Kunstmarkt:Kleider? Leute!

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Charakterstudien, getarnt als Modestrecken: Frank Horvart, der Unbekannte unter den großen Fotografen des 20. Jahrhunderts, wird entdeckt.

Von Alexandra González

Was macht eine flüchtige Situation in den Augen des Fotografen zum Moment einer Frau? Wenn das Topmodel Iris Bianchi und die betagte Modejournalistin Marie-Louise Bousquet beim Couture-Shooting für Harper's Bazaar 1962 wie Komplizinnen an ihren Zigaretten ziehen? Oder eine Striptease-Tänzerin die Präsenz des Fotoreporters, der sich den Zugang zum Nachtclub "Le Sphinx" gerade teuer erkauft hat, mit einem stolzen Gesichtsausdruck quittiert? Frank Horvat drückte den Auslöser seiner Kamera dann, wenn er sicher war, eine höhere, poetische Wahrnehmung der Wirklichkeit zu erzeugen.

Als Modefotograf war er ein überzeugter Vertreter des Method-Acting: Von den Models erwartete er inneres Erleben einer Situation. Er verbot ihnen theatralische Posen, dickes Make-up, falsche Haare und aufgesetztes Lächeln. Knipste sie auf dem Pariser Großmarkt, in der Metro, auf der Straße einer englischen Arbeitersiedlung. Seine Bilder nahmen den Street Style vorweg und verkörperten die antielitäre Allüre des Prêt-à-porter. Mit allem experimentierte er: Filmzitaten, radikal angeschnittenen Motiven, altmeisterlichen Lichtstimmungen. Doch die eigentliche Mode drängte er inhaltlich an den Rand. "Mode an sich fand ich schon immer todlangweilig", erzählt Frank Horvat bei einem Telefonat aus seinem Pariser Studio. "Was mich interessierte, waren eventuell die Frauen selbst."

Horvat ist der Unbekannte unter den großen Fotografen des 20. Jahrhunderts

Dieser erstaunliche Mann, der vor 90 Jahren im italienischen Abbazia (heute Opatija in Kroatien) geboren wurde und als Autodidakt für alle wichtigen Magazine von Life und Paris Match bis Vogue gearbeitet hat, spricht schnell und mit sanfter Stimme. Ein bisschen müde sei er nach seiner Rückkehr aus Tokio, wo gerade in der Chanel Nexus Hall eine Ausstellung eröffnet wurde, die noch bis 18. Februar seine frühen Reportagefotos, private Augenblicke und Fashion-Aufnahmen versammelt. Er sagt: "Wenn Modefotografie gut ist, zeigt sie nicht nur Kleider, sondern den Moment einer Frau." Also heißt Horvats jetzige Soloschau in Japan "Un moment d'une femme". "Das versteht dort zwar niemand, aber es klingt gut."

Mit seinen als Modestrecken getarnten Charakterstudien von Frauen, die mitten im Leben stehen - alle zwischen den Fünfziger- und Achtzigerjahren entstanden -, revolutionierte er das Genre. Diese Aufnahmen mögen berühmter und teurer sein als Horvats Reportagefotos - ohne die Geistesgegenwart des Bildberichterstatters wären sie nicht möglich gewesen. Eben diese Scharfsichtigkeit kann man aktuell in der Antwerpener Galerie Fifty One entdecken: Die Ausstellung "Frank Horvat Eighties New York" (9.2. bis 7.4.) mit bislang unveröffentlichter Streetphotography in Farbe ist eine Hommage an das mythisch raue Flair einer Metropole, die so nicht mehr existiert.

Bis heute haben seine Arbeiten nichts von ihrer Unmittelbarkeit eingebüßt. Dennoch ist Horvat der Unbekannte unter den bedeutenden Fotografen des 20. Jahrhunderts. Das mag daran liegen, dass sein Werk nicht nur alle Gattungen vom Akt über das Porträt bis zum Stillleben umfasst, sondern sich auch durch viele Stilwechsel weniger eingeprägt hat als das mancher Zeitgenossen.

Aber nicht nur die Mode hat Horvat furchtbar gelangweilt, sondern jeglicher selbstzufriedene Stillstand. Daher veranlasst sein Geburtstag am 28. April den fast Neunzigjährigen zur Selbstreflexion. 365 Diptycha möchte er in diesem Jubeljahr produzieren - Neuschöpfungen von Bildpaarungen aus allen Phasen, von den journalistischen Anfängen 1948 in Italien bis zu den berührenden privaten Aufnahmen der Gegenwart, in der seine Arbeit stark autobiografische Züge aufweist (Auflage fünf plus drei Künstlerexemplare, der Galeriepreis beträgt 18 000 Euro). Dieser Remix lässt an Georg Baselitz' Altersprojekt denken, mit dem der Maler sein facettenreiches Bildwerk als Ganzes neu dachte.

Facettenreiches Werk: Zwei seiner Fotografien hat Frank Horvat zum Diptychon arrangiert. (Foto: Frank Horvat/VG Bildkunst, Bonn 2018)

Horvats Fotopaare unterscheidet mehr, als sie eint: Ort und Zeit der Ablichtung, das Sujet, der Ausschnitt. Gleichwohl existiert ein schwer zu fassendes Band korrespondierender Stimmungen oder Kompositionen. "Viele der Bilder gleichen Balladen, Kurzgeschichten oder Sozialreportagen, und insgesamt entstand über den Zeitraum von sechs Jahrzehnten ein außergewöhnliches Lebenswerk, einem gewichtigen Roman vergleichbar", schreibt Matthias Harder, Kurator der Helmut Newton Foundation, in seinem Essay für die schöne, vor zwei Jahren erschienene Monografie "Please don't smile" (Hatje Cantz Verlag). Mit den Diptycha scheint Horvat noch unzählige Fußnoten in seinen Bildungsroman einzuflechten.

Einen Sammlermarkt für die Arbeiten Frank Horvats gibt es seit den Neunzigerjahren. Damals wurde deutlich, dass seine Aufnahmen nicht nur zum Kanon der Modefotografie zählten, sondern auch als Kunstwerke Eigengewicht hatten. "Als ich anfing, wurde hauptsächlich für die illustrierte Presse fotografiert. Ich hatte mir nicht vorgestellt, dass ein Foto auch etwas für die Wand sein könnte", sagt Horvat im Rückblick auf die Nachkriegszeit.

Martin Harrisons 1991 erschienene Publikation "Appearances" hatte großen Anteil an der Kanonisierung. Diese Studie der Modefotografie seit 1945 versammelte alle wegweisenden Akteure und verknüpfte das Genre mit Säulenheiligen wie Walker Evans und Robert Frank. "Erstmals wurde Modefotografie in einen Museums- und Sammlungskontext gerückt", sagt die Zürcher Kunsthändlerin Birgit Filzmaier, die seit dieser Zeit mit Horvat zusammenarbeitet, "in dieser Bibel sind seine Werke plausibel eingebettet zwischen den Bildern von William Klein und Jeanloup Sieff."

Seine Werke sind noch erschwinglich; die Galeriepreise beginnen bei 4000 Euro

Endlich durfte sich die Modefotografie von ihrer abwertenden Verortung in der Warenwelt lösen und diente fortan im Spannungsfeld zwischen Kunst und Kommerz, Mainstream und High-End-Ästhetik als Schlüssel zum Verständnis visueller Kultur. Es sollte aber noch mehr als eine Dekade dauern, bis der Markt nachzog und auf den jährlichen Hitlisten der teuersten Fotografien auch mal ein ikonisches Modebild vertreten war. Inzwischen tauchen dort regelmäßig Werke der Nachkriegsklassiker Irving Penn und Richard Avedon sowie der Radical Chic Helmut Newtons auf. Dessen "Big Nudes" aus den Achtzigern - mit den lebensgroßen Prints nackter Frauen kappte Newton souverän die Verbindung zum Produkt Kleidung - kosten auf Auktionen mehrere Hunderttausend Dollar und rangieren in Preisregionen wie Blue Chips von Diane Arbus oder Ansel Adams.

Frank Horvats Werke sind noch vergleichsweise erschwinglich. Die von ihm bestimmten Galeriepreise liegen zwischen 4000 Euro und einem niedrigen fünfstelligen Bereich. Für seine Modefotos hatte er einst Auflagen von jeweils 30 Silbergelatineprints festgelegt. "Diese Abzüge aus den Achtziger- und Neunzigerjahren sind in nahezu allen Fällen ausverkauft", sagt Birgit Filzmaier. Tauchen die beim Fotografen nicht mehr verfügbaren Arbeiten im Sekundärmarkt auf, verselbständigen sich die Preise freilich. Sein berühmtestes Bild "Givenchy Hat" von 1958 erzielte 2014 bei Artcurial in Paris die Rekordsumme von 26 000 Euro. Trotzdem ist es Horvats ungeliebtes Kind. Der Artdirector des Magazins Jardin des Modes hatte die Komposition vorgezeichnet. Dieser Eingriff in seine kreative Freiheit konnte Horvat nicht gefallen. Dem Model blieben nicht viele Ausdrucksmöglichkeiten in seinem schmalen Sehschlitz zwischen dem blumengeschmückten Hut und wie ein Baiser hoch aufgetürmten Kragen. Und doch sagt uns sein verschwörerischer Augenaufschlag: Nur ein sensibler Künstler fängt den entscheidenden Moment einer Frau ein.

© SZ vom 03.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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