Kunstmarkt in China:"Rebecca, wie sieht das denn aus"

Snacks, Geplauder, Telefonate: Neue chinesische Sammler zollen den Riten westlicher Auktionshäuser wenig Respekt. Und den meisten bleibt westliche Kunst fremd. Doch sie haben den Markt verändert - und Hochmut ist nicht angebracht.

Von Jörg Häntzschel

Wenn in China Kunst versteigert wird, geht es recht leger zu. Man nimmt sich Snacks mit, plaudert mit dem Nachbarn oder telefoniert. Vertreter westlicher Auktionshäuser sind fassungslos, dass die neuen chinesischen Sammler der Kunst wie auch dem gesellschaftlichen Ritual, das in New York oder London zelebriert wird wie Opernpremieren, so wenig Respekt zollen. "Diese Leute sind unfassbar reich, aber benehmen sich wie. . .", sagt die Mitarbeiterin eines großen Auktionshauses, bevor sie ihren Satz abbricht. Bitte kein falsches Wort! Man darf es sich nicht verscherzen mit den neuen Kunden, deren Geld den Kunsthandel beben lässt vor Erwartung und Nervosität gleichermaßen.

So ist es spätestens seit 2011, als der chinesische Markt zum angeblich größten der Welt ausgerufen wurde. Wirklich erstaunt hat das niemanden. Der Bauboom flaut ab, die Reichen misstrauen der Finanzpolitik der Regierung - Kunst erscheint als eine vergleichsweise solide Methode, sein Geld anzulegen.

Seit 2013 sind nun auch westliche Firmen dort im Geschäft. Dank seiner neu erworbenen Lizenz hielt Christie's als erstes westliches Auktionshaus im September eine Auktion in Shanghai ab. Sotheby's wiederum tat sich mit der staatseigenen Firma GeHua zusammen und zog im Dezember in Peking nach.

Es ging vor allem um Symbolik. Mit 25 beziehungsweise 37 Millionen Dollar spielten die Abende weniger ein als in New York oder London oft ein einziges Werk. Das hatte allerdings auch mit den Restriktionen zu tun, unter denen beide operieren. Sie dürfen nur westliche und zeitgenössische chinesische Werke verkaufen - bunt gemischt mit anderen Luxusgütern wie Wein, Uhren und Juwelen. Die erheblich höher gehandelte traditionelle chinesische Kunst bleibt den staatsnahen chinesischen Auktionshäusern wie Poly und China Guardian vorbehalten.

"Schwer zu verstehen"

Doch ungeachtet dieser ersten Erfolge erweist sich die chinesische Expansion für westliche Firmen schwieriger als erwartet. Die Maastrichter Edel-Messe Tefaf etwa hatte im Frühjahr angekündigt, gemeinsam mit Sotheby's und GeHua im Herbst eine Messe in Peking zu veranstalten. Vor zwei Wochen blies sie das Vorhaben überraschend wieder ab. Die Mehrheit der Händler "würde sich lieber zu einem späteren Zeitpunkt in China engagieren", teilte die Messegesellschaft mit. "Der chinesische Markt ist schwer zu verstehen. Selbst für uns", sagt Carolin Schulten, Asien-Expertin bei Sotheby's. Die Vorlieben und Trends wechselten pausenlos: "Jede Auktion hat ein ganz anderes Thema."

Gleichzeitig dämpfen aber auch wilde Geschichten, die vom chinesischen Auktionsmarkt in den Westen dringen, die Goldgräberstimmung. Die beeindruckenden Zahlen, die Poly, China Guardian und die anderen großen chinesischen Auktionshäuser in die Welt setzen, sind, so weiß man jetzt, kaum ernst zu nehmen. Ein erheblicher Teil der versteigerten Lose nämlich wird von den erfolgreichen Bietern nie bezahlt. Die realen Umsätze der Auktionshäuser liegen deshalb nach Schätzungen um ein Drittel unterhalb der offiziellen Meldungen. Viele Spekulanten, Zocker und Strohmänner, die in China die Auktionssäle bevölkern, scheren sich wenig um die im Westen seit Jahrhunderten eingeführten Regeln des Auktionswesens.

Besonders denkwürdig war eine Auktion, die im Mai 2011 bei China Guardian in Peking stattfand. Mehr als die Hälfte der teuersten Lose blieben unbezahlt, berichtet die New York Times. Darunter war auch eine Tuschezeichnung von Qi Baishi, einem der wichtigsten chinesischen Künstler des 20. Jahrhunderts. Sie wurde einem Bieter für 65,4 Millionen Dollar zugeschlagen, dem höchsten Preis, der je bei einer Auktion für ein chinesisches Werk geboten wurde. Es liegt noch heute in einem Lagerhaus in Peking.

Explodierende Nachfrage

In diesem Fall hatte der erfolgreiche Bieter allerdings einen guten Grund für seinen Rückzug. Es gibt Zweifel an der Echtheit. Hier liegt das zweite Problem, das den chinesischen Kunstmarkt verunsichert: Er ist überschwemmt von Fälschungen. Bei den kleineren und mittleren Auktionshäusern machen sie um die 80 Prozent der Lose aus, schätzt Xiao Ping, ein bekannter Maler und Kunstexperte. Allein von Qi Baishi, so schätzt er, wurden seit 1993 nicht weniger als 18.000 Werke bei Auktionen angeboten. So viel kann auch dieser sehr produktive Künstler nicht produziert haben. Eine traditionsreiche und ehrenwerte Kultur des Kopierens, die explodierende Nachfrage und die Unkenntnis vieler eben erst zu Geld gekommener Sammler machen es möglich.

Trotz aller berechtigten Zweifel am chinesischen Kunstwunder haben chinesische Kunst und chinesische Sammler schon jetzt größere Bedeutung, als viele wahrhaben wollen. Das zeigt allein die Statistik der Künstler mit den weltweit höchsten Auktionsergebnissen: Qi Baishi, Zhang Daqian, Xu Beihong, Fu Baoshi und Li Keran sind Namen, die den meisten im Westen nichts sagen. Doch die Preise, die für Werke dieser modernen Künstler bezahlt werden, liegen heute regelmäßig über denen von Warhols, Picassos, Richters und Giacomettis. Längst fliegen chinesische Sammler regelmäßig nach New York, London und Paris, um bei den dortigen Auktionen im großen Stil chinesische Kunst aus westlichem Besitz zu kaufen. "Man sieht dort fast nur noch Chinesen. Für westliche Sammler ist es schwer, noch mitzuhalten zu können", sagt Caroline Schulten, die Leiterin der Abteilung für chinesische Kunst bei Sotheby's.

Diese Einkaufsreisen sind auch Bildungsreisen für die Chinesen, die bisher "einen Alten Meister oft nicht von einem Zeitgenossen" unterscheiden konnten, so Rebecca Wei, die Asien-Chefin von Christie's: In den Auktions-Showrooms und Museen kommen sie mit westlicher Kunst in Berührung, die sie in China kaum je sehen - und greifen immer öfter zu. Dabei interessiert sie nur eines: die großen Namen "Monet, Pissaro, Cézanne und alle anderen Impressionisten, plus Picasso". Im November hat Wang Jianlin, Chinas reichster Mann, Picassos Gemälde "Claude et Paloma" für 28 Millionen Dollar bei Christie's in New York gekauft - den höchsten Preis, den je ein Chinese für westliche Kunst gezahlt hat.

"Rebecca, wie sieht das denn aus"

Doch so prestigeträchtig ein westlicher Jahrhundertkünstler für Chinesen auch ist, so fremd bleibt den meisten Sammlern die Kunst: "Ich habe einem der wichtigsten Sammler einen Chagall gezeigt. Er sagte, Rebecca, wie sieht das denn aus, was für ein Durcheinander! Es dauerte drei Monate, bis ich ihm klar gemacht hatte, warum das Gemälde perfekt war."

Seit Neuestem begeistern sich die Chinesen auch für Möbel und Alte Meister. Doch auch dort gibt es kulturelle Hürden: "Sie kaufen vor allem Landschaften", sagt Wei. "Niemand würde sich das Porträt eines fremden Menschen ins Wohnzimmer hängen." Schulten erinnert der Kaufrausch der Chinesen schon an die Achtzigerjahre, als japanische Sammler und Konzerne massenweise westliche Kunst horteten.

Vor Hochmut sollten sich die Westler allerdings hüten: Sie tun sich mit chinesischer Kunst noch schwerer als die Chinesen mit westlicher. "Wer von Kalligrafie nichts versteht, kann sie kaum schätzen. Ein Monet hingegen ist ein schönes Bild. Es ist einfach." Wohl auch deshalb stürzen sich westliche Sammler auf chinesische Zeitgenossen, die sich von den Konventionen chinesischer Kunst gelöst und das globale Kunstidiom angenommen haben. "In China gelten sie als seltsam und schwierig", so Wei. Das beiderseitige Lernen wird wohl noch eine Weile anhalten.

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