Kunsthandel:Goldrausch

damien hirst

Wie geschaffen für den Online-Kunsthandel: handsignierter Damien-Hirst-Siebdruck in 50er-Auflage.

(Foto: paddle8)

Online-Auktionen boomen, heißt es. Tatsächlich verdient außer Kitsch-Virtuosen kaum jemand - und was mehr als 100000 Dollar kostet, wollen die Käufer vorher sehen.

Von Ulrich Clewing

Die Zahlen sind beeindruckend. Laut einer neuen Studie betrug der Umsatz beim Online-Verkauf von Kunst im letzten Jahr 2,64 Milliarden Dollar. Bis 2018 soll der Betrag auf 6,3 Milliarden steigen, was einem jährlichen Zuwachs von etwa 25 Prozent entspräche. Eine zweite Studie, verfasst von der Kunstmarktexpertin Claire Andrews im Auftrag des Veranstalters der Kunstmesse Tefaf, prognostiziert für 2014 sogar 3,3 Milliarden Euro Umsatz - "konservativ geschätzt" .

Diese Summen machen einige nervös - vor allem jene, die fürchten, den Zug zu verpassen. In den letzten Jahren sind Online-Plattformen, die Auktionen im Internet abhalten, wie Pilze aus dem Boden geschossen. Dabei ist der Kunstmarkt um ein paar neue, fachfremde Akteure reicher geworden.

Der größte Teil des Kapitals, das in Websites wie Paddle8, 1stdibs, artsy oder artspace fließt, kommt als Risikoinvestment von sogenannten Angel Investors. Von Leuten also, die Geld in junge Unternehmen pumpen, weil sie deren Geschäftsidee für entwicklungsfähig halten, ohne zwangsläufig selber Expertise mitzubringen. Die eingangs erwähnte Marktstudie wurde von ArtTactic und der Hiscox Group erstellt. ArtTactic sitzt in London und ist auf dem Gebiet der Finanzberatung tätig. Hiscox hat mit Versicherungen zu tun, die Zentrale befindet sich auf Bermuda.

Diese Entwicklung können die Alteingesessenen nicht länger ignorieren. Seit einiger Zeit schon organisiert das 1766 gegründete Auktionshaus Christie's Online-Auktionen. Auch der ewige Konkurrent Sotheby's, bei dem mittlerweile der amerikanische Hedgefondsmanager Dan Loeb das Sagen hat, fand im Internet neue Freunde und kooperiert seit April mit Ebay. Was die eigene Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit zu der Einschätzung animierte, die Auktionen seien dadurch einer völlig neuen Kundschaft zugänglich: "145 Millionen aktiven Online-Käufern".

Man darf damit rechnen, dass das nur halbironisch gemeint war. Die Hoffnungen sind momentan so hochfliegend, dass sie eigentümliche Blüten treiben. Vor ein paar Tagen hat eine Wodka-Marke angekündigt, ebenfalls Kunst im Internet verkaufen zu wollen. Die Online-Auktion als Marketinginstrument für Hochprozentiges - auf unfreiwillige Art ist das fast komisch.

Betrachtet man die Zahlen genauer, bietet sich ein ernüchterndes Bild. Zwar stimmt es, dass Christie's den Umsatz jener Versteigerungen, die ausschließlich im Internet stattfinden, mehr als vervierfacht hat. Insgesamt aber macht das nur gut 20 Millionen Dollar aus, weniger als 0,3 Prozent der Einnahmen. Dazu kommt, dass beim Online-Kauf von Kunst offenbar eine unsichtbare Barriere existiert. Bei 100 000 Dollar ist Schluss. Stücke, die teurer sind, wollen die Interessenten nach wie vor lieber persönlich begutachten.

Doch auf artsy.net oder paddle8.com liegen die Preise oft noch deutlich darunter. Sie beginnen bei ein paar hundert Dollar und erreichen ihren Höhepunkt im vier- und niedrigen fünfstelligen Bereich. Dafür ist das Angebot denkbar breit gefächert, das meiste davon sind Werke mit großen Auflagen, Grafiken, Multiples oder Fotos aus dem Industrieprinter.

Eine Firma wie Artsy scheint da gerade umzudenken. Konnte man dort letzten Herbst noch auf Kuriosa wie die action figure des bekannten amerikanischen Kunstkritikers Jerry Saltz bieten, stehen auf der Seite zur Zeit Arbeiten von Richard Prince und Cecily Brown, die auf 350 000 Dollar geschätzt werden. Einstiegsgebote werden ab 250 000 Dollar akzeptiert, bisher liegen allerdings keine vor.

Kürzlich zitierte die New York Times aus einem dritten Marktbericht, in dem die Experten von Skate's, Veteranen der Kunsthandels-Analyse, für die vier größten Online-Auktions-Firmen auf Einkünfte von insgesamt 142 Millionen Dollar kommen - und weit entfernt von den eingangs erwähnten Zahlen. Diese Diskrepanz ist nur dadurch zu erklären, dass im Hiscox- und im Tefaf-Report Äpfel mit Birnen verglichen werden. Natürlich verzichtet heute kaum ein Händler auf einen Auftritt im Internet. Doch nicht jeder Verkauf, der per Email besiegelt, nicht jede Auktion, die per Livestream übertragen wird, taugt als Nachweis für den Paradigmenwechsel vom analogen zum digitalen Markt.

Die wahren Gewinner des Online-Kunsthandels scheinen derzeit andere zu sein: Jene Talente, die bei ernsthaften Auktionshäusern und etablierten Galerien nie eine Chance hätten - einfach, weil ihre Kunst von so erbärmlicher Qualität ist.

Vor nicht allzu langer Zeit berichtete das Online-Magazin von artnet auctions von einem Maler, der den Bekanntheitsgrad seiner Bilder über Instagram so steigerte, dass er mit dem Malen gar nicht mehr hinterher kommt. Jack Ede porträtiert in hyperrealistischer Manier Mitglieder von Boygroups. Inzwischen hat die "18-jährige Instagram-Sensation" (artnet magazine) die Schule geschmissen, um sich ganz auf die Bilderproduktion zu konzentrieren.

Ein anderer neuer Star diese Szene, Ashley Longshore aus New Orleans, verkauft nach eigenen Aussagen "weltweit zu fünf- und sechsstelligen Preisen" und zählt "Vorstandsvorsitzende" sowie "die Ex-Frau eines Rolling Stone" zu ihren Kunden. Longshore malt praktisch ausschließlich sich selbst, vor bunten Hintergründen, umgeben von Blumen und Schmetterlingen. Brutalkitsch zum Fremdschämen, aber hey, wir sind hier bei Instagram.

Doch auch die ambitionierten Wettbewerber im Online-Kunstmarkt haben es nicht so leicht, wie es Analysten auf der Suche nach lukrativen Betätigungsfeldern gerne sähen. Die Angst vor Fälschungen, die speziell bei Grafiken oft unklare Herkunft der Werke, fehlende Zustandsberichte und Preise, die noch intransparenter sind als im traditionellen Kunsthandel, das sind eindeutig Bremsen in der Aufwärtsbewegung. Womöglich liegen die Gründe für die großen Erwartungen und enormen Zahlen, die kursieren, woanders. Das Phänomen kennt man bereits aus der Zeit vor Erfindung des Internets. Damals hieß es Goldrausch.

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