Kunstmarkt 2012:Terrain der Extreme

Kinostarts - 'Gerhard Richter - Painting'

Der Maler Gerhard Richter arbeitet in einer Szene des Kinofilms "Gerhard Richter - Painting" am grünen Bild. Für Spitzenstücke werden auch hierzulande hohe Preise erzielt.

(Foto: dpa)

Munchs "Der Schrei" brachte 107 Millionen Dollar und Gerhard Richter avancierte zum teuersten lebenden Künstler: Der internationale Kunstmarkt übertraf 2012 seine eigenen Rekorde - und feierte die Rückkehr der Alten Kunst.

Von Dorothea Baumer

International war 2012 ein Jahr der Rekorde und Höchstpreise. Unvorstellbare Summen flossen in den Kunsthandel. Einmal mehr triumphierten die amerikanischen Nachkriegsklassiker Mark Rothko, Jackson Pollock und Franz Kline, die Pop-Heroen Andy Warhol und Roy Lichtenstein. Die Umsätze der viertägigen New Yorker Auktionsserie zeitgenössischer Kunst von Christie's, Sotheby's und Phillips de Pury summierten sich erstmals auf über eine Milliarde Dollar. Zum teuersten lebenden Künstler avancierte Gerhard Richter, nach dem Verkauf einer späten Abstraktion aus der Sammlung des Rockmusikers Eric Clapton für 19 Millionen Pfund oder 30,4 Millionen Dollar. Mit 107 Millionen Dollar wurde im Mai das bislang teuerste Bild im Auktionshandel zugeschlagen, Edvard Munchs Pastellversion "Der Schrei" Im Dezember folgte in London die Raffael-Zeichnung "Kopf eines jungen Apostels" mit 26,5 Millionen Pfund oder 42,6 Millionen Dollar.

In den deutschen Häusern geht es naturgemäß etwas bescheidener zu. Doch die Stimmung war gut und die Saison insgesamt mehr als solide. Geld ist genug vorhanden und für Spitzenstücke werden auch hierzulande hohe Preise erzielt. Allein, die Akquise hochwertiger Objekte ist immens schwierig geworden. Moderne-Sammler sind preisbewusst und scheinen sich zudem mehr und mehr dem Zeitgenössischen zuzuwenden. Ein auf die großen Namen der deutschen Klassischen Moderne spezialisiertes Haus wie die Villa Grisebach in Berlin muss das spüren.

Dass die Käufergunst etwaigen zu hoch taxierten Werken mittlerer Qualität jedenfalls nicht gilt, hatte man dort erneut hinzunehmen, mit Rückgängen von Heckel, Pechstein, Schlemmer oder Liebermann (Taxen 300 000 und 400 000 Euro), die die Bilanz empfindlich trübten. Das Spitzenlos aber reüssierte: Otto Muellers um 1924 datierte Mädchenakte, für die ein norddeutscher Sammler mit Aufgeld 1,4 Millionen Euro investierte. Otto Dix' fulminanter "Sonnenaufgang", der einmal dem Dresdner Stadtmuseum gehörte und konfisziert worden war, wandert auch dort wieder hin, dank einer Einigung mit dem Einlieferer vor der Auktion.

Als eine Art Wiedergutmachung sind wohl auch die überaus hohen Preise der jüdischen Künstlerin Lotte Laserstein zu verstehen, deren Rückenakt bei einer Taxe von 40 000 mit 280 000 Euro zu Buche schlug. Charakteristische Arbeiten von Karl Hofer, Emil Nolde und Schmidt-Rottluff behaupteten sich erfolgreich, und auch der jüngst zur Erweiterung des Spektrums installierten Sparte "Orangerie" mit ausgewählten Antiquitäten glückte das Debüt, nicht zuletzt dank engagierter Preußen-Liebhaber. Die Abendauktion brachte 13,6 Millionen Euro. Mit einem Jahresgesamt von 38,6 Millionen Euro blieb das Einspielergebnis gleichwohl um einiges hinter den Erwartungen zurück.

Geld ist genug da

Ein glänzendes Saisonfinale bei lebhafter, bietfreudiger Stimmung, prall gefüllten Auftragsbüchern, einem Umsatzplus von einer Million Euro gegenüber dem Vorjahr und einem Gesamtumsatz von 30 Millionen resümiert Ketterer in München. Inhaber Robert Ketterer spricht von einem erstaunlichen Zuwachs von Neukunden: "Im Durchschnitt war 2012 jeder Dritte ein Neukunde, in der Kunst des 15. bis 19. Jahrhunderts sogar jeder Zweite". Nicht allzu unerwartet belegten bei durchwegs erklecklichen Steigerungen Werke des Blauen Reiter die Spitzenpositionen. Sämtliche Arbeiten von Gabriele Münter wurden weitergereicht, ihre Murnauer Landschaft mit Ramsachkirchlein bei verdoppelter Taxe für brutto 378 200 Euro.

Spitzenlos wurde Heinrich Campendonks um 1913 in Franz-Marc-Land entstandene Szene "Zwei Pferde", die einmal dem Maler Georg Tappert gehörte und die sich ein Schweizer Unternehmer nun mit Aufgeld 536 800 Euro (Taxe 200 000) kosten ließ. Allein Max Pechsteins Frauenakt "Quelle" aus vorexpressionistischen Tagen übernahm ein russischer Sammler leicht unter Taxe bei 280 000 Euro. Für Egon Schieles dem Schwager Anton Peschka gewidmetes Erotik-Blatt war mehr als die doppelte Taxe zu entrichten (260 000 Euro). Und auch der Erstauftritt der gerade wiederentdeckten Berliner Tappert-Schülerin Dodo (Dörte Clara Wolff) mit schmissigem Zwanziger-Jahre-Sujet "Wedding auf dem Dachgarten, 1929)" gelang (55 000 Euro). Fast gleichauf mit der Moderne-Spitze rangierte im Übrigen auch hier ein Zeitgenosse: der in Peking geborene Pariser Avantgardist Zao Wou-Ki. Ein Aquarell von 1960 verdreifachte seine Taxe (95 000 Euro). In eins seiner seltenen Ölgemälde aus den Siebzigern, aufgerufen mit 280 000 Euro, investierte ein Schweizer Sammler mit Aufgeld 524 600 Euro.

Die eigentliche Überraschung der zurückliegenden Saison 2012 aber war die Rückkehr der Alten Kunst. Das Kölner Auktionshaus Lempertz eröffnete im Mai mit einer spektakulären Gemäldesammlung seine Jubiläumsserie 1000. Auktion. Ein Rekordzuschlag fiel hier bei großer internationaler Beteiligung mit drei Millionen Euro für eine 1649 signierte Atelierszene von Gerrit Dou. 1,9 Millionen Euro brutto kostete Hendrick Avercamps Winterlandschaft, bei 600 000 (400 000) fiel der Hammer für ein Paar Landschaften von Salomon van Ruysdael, bei 560 000 für ein Stillleben von Jan Fris.

An diese starken Ergebnisse konnte die Herbstofferte dann zwar nicht mehr anschließen, einzelne bemerkenswerte Höhenflüge für Exzeptionelles gab es gleichwohl. Um eine bewegte, koloristisch bezwingende "Auferstehung Christi" des Nürnberger Malers Johann König, geschätzt mit 100.000 Euro, fochten die Bieter bis zu einer Rekordhöhe von 720 000 Euro, 787 000 Euro brutto, die schließlich der deutsche Handel gewährte. Eine mythologische Szene eines Jan Mandyn-Nachfolgers hob von erwarteten 6000 auf über 30 000 Euro ab, ein Dorffest in der Art Abel Grimmers von 6000 auf fast 40 000 Euro. Für Lempertz rundete sich auch dieses Resultat zu einem Jahresspitzenumsatz von 51 Millionen.

Millionen-Zuschläge für chinesische Möbel

Bei all den Höchstpreisen freilich gilt: die Sammler sind denkbar wählerisch. Das zeigt ein Blick nach London, wo vom Altmeisterangebot bei Sotheby's etwa ein Drittel, bei Christie's gar die Hälfte der Lose zurückging. Das zeigt Wien, wo man im Dorotheum das beste Altmeisterergebnis bislang bilanziert - bei einer mageren Absatzrate von 37 Prozent. Traumquoten erreichen heute allenfalls qualitätsvolle Sammlungen, wie die volkskundliche Sammlung Herramhof bei Ruef in München, wie die komplett verkaufte Kollektion von 21 Menzel-Blättern bei Neumeister im Frühjahr, der die fast hundertprozentige Abnahme von 62 Gemälden des Tier- und Pleinairmalers Heinrich von Zügel im Herbst folgte.

Selektiv zeigen sich derzeit sogar die chinesischen Käufer. Mehr Zurückhaltung, beispielsweise bei Porzellan, beobachtet man jedenfalls bei Nagel in Stuttgart, wo seit Jahren die bedeutendsten Asiatica-Offerten über die Bühne gehen. Starken Ergebnissen tut das freilich keinen Abbruch. Wie schon im Frühjahr fielen auch im November Millionen-Zuschläge für chinesische Möbel. 1,55 Millionen beziehungsweise 2,1 Millionen Euro inklusive Aufgeld kostete im November ein Paar geschnitzter Schränke der Qing-Dynastie in Zitanholz. Die Verkaufsquote lag bei 57 Prozent. Der Markt ist zu einem Terrain der Extreme geworden, mit wenigen Preisbomben und einem großen Rest.

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