Kunstausstellungen:Die Kunst befreien

Die Fondation Beyeler zeigt Bacon und Giacometti. Und das Kunstmuseum wird zum Experimentierraum des Künstlers Theaster Gates. Wie Basler Museen ihre Werke neu zelebrieren.

Von Katharina Wetzel

Museen lassen sich immer mehr einfallen, um ihre Kunst wieder neu erlebbar zu machen. Die Fondation Beyeler in Riehen spürt in der Schau "Bacon-Giacometti" die Gemeinsamkeiten der beiden Jahrhundertkünstler auf. Und das Kunstmuseum Basel wird in diesem Sommer zum Proberaum des Künstlers Theaster Gates.

Sie wurden von zwei Weltkriegen geprägt, liebten dieselbe Frau und wurden zu Legenden: Alberto Giacometti und der acht Jahre jüngere Francis Bacon treffen in der Schweiz, in der Gemeinde Riehen, aufeinander. "Auf den ersten Blick stellt man sich die Frage, was haben diese beiden Individualisten gemeinsam?", sagt Ulf Küster, der Kurator der Ausstellung. Giacometti bevorzugte Erdtöne, Gips und Ton und schuf spindeldürre Figuren. Bacon liebte laute Farben und fleischige Proportionen. Der eine war Kettenraucher, der andere Champagnertrinker.

In den Räumen des klaren Renzo-Piano-Baus mitten im Berower Park sind die Werke nach Themen inszeniert, die ein tiefer gehendes Verständnis erkennen lassen. Bei Giacometti sticht die überlange Gipsnase à la Pinocchio durch den Gitterraum, auf Bacons Leinwand schreit der Papst aus dem Käfig. "Beide hatten einen großen Sinn für Humor", sagt Küster beim Rundgang. Von bitterbösem Humor, aber auch von quälendem Selbstzweifel zeugen die Arbeiten. "Bacon malte auf der Rückseite. Denn er war sich nicht sicher, ob das gut ist, was er macht. Und Giacometti war fest davon überzeugt, dass er nur scheitern kann", erklärt Küster.

"Beide hatten einen Hang zur Obsession - sowohl in der Kunst als auch in ihrem Privatleben."

Die Muse Isabel Lambert, später Rawsthorne, die Männer und Frauen gleichermaßen anzog, beeinflusste beide stark. Ihr ist ein eigener Raum gewidmet. "Isabel Lambert hatte angeblich ein ausuferndes Leben als Liebhaberin; dass sie eine gute Künstlerin war, vergessen viele", sagt Küster. Der homosexuelle Bacon kokettierte damit, Isabel sei die einzige Frau gewesen, mit der er eine sexuelle Beziehung gehabt habe. Ein besonderes Erlebnis mit ihr hatte Giacometti, als er sie 1937 um Mitternacht auf dem Boulevard Saint-Michel in Paris sah.

Bacon

Michel Leiris war ein Freund von Bacon und Giacometti. In dem Porträt von 1976 verdreht Bacon sein Gesicht. The Estate of Francis Bacon. All rights reserved/2018, ProLitteris, Zurich; Foto: Centre Pompidou, MNAM-CCI, Dist. RMN-Grand-Palais/Bertrand Prévost

Fortan geht ihm das Bild nicht mehr aus dem Kopf. Er schafft eine Reihe von Plastiken, die immer kleiner werden und die Distanz zu Isabel auf der anderen Straßenseite symbolisieren. Auch Bacon überhöht Isabel auf seine eigene Weise. Bei ihm wird sie zum (männermordenden) Raubtier, ihr Gesicht ist verdreht und zerknautscht. "Beide hatten einen Hang zur Obsession - sowohl in der Kunst als auch in ihrem Privatleben", sagt Küster. Giacometti zwang seine Modelle, tagelang ruhig zu sitzen. Die Prostituierte Caroline hielt dies nur aus, weil Alberto ihr ein Auto versprach. Was bei Giacometti still und subtil unterdrückt wird, ist bei Bacon durch die exzessive Farbigkeit offensichtlicher. Beide liebten die Gewalt. Giacometti malträtierte seine Figuren mit einem Messer, Bacon verpasste seinen Porträts Hiebe mit dem Pinsel.

Existenzielle Ängste, Einsamkeit und Schmerz, Sexualität und Gewalt, Leben und Tod - es geht in der Ausstellung um die großen Fragen. Auch Begegnungen der beiden Künstler, die der Fotograf Graham Keen festhielt, sowie Installationen, die die winzigen, aber chaosreichen Ateliers der Künstler zeigen, sind in der beeindruckenden Schau mit rund 100 Exponaten zu sehen. "Die Versicherungswerte sind verrückt hoch", meint Küster beim Anblick einer fragilen Giacometti-Figur. Hauptleihgeber ist die Fondation Giacometti aus Paris. Zudem nutzte die Fondation ihr ausgezeichnetes Netzwerk, das unter dem Gründer und Galeristen Ernst Beyeler entstand, der einst bis zu 50 Bacon-Werke verkaufte. Finanziert wird die Fondation durch Einnahmen des Museums, Sponsoring und die Zuwendungen des Kantons Basel-Stadt. "Wir sind das meistbesuchte Kunstmuseum der Schweiz", sagt Küster. Architektur, Kunst und Natur gehen hier eine Symbiose ein. Im Park vertreiben sich die Besucher die Zeit, blicken auf weidende Kühe und Weinberge. Auf einem benachbarten Grundstück sind Erweiterungsbauten von Peter Zumthor geplant. Kunst erleben - diesem Motto folgt auch das Kunstmuseum Basel. Direktor Josef Helfenstein hat dafür den afro-amerikanischen Künstler Theaster Gates nach Basel geholt. Mehrere Male war dieser schon in der Rheinstadt, um seine erste große Einzelausstellung vorzubereiten, die hier vom 9. Juni an in zwei Gebäuden des Kunstmuseums zu sehen ist. Theaster Gates rettet etwa alte Häuser vor dem Abriss und erweckt sie zu neuem Leben.

Ausstellungen

Die Ausstellung Bacon-Giacometti läuft bis 2. September 2018 in der Fondation Beyeler. Öffnungszeiten: Montag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr, mittwochs von 10 bis 20 Uhr; das Ticket kostet 28 Franken, unter 25 Jahren ist der Eintritt kostenlos. https://www.fondationbeyeler.ch/

Das Kunstmuseum Basel zeigt die Ausstellung Theaster Gates vom 9. Juni an bis zum 21. Oktober 2018. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr. Ticketpreis 26 Franken, ermäßigt 13 / 8. https://kunstmuseumbasel.ch/

"Kunst im Elfenbeinturm macht keinen Sinn. Sie muss zur Verbesserung des Lebens beitragen. Das ist der Ansatz von Theaster Gates", erklärt Helfenstein. Im Mittelpunkt der Ausstellung steht die schwarze Madonna, die in der Black-Power-Bewegung in den USA zur Ikone wurde. Theaster Gates transformiert ihre Bedeutung ins Heute. Michelle Obama oder die Sängerin Beyoncé werden so zur zeitgenössischen Inkarnation der Black Madonna. "Die Ideale von Theaster Gates passen zu der DNA von Basel, einem Ort, wo Humanismus, Forschung und Dialog eine lange Tradition haben", sagt Helfenstein.

Auch alte Meister aus dem Kunstmuseum sollen neu entdeckt werden, wie etwa eine Mariendarstellung von Maerten van Heemskerck von 1530, die Theaster Gates neu zelebriert. "Es ist eine ungewöhnliche Mariendarstellung, keine keusche Jungfer, die sich verzückt der himmlischen Erlösung hinwendet, sondern eine Frau, die den Betrachter fast schon herausfordernd ansieht", meint Olga Osadtschy, Assistenzkuratorin beim Kunstmuseum Basel.

"Das Museum wird aktiviert, es wird zu einem Ort der Aufführung", sagt Helfenstein. Theaster Gates wird in der ersten Woche der Ausstellungseröffnung anwesend sein. Am 11. Juni wird der Künstler mit seiner Band, den Black Monks of Mississippi, spielen. Darüber hinaus gibt es musikalische Duette mit dem Jazzcampus Basel, eine sonntägliche Predigt im Münster und ein Projekt mit der Basler Papiermühle. So will Theaster Gates die Ausstellung aus dem Museum "befreien".

Ohne private Geldgeber könnte das Haus solche Projekte nicht machen. "Ein Experiment, das uns intellektuell und logistisch so herausfordert, hatten wir noch nie", sagt Josef Helfenstein.

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