Kunstexperte:Groß sein genügt nicht

Art-Basel-Chef Marc Spiegler über Messemüdigkeit, die Lage der Kunstgalerien, die Ethik des Kunstmarkts und die Grenzen des Wachstums in seiner Branche.

Interview von Jörg Häntzschel

Dem Kunstmarkt geht es gut, aber der Druck steigt in allen Bereichen. Das liegt auch an den Messen. Wir sprachen darüber mit Marc Spiegler. Der 49-Jährige, der lange als Journalist gearbeitet hat, ist seit 2012 Global Director der Art Basel.

SZ: Zur Zeit ist viel von "Messemüdigkeit" die Rede. Was spüren Sie davon?

Marc Spiegler: Davon wird seit 15 Jahren geredet, trotzdem gab es nie so viele Messen wie heute. Dass manche Sammler weniger Messen besuchen ist einfach nur Teil einer natürlichen Entwicklung: Anfangs gehen sie vielleicht auf zehn Messen im Jahr. Sie lernen sehr viele Galerien und Künstler kennen. Später, wenn ihre Sammlung reift, gehen sie nur noch auf die Messen, die ihnen wirklich etwas bringen. Wenn wir unseren Galerien weiterhin geben wollen, was sie suchen, nämlich Sammler, ist es unsere Aufgabe, diese Leute in dem frühen Stadium zu identifizieren, sie auf unsere Messen zu bringen und dann dafür zu sorgen, dass sie unsere Messen auch später noch besuchen.

Und die Galerien?

Messen sind riesige Investitionen. Die meisten Galerien versuchen heute, an weniger Messen teilzunehmen. Andererseits steigen pro Messe ihre Umsätze. Da es schwer ist, Sammler in die Galerien zu bekommen, wird die Abhängigkeit von den Messen immer größer. Heutige Sammler haben viel weniger Zeit als die Leisure Class der Vergangenheit. Die Superreichen sind heute auch superbusy. Messen sind für sie ideal, weil sie dort in kurzer Zeit Hunderte von Galerien und Tausende von Künstlern scannen können.

Wir sehen unsere Messen als Gateway zu den Galerien.

Warum steigt der Aufwand der Galerien?

Früher genügte es, einfach nur da zu sein. Dann kam die Arbeit nach der Messe dazu, zwei Wochen, in denen man alle Leute anruft, die man getroffen hat und versucht, die Deals abzuschließen. Heute reicht auch das nicht mehr. Um Erfolg zu haben, muss man heute schon vor der Messe Kontakt mit Sammlern aufnehmen um sicherzustellen, dass Käufer von den Arbeiten wissen, die man mitbringen wird. Wenn Sie als Galerist die Art Basel in Hongkong machen wollen, müssen Sie jetzt jemanden nach Asien schicken, der mit Sammlern spricht und neue Sammler trifft.

Geht es den kleinen und mittleren Galerien wirklich so schlecht, wie es heißt? Und was können Sie dagegen tun?

Die jüngeren und kleineren Galerien haben es schwer zur Zeit. Es steht nicht in unserer Macht, die Dynamik des Markts zu ändern, aber wir tun, was wir können. Wir haben etwa die Standflächen in den jüngeren Sektionen reduziert, um die Stände billiger zu machen. Aber auch für die großen Galerien ist es nicht einfach. Sie stehen in Konkurrenz mit den Auktionshäusern und dem Secondary Market. Sie müssen sehr viel zu sehr hohen Preisen verkaufen. Nur groß zu sein, genügt nicht mehr.

Kunstexperte: „Für eine vierte Messe gibt es nicht genug gute Kunst.“ Arbeit von Alicja Kwade auf der Art Basel in Hongkong.

„Für eine vierte Messe gibt es nicht genug gute Kunst.“ Arbeit von Alicja Kwade auf der Art Basel in Hongkong.

(Foto: Art Basel)

Sie haben für ihre Galerien gerade Ethik-Richtlinien verabschiedet. Viele Punkte erscheinen allerdings selbstverständlich. Muss man Galeristen eigens ermahnen, kein Diebesgut zu verkaufen?

Ich glaube ja. Best Practice Guidelines wie unsere sind sehr wichtig. Es wird ständig behauptet, der Kunstmarkt sei völlig unreguliert. In Wahrheit gelten für alle Transaktionen dieselben Gesetze, die für jede andere Form des Handels gelten. Es gibt kein Äquivalent zur Börsenaufsicht. Aber bei Betrug, Diebstahl oder Vertragsbruch hat der Käufer eines Kunstwerks dieselben Rechte wie der Käufer eines Autos oder einer Immobilie. Die Behauptung, der Kunstmarkt sei unreguliert, stimmt so nicht. Es war uns wichtig, klar zu machen, wie Galerien operieren. Unsere Einschätzung ist, dass die allergrößte Mehrheit der Galerien genau so arbeiten wie wir es umrissen haben. Außerdem gibt es ja Weltregionen, in denen das Galerie-System noch neu ist, und wo der Kunsthandel keinen eingeführten Modus Operandi kennt.

Hat Ihre Expansion nach Hongkong diese Richtlinien nötig gemacht?

Nein, fast jede Galerie, die an unseren Messen teilnimmt, verfährt nach diesen Regeln. Aber es gibt Gegenden, wo die Geschäftspraktiken anders sind, wo die Leute nicht immer Rechnungen schreiben, wo Prinzipien aus anderen Branchen gelten. Das ist an sich kein Problem, aber es wird eines, wenn es einen Rechtsstreit gibt.

Ich hatte Sie so verstanden, dass Sie die Galerien auf Ihren Messen dazu bringen wollen, diese Regeln einzuhalten.

Die Art Basel Art Market Principles and Best Practices bestehen aus zwei Teilen. Bei den Best Practice Guidelines handelt es sich nur um Empfehlungen. Diesen Prinzipien zu folgen fördert das Vertrauen zwischen allen Beteiligten. Der zweite Teil des Dokuments besteht aus der Einführung eines "Legal Compliance Process", der nur eingeleitet wird, wenn gegen eine Galerie Anklage erhoben wird. Wir wollten einen transparenten Prozess etablieren, der von Rechtsexperten geleitet wird und nicht mehr von unserem Auswahlkomitee, das aus Galeristen besteht. Ziel ist, den Ruf des Kunstmarktes, der Galerien und der Art Basel zu schützen.

Wenn Sie erfahren, dass eine Galerie Gesetze bricht, sollten sie dann nicht lieber die Polizei verständigen, statt den Fall vor eine interne Kommission zu bringen?

Sollten wir erfahren, dass jemand etwas Gestohlenes verkauft, informieren wir natürlich die Behörden. Aber wir spielen nicht Polizei, Interpol oder FBI. In die einzelnen Transaktionen der Galerien haben wir keinerlei Einblick. Unsere Legal Compliance Panels entscheiden, ob Fälle, in denen bereits Anklage erhoben wurde, den Ruf der Messe und des Markts beschädigen. Ist das so, könnte eine Galerie unter Umständen von der Messe ausgeschlossen werden. Ich hoffe, dazu wird es nie kommen.

Marc Spiegler

Franco-Amerikaner mit Schweizer Pass: Marc Spiegler.

Sie sagten, die Annahme, der Kunstmarkt sei kaum reguliert, sei falsch. Was ist mit Antikenschmuggel? Mit Fälschungen? Mit den fragwürdigen Absprachen bei den Auktionshäusern?

"Reguliert" heißt, dass es Gesetze gibt - und es gibt Gesetze. Dass Leute zu schnell fahren, bedeutet nicht, dass es kein Tempolimit gibt. Natürlich ist der Markt reguliert. Deshalb werden Leute ja auch erwischt. Welche Regeln fehlen denn?

Es wird beispielsweise immer noch viel Kunst mit Bargeld bezahlt.

Kaum eine Galerie nimmt noch Bargeld in größeren Mengen. Die Risiken sind zu groß. Was macht man mit dem Geld? Bei der Bank kann man es nicht einzahlen.

Es ist leicht, ein Kunstwerk zu kaufen, es im Zollfreilager zu deponieren und ...

... was völlig konform mit den Gesetzen ist.

Nur sind die Gesetze oft ziemlich lasch.

Sind Sie sicher? Das behauptet sich leicht. Natürlich gab und gibt es Schmuggel und ähnliches, aber wir wissen nur davon, weil es Gesetze gibt. Ein Grund dafür, dass wir diese Richtlinien verfasst haben, ist die Tatsache, dass die Behörden heute viel genauer hinsehen und dass alle Beteiligten öfter vor Gericht ziehen, obwohl nur wenige dieser Klagen wirklich berechtigt sind.

Warum ist das so?

Der Markt ist größer und sichtbarer geworden. Mehr Leute machen Geschäfte mit Leuten, die sie nicht kennen. Außerdem zieht man in allen Bereichen der Gesellschaft schneller vor Gericht.

MCH, die Mutterfirma der Art Basel, hat Anteile kleinerer Messen erworben. Soll eine die vierte Art Basel werden?

Gute regionale Messen sind wichtig, um Galerien und Sammlerszenen aufzubauen. Dass die MCH sich dort engagiert, liegt unter anderem daran, dass bei der Art Basel kein Wachstum mehr möglich ist. Es wird keine vierte Messe geben.

Warum nicht?

Was die Art Basel definiert, ist die Qualität der Kunst. Und es gibt nicht genug gute Kunst für eine weitere Messe. Unser Modell ist es, in jeder Region die beste Messe zu haben. Würden wir eine vierte eröffnen, wäre sie entweder schwächer als die anderen drei, was unserer Marke insgesamt schaden würde, oder alle vier würden schwächer. Und es gibt einen zweiten Grund: Wir haben die beste Messe in Europa, die beste in Amerika und die beste in Asien. Afrika braucht noch Zeit. Der Nahe Osten ist schwierig wegen der Zensur und in der Antarktis sehe ich wenig Potenzial.

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