Kunstschätze in Italien:Sie lieben es

500 Jahre lang war Italien Vorreiter im Kulturgüterschutz. Nun soll ein ehemaliger McDonald's-Manager als Generaldirektor die Museen aufräumen. Die Italiener laufen Sturm.

Henning Klüver

Der Schutz von Kulturgütern hat in Italien Tradition. Leo X. berief 1515 keinen Geringeren als Raffael zum Generalinspektor der schönen Künste und zum Superintendenten der Altertümer Roms. Der Medici-Papst hätte dieses neue Amt auch einem Günstling übertragen können. Doch er wählte einen Fachmann.

mario resca italien

Will Generaldirektor der italienischen Museen werden: Mario Resca, Ex-McDonald's-Manager.

(Foto: Foto: ROPI)

500 Jahre später soll der Posten eines neu einzurichtenden Generaldirektors der staatlichen Museen Italiens Mario Resca übertragen werden - einem brillanten Abgänger der elitären Mailänder Wirtschaftsuniversität Bocconi, der sich statt auf ein Studium der Kunstgeschichte auf langjährige Erfahrungen in der Unternehmensleitung von McDonald's Italia und der Spielbank von Campione bei Como berufen kann.

Effizienz

Dieser Bogen, so der Kunsthistoriker Antonio Paolucci, fasse in emblematischer Kürze die Geschichte der Kulturgüter des Landes zusammen. Paolucci, der viele Jahre für den Kulturgüterschutz und die staatlichen Museen von Florenz zuständig war und heute die vatikanischen Museen leitet, schreibt in einem Beitrag für die katholische Tageszeitung L'Avvenire, das Museum in Italien verliere seine Funktion als traditionelle "Einrichtung der Erziehung, der historischen Erinnerung und des Besitzerstolzes".

Während es früher keinen besonderen ökonomischen Wert besaß, werde es jetzt dem ökonomischen Wachstum, der Schaffung von Arbeitsplätzen und der betrieblichen Effizienz verpflichtet.

Paoluccis Äußerungen sind nur der jüngste Beitrag zu einer Debatte, die Italiens Kulturwelt in Atem hält und auch im Ausland Widerhall gefunden hat. Kulturminister Sandro Bondi, ein Parteigänger und enger Freund des Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi, ist dabei, mit teils liberalökonomischen, teils bürokratischen Vorhaben die Kulturlandschaft Italiens umzukrempeln.

Das reicht von den Museen über die archäologischen Ausgrabungsstätten bis zu den Opernhäusern. Auch die - bereits unterbesetzten - Denkmalschutzämter sollen durch Stellenabbau personell weiter ausgedünnt werden und könnten nach einer geplanten Föderalismusreform unter die Zuständigkeit der Regionen fallen.

Vor dem Bankrott

Denn die italienische Staatskultur steht vor dem Bankrott. In der mittelfristigen Finanzplanung von Wirtschaftsminister Giulio Tremonti muss der Kulturhaushalt in den Jahren von 2009 bis 2011 rund eine Milliarde Euro einsparen. Das sind 2,8 Prozent des gesamten Sparprogramms der Berlusconi-Regierung, obgleich das Kulturbudget nur lächerliche 0,28 Prozent des Staatshaushaltes ausmacht. Und weil an der Kultur überdurchschnittlich gespart wird, möchte man Kosten verringern und Einnahmen erhöhen. Zum Beispiel mit der Einrichtung einer neuen Generaldirektion des Ministeriums zur "Valorisierung" der rund 550 staatlichen (von insgesamt 4000) Museen.

Der Begriff "valorizzazione" bedeutet im Italienischen sowohl Verwertung als auch Nutzbarmachung oder Ausnutzung. So werden zu den Aufgaben des zukünftigen Generaldirektors nicht nur die Entscheidung über die Ausleihe von Kunstwerken gehören, sondern auch die Prüfung des "kulturellen Wertes" von Ausstellungen, die Aufsicht über wissenschaftliche Programme zur Erforschung der Museumsbestände und die mögliche Bewilligung von Leihgaben aus den Depots an Institutionen wie an Privateinrichtungen. Der neue Mann, der die Kulturgüter "valorisieren" soll, wird so auch verantwortlich für ihren Schutz.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wer sich öffentlich wehrt.

Sie lieben es

In einem Interview mit dem Corriere della Sera sagt Mario Resca, man könne mit Kulturgütern "Tausende von Arbeitsplätze" schaffen, sie müssten nur bald "zu den meistbesuchten der Welt" zählen und ihre Depots sollten endlich "gewinnbringend" der Öffentlichkeit überlassen werden.

Kleinere Museen mit nur geringeren Besucherzahlen, so der 63-jährige Manager aus Ferrara, sollte man dagegen aus Kostengründen schließen. Gegen die Einrichtung einer solchen Generaldirektion laufen nun viele Italiener Sturm. Etwa der "Hohe Rat der Kulturgüter" des Ministeriums selbst, einem wissenschaftlichen Gremium mit Beratungsfunktionen unter dem Vorsitz des international angesehenen Archäologen Salvatore Settis.

Zur Abschaffung

Muskeln zeigen auch Gewerkschaften des Kultursektors wie die UIL: "Eine Schande, wir sind zum Kampf bereit!" Francesco Rutelli, Oppositionspolitiker und Kulturminister unter Romano Prodi, denkt an eine Volksbefragung zur Abschaffung der neuen Einrichtung. Und die italienische Sektion des ICOM (International Council of Museums) fordert neben einer besseren Ausbildung des Museumspersonals den "Erhalt der kulturellen Vielfalt" auch durch kleinere öffentliche Sammlungen.

Dagegen unterstützen führende Kulturpolitiker aus dem Mitte-rechts-Lager wie der ehemalige TV-Star Gabriella Carlucci vehement die Pläne Bondis. Sie fordern etwa den Rücktritt von Salvatore Settis vom ministeriellen Beirat. Und der Wirtschaftswissenschaftler Michele Trimarchi aus Bologna plädiert: "Man muss die Rolle der Kultur im 21. Jahrhundert von Grund auf verändern." Einer wie Mario Resca sei der richtige Mann dafür.

In der Hitze der Debatte wird manchmal übersehen, dass Resca designierter Direktor einer Einrichtung ist, die es noch gar nicht gibt. Sie muss vom Parlament gebilligt werden, ein entsprechender Gesetzestext jedoch liegt noch nicht einmal dem Ministerrat zur Verabschiedung vor.

Die Heftigkeit der Auseinandersetzung zeigt das grundsätzliche Problem dahinter. Möchte die Berlusconi-Regierung aus der Finanznot eine Tugend machen, bürokratische Strukturen aufbrechen und eine überfällige Modernisierung einleiten?

In aller Welt, so Mario Resca, würden Museen "Freude, Fröhlichkeit und Neugier" vermitteln, das sollte in Italien auch möglich sein. Oder geht es unter dem Fetisch Liberalisierung und Privatisierung darum, Kasse zu machen, lästigen Denkmalschutz aufzuweichen und außerdem einigen wenigen zu ermöglichen, sich an den italienischen Kulturgütern zu bedienen?

Wie im Wanderzirkus

Der Raffael-Forscher Andrea Emiliani, lange Jahre oberster Denkmalschützer von Bologna, ist entsetzt. Es gehe zu "wie in einem Wanderzirkus", man könne die Einnahmen nicht erhöhen, wenn man die Mittel kürze.

Kulturellen Missbrauch befürchten ebenfalls bislang über 4000 Unterzeichner eines Appells der römischen Kulturstiftung Bianchi Bandinelli. Sie warnen, die Kunstschätze Italiens mit "Handelsware" gleich zu setzen. Zu den Unterzeichnern gehören der ehemalige Louvre-Direktor Pierre Rosenberg, Sybille Ebert-Schifferer von der deutschen Bibliotheca Hertziana in Rom oder Alessandro Nova, der Herausgeber der deutschen Vasari-Edition vom Kunsthistorischen Institut in Florenz. Aber auch viele besorgte Bürger und Nichtfachleute aus ganz Europa haben unterschrieben.

Italien hat 500 Jahre lang in der Welt eine Vorreiterrolle in Sachen Denkmalpflege und Kulturgüterschutz gespielt. Wenn jetzt in Rom ein ehemaliger McDonald's-Manager an die Stelle eines Fachmannes tritt, gibt das Land diese Rolle auf.

Der ehemalige Leiter des Pariser Musée Picasso Jean Clair hat eine Schrift über die "Globalisierung der Kultur" veröffentlicht, die gerade in Italien bei Skira (Mailand) unter dem Titel "La crisi dei musei" ("Die Museumskrise") erschienen ist. Darin beschreibt der Franzose, wie die öffentlichen Kunstsammlungen heute von großen Einzelausstellungen in den Schatten gestellt werden - und morgen ganz verkauft werden könnten. Kultur, so Clair, werde in dieser Weltsicht als Unterhaltung verstanden. Und das Museum sei dann nichts anderes mehr als ein Magazin.

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