Kunst:Wir sind die Roboter

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Mannequins und Menschmaschinen - die Kunst entdeckt die Puppe wieder. Das sagt viel über unsere Zeit und darüber, wie sich das Verhältnis der Menschen zu Androiden verändert hat.

Von Catrin Lorch

Es ist der Moment, in dem der Roboter, der so lebendig wirkt, die Arme sinken lässt. Es scheint, als bitte er um Verzeihung. Da ist ein Zwinkern um seine Augen, die wie auf der Suche nach dem Blick des Betrachters durch den Raum schweifen. Er wirkt müde, als er zu sprechen anhebt. "I can fix myself", sagt er, also dass er das selber wieder hinkriegt.

Er ist unübersehbar ein Roboter, er ist ja nackt. So wie Goshka Macuga ihn im Schinkel-Pavillon in Berlin ausstellt, sieht man Metallstücke, einen langen Reißverschluss, Kunststoffplatten. Die polnische Künstlerin hat die Figur mit dem Titel "To The Son of the Man who Ate the Scroll" in diesem Jahr bei einem der weltweit führenden Labore für Robotertechnik in Japan fertigen lassen. Das schöne Gesicht mit den weit auseinanderstehenden Augen ist ein Ebenbild ihres Partners Nabil Bouhir.

Eine Skulptur aus Gentechnik und 3-D-Druck als Kommentar zur "vierten Revolution"

Macugas Roboter ist kein singuläres Werk. Er ist Teil einer neuen Strömung. In Berlin verfremdete Isa Genzken für ihre Ausstellung im Martin-Gropius-Bau Schaufensterpuppen mit Sonnenbrillen, Fahnen, Schirmen. In New York feierte man die Installation "Colored Puppet", bei der Jordan Wolfson eine überlebensgroße Gliederpuppe von Ketten durch den Raum schleudern ließ. Ja, es wird immer deutlicher: Die Puppen sind wieder da. Nachdem sie für mehr als ein halbes Jahrhundert aus der Kunst verschwunden waren.

Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts geisterten die Puppen in der Form von Mannequins und Menschmaschinen noch als Menetekel des anbrechenden Maschinenzeitalters durch Kunst und Literatur. Eine Rolle, die sie in der Science-Fiction, vor allem im Film, auch dann noch behielten, als sich die Kunst längst der Abstraktion und der Warenwelt der Pop Art zugewandt hatte.

Die Surrealisten holten dann die Puppen aus den Schaufenstern, verkleideten sie oder zogen sie nackt aus, fotografierten sie. Mit den makellosen Linien ihrer glatten Figur und ihrer harten Kunststoffhaut waren sie schön und schrecklich zugleich. "La Poupée" hießen die Mädchenkörper, die Hans Bellmer in den Dreißigerjahren modellierte, nur um ihnen doppelte Glieder und Gelenke aufzustecken und sie in noch gespreizteren, verdrehteren, verknoteteren Posen zu fotografieren. Dabei waren die Mannequins und Mädchenpuppen einerseits den Fantasien der Künstler ausgeliefert. Andererseits ließen sie ihre Betrachter auch immer an der spiegelnden Härte von Kugellagern, Metallpanzern und Robotik abprallen. Die Gender-Theorie und Kulturgeschichte lieben sie denn auch als Wiedergänger der Angst vor der gerade erst entdeckten Sexualität der Frau.

Heute stehen die Puppen für eine andere Zeit, für eine andere Debatte. Die einst mythische oder fantastische Figur der androiden Menschmaschine ist viel realistischer geworden. Künstliche Intelligenz und Robotik bewegen sich in Wissenschaft und Technologie in atemberaubendem Tempo aufeinander zu. Der Theoretiker Ray Kurzweil, der die Überlegenheit der Menschmaschinen schon 1990 mit seinem Buch "The Age of Intelligent Machines" einklagte und eine "transhumanistische Ära" verkündete, gilt längst nicht mehr als reiner Spinner.

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(Foto: Andrea Rossetti/Courtesy Fondazione Prada)

Ecce Robo: Die Puppe von Goshka Macuga trägt die Gesichtszüge ihres Lebensgefährten.

Die weiteren Fotos zeigen Mimik und Gestik der Puppe.

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(Foto: ML Marchand/Courtesy Fondazione Prada)
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(Foto: ML Marchand/Courtesy Fondazione Prada)
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(Foto: ML Marchand/Courtesy Fondazione Prada)

Auch die Kunst setzt sich mit diesem technoiden Menschenbild auseinander, ja sie umarmt die neuen Technologien buchstäblich. Künstler verwenden Kunststoffe der Filmtechnik und Ersatzprodukte der Chirurgie. Oder lassen Maschinen auftreten, die nicht mehr ideal oder übermenschlich, sondern allzu menschlich erscheinen.

"The Critic", die Puppe, die Rosemarie Trockel im letzten Raum einer Retrospektive in Bregenz aufstellte, um die Besucher zu verabschieden, sieht aus wie ein freundliches, etwas indifferent dreinblickendes niederländisches Mädchen. Die Künstlerin konnte die Augenfarbe wählen, auch die Haare. An ihrer Oberfläche gleitet das Begehren nicht mehr ab - weil sie weich ist, zarter modelliert als frühere Puppen, so lebendig durchgefärbt wie echte Haut. Genauso wie die Augen des "Man Who Ate the Scroll" nicht gläsern in die Welt starren. Diese Puppen haben das Verwirrspiel aufgegeben. Nein, sagt ihre Erscheinung, ich bin kein Mensch. Aber ich bin so weich wie Silikon und so wohlriechend wie eine ladenfrische Babypuppe.

Deswegen wirken auch die zwölf Masken, die im vergangenen Januar für drei Tage beim Wirtschaftsforum in Davos ausgestellt wurden, gar nicht mehr entsetzlich, obwohl sie frappierend an die Totenmasken erinnern, die man vor der Erfindung der Fotografie Verstorbenen abnahm. Sie zeigten das Gesicht von Chelsea Manning, das bis auf ein paar Gefängnisinsassen und Wärter noch niemand gesehen hat. Chelsea Manning ist jetzt der Name des Soldaten Bradley Manning, der zu 35 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, weil er mehr als 70 000 Dokumente an Wikileaks weitergegeben hatte. In der Haft hat er sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen. Bis zur Entlassung darf sie nicht fotografiert werden. Die Künstlerin Heather Dewey-Hagborg gibt an, sie habe für ihre Serie von zwölf Porträts die Möglichkeiten der Gentechnik mit der Leistungskraft des 3-D-Druckers gekoppelt. Der Rohstoff dieser Bildhauerin waren eine Haarprobe und etwas Spucke. Die Kuratoren, die vom Weltwirtschaftsforum in Davos eingeladen waren, schrieben dazu: "Die vierte industrielle Revolution ist von einer Fusion der Technologien gekennzeichnet, die alle Grenzen zwischen physikalischen, digitalen und biologischen Sphären auflösen."

Prothesen sind hochwertiger und leistungsstärker als der menschliche Körper

Da nähert sich der Fortschritt dem Moment an, den Horst Bredekamp in einem Aufsatz zur Ausstellung "Puppen, Körper, Automaten" ankündigte: "die Verbindung von Mensch und Maschine zum biomorphen Automaten". Ding und Körper verschmelzen, die Technik kriecht dem Menschen unter die Haut, seine Einzelteile werden ersetzt. Durch Prothesen, die hochwertiger und leistungsstärker sind als der Körper. Der Cyborg, die Figur, die aus menschlichen und künstlichen Teilen zusammengesetzt ist und die die Biologin Donna Haraway erstmals im Jahr 1958 in ihrem "Manifesto for Cyborgs" beschrieb, wird Alltagsrealität. Auch das hält die Puppe besser aus als der Mensch: "Die Tatsache, dass sie manipulierte Puppen sind, ist eine existenzielle Sache", sagte der Regisseur Charlie Kaufman, in dessen jüngstem Film "Anomalisa" im vergangenen Jahr Puppen auftraten. "Du weißt, dass jemand sie manipuliert - sie wissen es nicht." Und wenn der Künstler Andro Wekua seinem aus Metall, Kunststoff und ein paar Sportklamotten geschaffenen Mädchen einen Roboter-Arm aufsteckt, dann verändert das die Natur der Puppe nicht.

Während die Puppe also in der Vergangenheit so etwas wie das Bildnis war, das man aufhängte, verbrannte oder anbetete, das Künstler begehrten, fotografierten, verzierten, ist sie jetzt kein Stellvertreter mehr, sondern wird zur eigenen, nichtmenschlichen Person. Lange war es ihr größter Nachteil, dass sie nicht lebt. Aber jetzt, wo sich die Dinge mit dem Lebendigen verbinden, ist ihre künstliche Natur der menschlichen voraus. Henry James beschrieb in der Erzählung "Rose-Agathe" Ende des 19. Jahrhunderts die Leidenschaft eines Mannes für eine Friseurpuppe. Er beschrieb, wie der Strass-Schmuck, den der Besessene kauft, gar nicht wie ein Ersatz wirkt.

Maschinenkraft? Sexualität? Die Suche nach der Seele des Automaten? Geschenkt

Charlie Kaufman sagt auch, dass Entfremdung das große Problem unserer Kultur geworden sei. Er glaube, dass das eine Menge mit den sozialen Medien und Computern zu tun habe, dass die Interaktion der Menschen immer weniger authentisch wirke. "Aber das ist die Straße, auf der wir gerade unterwegs sind, und man kann daran nichts ändern."

Wohl aber die Puppe. Die meistert den Übergang zwischen zwei und drei Dimensionen mit Anmut, beim Umzug in die virtuelle Welt wird sie uns über die Schwelle helfen. Da aber finden die Kunst und die Bildhauerei zu alten Rollen zurück.

Als Donatello in der Mitte des 15. Jahrhunderts in Florenz in seinem David die erste frei stehende Menschenfigur seit der Antike aufstellte, mussten sich die Menschen der Renaissance gerade an den Gedanken gewöhnen, nicht im Mittelpunkt einer Schöpfung zu stehen. Chelsea Mannings Maske blickte 3000 Wirtschaftsführern aus der ganzen Welt entgegen, als die sich der Frage "Mastering the Fourth Revolution" stellten, also wie man irgendwie Herr der Dinge bleibt, wenn es nicht mehr um die Entwicklung der Technik geht, sondern um die eigene Haut.

Maschinenkraft? Sexualität? Das Unheimliche und die Suche nach der Seele des Automaten? Geschenkt. Die Puppe ist in der Kunst von heute das Ideal. Sie muss nicht mutieren zum Zwitter oder zum Hybridwesen. Sie ist ja schon Teil dieser Welt der Dinge, die jetzt in uns hineinkriechen, sich an uns festkrallen, mit uns verschmelzen. Wir werden das aushalten müssen und nehmen deshalb schon mal Maß. Diesmal, so sagt der Chor der Puppen, diesmal geht es nicht nur um eure Ängste, diesmal geht es um euren Körper.

© SZ vom 03.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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