Kunst:Wer hat's erfunden?

Picabia Francis

"Tableau Rastadada" von Francis Picabia, 1920 Collage und Tinte auf Papier, 19 x 17,1 cm

(Foto: The Museum of Modern Art, New York/Kunsthaus Zürich/VG Bild-Kunst, Bonn 2016)

Francis Picabia und Marcel Duchamp haben in New York schon Dada betrieben, als es noch gar kein Wort dafür gab. Nur hat das in Europa niemand mitbekommen.

Von Peter Richter

Kann es sein, dass die Entsprechung zu Dada in der Musik Punk heißt? Ist das Zufall, dass auch im Punk so viel mit Collagen gearbeitet wurde, auf den Plattencovers und auf T-Shirts? Sollte nicht Punk ein Stinkefinger in Richtung Kunstpathos in der Popmusik sein - so wie Dada zum Kunstpathos in der Kunst?

Vielleicht kann man dann auch sagen, dass sich das mit Dada in New York und Dada in Zürich ein bisschen so verhielt wie sechs Jahrzehnte später mit dem Punk in New York und Punk in London. New York war früher dran damit, aber größer wurde die Sache in der anderen Stadt. Ein Jahr, bevor er in London die Sex Pistols schuf, war Malcolm McLaren in Manhattan und hat für die New York Dolls gearbeitet. Ein Jahr bevor in Zürich Dada erfunden wurde, hatten es Francis Picabia und Marcel Duchamp schon in New York erfunden, allerdings bekam das in Europa keiner mit. Die Dadaisten aus der Zürcher Spiegelgasse hätten bis 1917 oder 1918 nicht mal geahnt, dass in New York völlig unabhängig eine Parallelentwicklung ablief, wird Hans Richter später melden. Und die beiden Franzosen in ihrem New Yorker Exil nannten es auch noch nicht Dada damals. Bei der Armory Show von 1913 hatten sie beide schon einmal einen ersten Auftritt in New York gehabt, damals noch in der Rolle von malenden Futuristen, Duchamp mit dem "Akt, eine Treppe herabsteigend", Picabia mit der "Prozession in Sevilla".

Man Ray konstatierte, New York sei selber Dada und dulde kein Dada neben sich

Aber zwei Jahre später hatte der Weltkrieg weite Teile ihres Landes selbst in futuristische Splitterlandschaften verwandelt, und Picabia, der sagte, dass es ihm weniger darum ging, nach New York zu kommen, als einfach nur darum, Paris und damit auch seiner bisherigen Karriere möglichst weit zu entfliehen, Picabia versenkte sich hier in Drogen- und Sexorgien, tauchte gelegentlich mit technischen Zeichnungen von Zündkerzen daraus wieder hervor, die dann als amerikanische Girls tituliert wurden, und hatte schließlich 1915 in der Galerie des Fotografen Alfred Stieglitz jene kleine Ausstellung, die heute als Beginn von "New York Dada" gilt. Zu dem Netzwerk von Künstlern, das unter diesem Begriff gefasst wird, gehören heute eher lokal bekannte Namen wie Morton Schamberg, Walter Pach, John Covert, Arthur Dove, aber auch ein sehr bekannter: Emmanuel Rudnitzky aus Brooklyn, genannt Man Ray.

Zu den Dada-Frauen gehörten Beatrice Wood, die "Mama of Dada", ferner die deutsche Multiperformerin Else Plötz, die sich zu jenem Zeitpunkt bereits Baroness Elsa von Freytag-Loringhoven nennen konnte, aber trotzdem immer in prekären Verhältnissen agierte. Und in gewisser Weise natürlich auch Rrose Sélavy, das weibliche Alter Ego von Duchamp, der in exakt jenen Jahren von New York Dada durch Einspeisung seiner sogenannten Readymades in den Ausstellungsbetrieb der Objektkunst den Boden bereitete, wobei das berühmteste davon, das signierte Pissoir "Fountain" von 1917, auf eine Idee von Elsa von Freytag-Loringhoven zurückgehen soll, zu deren manchmal etwas derbdeutsch skatologischem Humor es auch tatsächlich besser passt. Jedenfalls entstanden in New York damals Arbeiten, die den alten Repräsentationsapparat Tafelbild noch ein bisschen grundsätzlicher durchbrachen als die in Europa. Die intellektuell womöglich auch noch ein wenig herausfordernder waren als Dada in Zürich oder in Berlin. Und womöglich auch von noch stärkerer Wirkung auf spätere Entwicklungen. Dass New York Dada die leibliche Mutter der New York School und der Pop Art war, wäre zu viel gesagt, aber die Rolle einer einflussreichen Großtante wird man nicht bestreiten können.

Wenn also Zürich für Dada das darstellte, was London für den Punk war, dann war New York Dada gewissermaßen nicht nur der Proto-Punk, sondern auch gleich der Post-Punk für die Anspruchsvolleren.

Als Erfolgsgeschichte kam es den Protagonisten trotzdem nicht vor: Dada sei in New York nicht lebensfähig, schrieb Man Ray im Juni 1921 an den Kollegen Tristan Tzara nach Paris. New York sei selber durch und durch Dada und dulde kein Dada neben sich. Anders als im gediegenen Zürich fehlte im chaotischen, lauten New York offenbar das Kontrastmittel, um überhaupt aufzufallen. Es fehlte das Publikum, und daher fehlte auch ein Markt. New York Dada, resümierte Ray, werde nur durch die Patronage einiger armer Freunde getragen. Geld machen lasse sich damit nicht, und so könne das nicht weitergehen.

Und diese Einsicht ist am Ende das New York-typischste an New York Dada. Nicht wenige Punkbands können hier ein Lied davon singen.

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