chorkapellen und Binnenchor verteilten Aspekte von Reliquienpräsentation und Bilderreihen. Nun bewegte sich nicht mehr der Kirchenbesucher in einem ihn umgebenden Bilderraum von Station zu Station, sondern es bewegten sich vor dem Betrachter in teils mehrfachen Öffnungen die Bilder selbst. Wo auf geschlossenen Flügeln des Klarenaltars der Ordensgründer Franziskus ein Kruzifix hält, dort wurde bei Öffnung des ersten Flügelpaars Christus in der Szene der Kreuztragung sichtbar. So war Ordens- auf Heilsgeschichte bezogen. Lochners Ratsaltar, der Höhepunkt Altkölner Malerei, ist sogar in den Heiltumskranz der Chorkapellen aufgenommen. Hier ist er Teil jener "Wunder Kölns" geworden, deren Bewahrung und Zugänglichkeit - neben der des Dombaus selbst - bleibende und fordernde Aufgabe sind.

Der Autor lehrt Kunstgeschichte an der Bergischen Universität Wuppertal

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