Kunstspekulation:Erwartungsprodukte

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Statt abgesicherte ältere Werke zu kaufen, stürzen sich die neuen Spekulanten auf junge Kunst, deren Wert bloße Behauptung ist. Warum?

Von Astrid Mania

Mit zunehmender Gier fallen bekanntlich die Hemmungen. Noch vor Jahren hätte sich niemand getraut, ein rein ökonomisches Interesse an der Kunst zu äußern. Heute hingegen hören Galeristen immer öfter: "Was ist diese Arbeit in zwei Jahren wert?" Nicht alle Händler freut das. Zum einen verlangt es von den Galeristen, kunstrelevante Fragen zugunsten der Marktlogik hintanzustellen. Zum anderen kann es sein, dass Künstler, die in das Visier von Käufern mit baldiger Weiterverkaufsabsicht geraten, nach wenigen Jahren "verbrannt" und nicht mehr zu vermitteln sind. Auf Online-Plattformen wie ArtRank, 2014 gelauncht, kann man sich ansehen, wie Künstler zu Finanzprodukten degradiert und nach Preiskategorien sowie Kauf- bzw. Verkaufsempfehlungen sortiert werden.

Bemerkenswerterweise trifft dieses Schicksal überwiegend die Zeitgenossen. Der Kunstmarkt hat sich in letzter Zeit bekanntlich radikal verändert. Zum Typus des klassischen Sammlers hat sich der Spekulant gesellt. Das hat so viel mit der neoliberalen Wirtschaftslage wie mit einer neoliberalen Mentalität zu tun, nach der es um die kurzfristige Ausbeutung materieller wie immaterieller Ressourcen geht.

Schon seit langem, besonders aber in den heutigen Zeiten niedriger Zinsen, wird Kunst dafür genutzt, Geld verlustsicher anzulegen. Das verlangt nach Werken, die vor starken Kursschwankungen sicher sind, Werken aus dem oberen Marktsegment mit Gütesiegeln der Kunstgeschichte und der Museen. Neuerdings ist Kunst jedoch auch eine Option geworden, Geld schnell und gezielt zu vermehren. Auch traditionelle Sammler freuen sich natürlich über Wertsteigerung. Doch ans Verkaufen mit Gewinn denken sie beim Kauf eher nicht. Die Spekulanten kalkulieren hingegen bewusst auf die Erlöse durch den gestiegenen Preis.

Wer hierauf zielt, der setzt in der Regel auf junge, erschwingliche Künstler der Gegenwart, deren quecksilbrige Preise oftmals gezielt und konzertiert gepusht werden. Wieso aber stürzen sich Spekulanten speziell auf zeitgenössische Kunst? Wenn das wesentliche Kriterium für Spekulation mit Kunst ein niedriger Preis und die Aussicht auf Wertsteigerung wäre, dann müsste sich im Prinzip jedes Kunstwerk dazu eignen, sofern jemand ihr ein entsprechendes Potenzial attestiert.

Doch das geschieht etwa bei den Alten Meistern nicht, obwohl ihre Preise häufig mit denen junger Zeitgenossen vergleichbar sind. In der letzten Altmeister-Auktion bei Lempertz im November 2016 war manches hinreißende Werk der Sakralkunst des 16. Jahrhunderts im niedrigen fünfstelligen Bereich angesiedelt, niederländische oder flämische Landschaften lagen noch niedriger. Nur damit, dass Jay-Z und Brad Pitt keine historischen Werke kaufen, dass dem Markt für ältere Kunst Sexyness und Glamour fehlt, lässt sich das geringe Interesse am Alten und die Begeisterung für Neues nicht erklären.

Eher wohl liegt der Grund in der strukturellen Ähnlichkeit zwischen der inhaltlich eher leichten zeitgenössischen Kunst und zeitgenössischen Methoden der Geldvermehrung. Vielleicht sind die Alten Meister so etwas wie das Äquivalent zum Handel mit Realien - die Zeitgenossen aber zirkulieren in einer Ökonomie, die als durch und durch immateriell gilt.

Wie hoch der Abstraktionsgrad unseres Wirtschaftssystems ist, lässt sich gut in Joseph Vogls viel besprochenem Buch "Das Gespenst des Kapitals" nachlesen: "Die Spekulation", so Vogl, "ist der Normalfall finanzökonomischer Transaktion." Alle setzen alles auf die Zukunft. Unser gesamtes Wirtschaftssystem ist auf Künftigkeit und Wachstum ausgerichtet, und ihre Instrumente - Futures, Optionen, Forward-Kontrakte - zeigen schon am Namen, dass hier in die Zeit hinein projiziert wird.

In der Unternehmensform des Start-ups zeigt sich die konzeptuelle Nähe zur zeitgenössischen Kunst vielleicht am deutlichsten. Hier wird Geld in eine Idee, in eine Hoffnung investiert. Erweist sie sich als überzeugend genug, sind Investoren gern bereit, ihrerseits Geld auf das junge Projekt zu wetten. Die Glaubwürdigkeit dieser Business Angels allein beschert einem Startup einen enormen Vertrauensvorschuss, der sich gegebenenfalls in Form weiteren, neuen Kapitals auszahlt.

Nicht wenige dieser Startups spekulieren auf eine künftige Übernahme durch größere, hungrige Rivalen - werden also gegründet, um verkauft zu werden. Da macht es keinen Unterschied, ob es sich um einen Online-Pizza-Lieferdienst oder ins Digitale verlängerte Teilnehmer des Kunstmarktes handelt. Das Online-Auktionshaus Auctionata, das 2012 gegründet wurde und im Frühling letzten Jahres mit dem Mitbewerber Paddle8 fusionierte, musste aufgrund einer gescheiterten Finanzierungsrunde Insolvenz anmelden und gerade zahlreiche Entlassungen verkünden.

Auf demselben Vertrauen in ihre, ja, Performance, fußt auch die zeitgenössische Kunst. Anders als Werke, die aus Epochen, Zentren oder gar Schulen stammen, die bereits ihren festen Platz in der Kunstgeschichte haben oder sich womöglich durch handwerkliche Meisterschaft auszeichnen.

Marktfrische Kunst muss sich auf ein System von Institutionen verlassen, die die Autorität besitzen, das an ihnen Geschaffene, in ihnen Gezeigte und Gehandelte zu Kunst zu erklären. Der Gegenwert ihrer Preise liegt letztlich in einer behaupteten Relevanz und einem erhofften Interesse. Im Fall der Spekulation wiederum wird obendrein das Vertrauen des Erstkäufers honoriert. Kunst ist im Grunde ein "Erwartungsprodukt". Mit diesem Ausdruck bezeichnet Vogl jene Finanzprodukte, "mit denen die Werte künftiger Erträge in Gegenwartswerte überführt werden".

Wer sein Geld in einem System verdient, das auf Behauptungen und Antizipation beruht, dem dürfte auch die Vorstellung, dass die Preise für Kunst auf keinerlei belastbarem Gegenwert beruhen, ganz und gar vertraut erscheinen. Dies mag erklären, warum sich Spekulanten besonders zu einer zeitgenössischen Kunst hingezogen fühlen, deren vorhergesagte Preissteigerungen auf dem Urteil von Algorithmen oder anderen Investoren beruhen und nicht auf dem Urteil der Geschichte oder dem von tatsächlichen oder vermeintlichen Spezialisten.

Damit wird die Bewertung nach inhaltlichen, formalen, kunsthistorischen oder anderen nicht-ökonomischen Kriterien nicht nur nebensächlich. Sich von diesen beim Kauf leiten zu lassen, würde den Mechanismen und der Mentalität der zeitgenössischen Finanzmärkte widersprechen und diese womöglich infrage stellen.

© SZ vom 04.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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