Kunst:Was bei Google oben steht

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Migration, Asyl, Ökonomisierung: Die Ausstellung über politischen Populismus in der Kunsthalle Wien ist auch eine globale Krisenbeschreibung.

Von Georg Imdahl

Wenn sich dieser Tage eine Ausstellung "Politischer Populismus" nennt, darf man ihr Thema brisant und wahrlich aktuell nennen. Es hält Europa so sehr in Atem, dass sogar der Nutzen eines linken Populismus wieder lebhaft diskutiert wird. "Deutsch statt nix versteh'n", "Daham statt Islam", "Heimatliebe statt Marokkaner-Diebe" - mit solchen Parolen wird das Wahlvolk in Österreich, leider erfolgreich, seit Jahren geködert. Auf gruselige Weise bestätigen solche Entgleisungen eine Wiener Performance von Christoph Schlingensief, die die Ressentiments gegen Asylanten schon vor fünfzehn Jahren mit großem Fangnetz eingesammelt hatte: "Bitte liebt Österreich". In einem makabren Stück partizipatorischer Kunst anlässlich der Wiener Festwochen konnte das Volk eine Woche lang - nach Vorbild von Big Brother - jeden Tag zwei Asylanten aus einem Wohncontainer herauswählen und damit aus dem Land abschieben. Bald brach unter den Klickzahlen auf der entsprechenden Homepage der Server zusammen.

Im selben Jahr 2000 fiel in der Warschauer Zachęta-Galerie die Skulptur "La Nona Ora" (Die neunte Stunde) von Maurizio Cattelan einem gezielten Akt von Ikonoklasmus zum Opfer. Zwei Politiker zerstörten die Figur des von einem Meteoriten getroffenen Papstes Johannes Paul II. und riefen damit einen Eklat hervor, der bis heute nachhallt. All die Skandale im Kulturbetrieb, die seitdem von polnischen Sittenwächtern angezettelt wurden (soeben wurde in Breslau wieder einer um Elfriede Jelineks Dramenzyklus "Der Tod und das Mädchen" entfacht), heftet die in London lebende Goshka Macuga in Form von Zeitungsausschnitten auf eine riesige Pinnwand, außerdem reagierte sie auf den Warschauer Vandalismus mit einer "Familie", die die traditionellen Werte im katholischen Polen ironisch ins Monumentale und Groteske überhöht. So thront die gigantische Gruppe jetzt inmitten der Ausstellung über "Politischen Populismus" in der Kunsthalle Wien.

Die Schau weist jeglichen Anschein von Aktivismus von sich, sie eröffnete nach der jüngsten Wahl des Wiener Rathauses, auch finden sich nirgends Namen und Unwesen von Protagonisten wie Marine Le Pen, Victor Orbán, Geert Wilders oder Beppe Grillo. Die Ausstellung empfiehlt sich in einem internationalen Stil globaler Krisenbeschreibung, die Künstlerliste deckt die problembeladene Gegenwart von Europa und den Vereinigten Staaten über Libanon bis nach Asien ab. Nicolaus Schafhausen, Direktor der Kunsthalle, will zu den Auslösern und Ursachen jener Erscheinungen vorstoßen, die sich für die propagandistische Vereinnahmung und Vereinfachung anbieten wie namentlich Migration, Asyl und die Auswüchse des Neoliberalismus.

So generiert sich "Factory of the Sun", der diesjährige Beitrag der Künstlerin Hito Steyerl auf der Kunst-Biennale in Venedig, trendgerecht, überflutet die Sinne mit seinem computeranimierten Look und kritisiert eine totale Ökonomisierung des modernen Lebens. Sogar Stimmungsmache lässt sich kaufen, lernen wir bei der Russin Anna Jermolaewa. Die in St. Petersburg geborene Künstlerin hat bei der Moskau-Biennale hundert Personen engagiert, die erst für die zeitgenössische Kunst demonstrieren, dann gegen sie. Nach getaner Arbeit, so zeigt es das Video der Performance, tragen sich die Claqueure in Lohnlisten ein und erhalten ihr Honorar.

Der Chinese Jun Yang erzählt, wie er nach Europa kam und mit dem Wiener Schnitzel aufwuchs

Zur Wiener Ausstellung zählen Fehlentwicklungen wie die weltumspannende Überwachung durch Geheimdienste, auch wenn diese im gesellschaftlichen Mainstream bislang erstaunlich gleichgültig hingenommen wird. So ganz wird bei Trevor Paglens Doppelkanal-Video "89 Landschaften" nicht klar, welche Funktion ihm innerhalb der Schau zukommen soll, auch wenn es definitiv lohnend ist: Eine ausführliche Recherche geheimer Observatorien lässt der Amerikaner in großartige, nur scheinbar unschuldige Bilder münden. Sie entstanden während seiner Mitarbeit an der mit einem Oscar ausgezeichneten Dokumentation "Citizenfour" über Edward Snowden. Schließlich ufert die Ausstellung bis zum Selbstdesign in den sozialen Medien aus, das uns am Ende offenbar als Populisten in eigener Sache entlarven soll.

So erzählt der 1975 im südchinesischen Qingtian geborene Jun Yang, wie er nach Europa kam und als Junge mit dem Wiener Schnitzel aufwuchs. Mit Allerweltsvokabeln verschlagwortet der in Wien, Yokohama und Taipeh lebende Künstler seine Biografie und illustriert sie - austauschbar, aber eben auch seltsam glaubwürdig - mit den erstbesten Bildern, die bei Google oben stehen. Das erzählt tatsächlich etwas von einer medialen Welt, die auf diese Weise entdeckt wird. Johanna Kandl wiederum kombiniert in Bildern, die sie nach Fotos gemalt hat, Momentaufnahmen des Prekariats mit Phrasen des Kapitalismus und reflektiert damit die leeren Versprechungen der Globalisierung.

Man sucht erkennbar Distanz zu jener politischen Aktualität, die die Ausstellung so vielversprechend erscheinen lässt und an deren Dringlichkeit sie, ob sie es will oder nicht, auch gemessen wird. Zugleich flirtet sie mit dem Klischee von Populismus, indem sie sich in dröhnender Kakofonie übt, und sie kokettiert mit "zwangsläufig" enttäuschten Erwartungen, die sie mit ihrem erklärtermaßen "plakativen" Titel schürt. Dabei müsste die Ausstellung ihre eigenen Erwartungen durch Bilder klarer formulieren. Ihren Titel könnte man durch einen anderen ersetzen wie "Die Globalisierung und ihre Herausforderungen" oder so - ändern würde sich dadurch wenig. Der politische Populismus wird uns erhalten bleiben. Dem Ausstellungsbetrieb auch.

Politischer Populismus. Kunsthalle Wien, bis 7. Februar 2016. Katalog in Vorbereitung. www.kunsthallewien.at

© SZ vom 14.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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