Ausstellung "Hello, I love you":Von wegen Häuserkampf

Daniel Richter Gonzo, 2015

Daniel Richter: "Meine Malerei ist interessant, weil die Farbe bei mir etwas tut, was sie bei anderen nicht tut." Hier sein Gemälde "Gonzo, 2015".

(Foto: Daniel Richter/VG Bild-Kunst, Bonn 2015)

Daniel Richter hat drei Jahre nicht ausgestellt. Nun zeigt er seine neuen Werke in der Frankfurter Schirn. Virtuos und großformatig sind seine Bilder nach wie vor. Aber ist er noch politisch?

Von Catrin Lorch

Kommt ein Maler aus dem Urlaub. Im Atelier stehen noch angefangene Leinwände. Aber die kleinen Geister, die er vor seiner Abreise darauf verteilt hatte, erscheinen ihm öde. Und er legt den Pinsel aus der Hand. "Ich sah sie und hatte das Interesse an ihnen verloren."

Drei Jahre brauchte Daniel Richter nach dieser Heimkehr. Hat neu angesetzt. Ohne Pinsel. Denn um neu anzusetzen, hatte sich Daniel Richter vom Werkzeug seiner alten Virtuosität verabschiedet und sich Farbspachtel und Ölkreide verordnet. Jetzt ist seine Ausstellung der richtige Anlass, Malerei neu anzuschauen. Neu nachzudenken: über Material und Stilfragen, Formate, Zeitgenossenschaft und Historienbilder.

Denn die Leinwände von Daniel Richter, geboren 1962, boten seinem Publikum diesen Mehrwert; dass man Politik und Haltung und Zeitgeschichte auch genießen kann, in radikalen Motiven.

Daniel Richter, das war Street Credibility, Freundschaft mit Hamburgern wie Schorsch Kamerun oder Rocko Schamoni. Und auf den Leinwänden, leuchtend und schnell wie Graffiti, erkannte, wer wollte, Straßenkampf und Kaufhausbrand. Romantisch und psychedelisch, ironisch auch.

Es irritiert, dass sich so einer für die Vernissage seiner neuen Bilder ausgerechnet die Frankfurter Schirn aussucht, eine Ausstellungshalle, die eher Gegensätze wie knallig und bieder erfolgreich zusammenbringt.

Umrisslinien: wie die Kreidefiguren auf dem Asphalt nach einem Unfall

Gleich zwei große Oberlichtsäle hat man Daniel Richter dort frei geräumt, was auch notwendig ist, die meisten der 22 Bilder sind sehr große Querformate. Daniel Richter hat sie rhythmisch gehängt, da braucht man Raum für zwei, drei Motive nebeneinander. Damit eine Stimmung aufflackert, die, wären die Bilder Landschaften, der sanft abwartenden späten Abenddämmerung entspricht.

Auf den Bildern zeichnen sich Figuren ab, knäuelige Begegnungen, aus denen zarte Körper nur auftauchen, als träten sie gerade hinzu. Oder blickten kurz zurück. Titel helfen, wo man sich bei der Identifizierung nicht sicher ist: "Die ungeilen Jünger" oder "Asgar, Bill und Mark" beispielsweise.

Wo der Maler auf Figuren verzichtete, wird man, jedenfalls solange diese Serie beisammen ist, deren schattenhafte Abwesenheit spüren. Umrisslinien markieren auf abgeschrubbtem, porigem Grund ihren Ort, so wie nach einem Unfall die helle Kreide auf dem Asphalt: rosa Nachbilder auf fiesem Zinkgelb. Im Titel geben sie sich evokativ, "Werden die Roten die Schwarzen schlagen?".

Virtuosität allein ist nicht genug

Es sind Gemälde, mit denen Daniel Richter, der sich erst kurz vor dem dreißigsten Geburtstag an der Kunstakademie einschrieb, direkt in die Nachbarschaft von international gefeierten Malerstars wie Albert Oehlen malt, nah an Thomas Scheibitz oder Kai Althoff und Peter Doig.

Da sollte die Szene mit ungebrochener Begeisterung antworten, sollte man meinen. Aber - nicht einmal die Katalogtexte freuen sich einfach nur an der Virtuosität, der verspielten Schönheit und den beweglichen Effekten. Sie erklären: dass Daniel Richter, der jetzt so erwachsene Malerei praktiziert, immer noch auch der Alte sei, radikal, lustig und anarchisch. Dass "das Politische" noch vollumfänglich da sei.

Politik der Leinwand

Es ist eine sehr deutsche Sehnsucht, die sich nicht nur nach Gerhard Richters konzeptuell-grauweißen Medienreflexionen erhoben wissen will. Sondern auch nach bunt aufflammendem Expressionismus giert, nach Figuren und Zeitgeschichte und "Café Deutschland", wie Jörg Immendorff eines der Lieblingsschlüsselbilder deutscher Nachkriegsmalerei taufte.

Und während Richters Exegeten im Katalog unter Überschriften wie "Malerei Guerillero" den alten Ungeist in die neue Flasche bannen wollen ("Auch mit seinem Ausstellungstitel 'Hello, I Love You' nimmt Daniel Richter künstlerische, historische und gesellschaftliche Fragestellungen auf."), erklärt dieser in Interviews: "Es ist egal, ob ich einen alten Punker male, eine Stahlfaust oder eine abstrakte, lyrische Komposition. Meine Malerei ist interessant, weil die Farbe bei mir etwas tut, was sie bei anderen nicht tut."

Die "anderen", das sind nicht nur die Zeitgenossen, das sind die Älteren. Asger Jorn und Francis Bacon und Mark Rothko vielleicht, deren Vornamen in Bildtiteln auftauchen? Denn während das Publikum Malerei inzwischen - wie die junge Kunst der Biennalen - politisch als Kommentar und Kommunikation begreifen will, ist die Politik der Leinwand immer auch gegen die gerichtet, die gar keine Zeitgenossen mehr sind.

Kann sein, dass Daniel Richter gerade eine Demo malt. Aber vielleicht demonstriert er auch selbst gerade, vor Francis Bacon beispielsweise, der als Großmeister des 20. Jahrhunderts gilt, weil er, als alle Pop-Art siebdruckten, noch einmal Päpste in Triptychen platzierte. Und mit dem Pinsel weit ausholend in seine flirrend abgezäunten, kalt beleuchteten Bildkästen mit etwas Öl und Pigment Gesichter schlierte, die den Schmerz zeigten, fies, anmaßend, hoheitlich.

So eine Meisterschaft steht unangerührt in der Kunstgeschichte herum und besetzt die Museen, bis die Jüngeren sich aufraffen zu so etwas wie "Francis der Fröhliche", 200 mal 170 Zentimeter groß.

Ein Meisterstück wie "Francis" muss er nicht noch auslegen

Daniel Richter hat sein Bild so gemalt, dass das nackte Helle dieses Körpers, diese fleischlose Figur zurückweicht und alle Bewegung auf eine tief-flaschengrüne Maske abzielt. Oder ist es das Gesicht, das sich "Francis" abstreift? Es scheint etwas über dem Bild zu schweben, kleine Drehung, nicht viel Aufwand, sagt die Pose. Die dick geknetete Unergründlichkeit der Fratze gleicht den Päpsten und Freunden von Francis Bacon. Aber Richter hat nicht pastose Ölfarbe verspachtelt, sondern mit zarter Kreide gearbeitet. Und einem Grinsen.

"Kann man ein Bild vollschottern mit Bedeutung", wird der Maler im Katalog zitiert. In der Woche, in der "Hello, I Love You" in der Schirn Vernissage feiert, titelte die Zeitung The Art Newspaper, dass dessen Kollege Luc Tuymans den "Islamischen Staat" gemalt habe, und bildete darunter eine vieldeutige Szene ab, die vielleicht eine Erschießung zeigt in teigig aufgetragenem Cremeweiß und mit verschatteten Akteuren.

Allerdings war Luc Tuymans' Studio schnell bemüht, die Sensation als Missverständnis auszuräumen. Nein, Luc Tuymans habe keine Bilder "von" der arabischen Welt gemalt, sondern "für" sie. Für seine Großschau in Katar. Weswegen sie keine Gewalt zeigten, sondern Goya-Paraphrasen. Irgendwas bleibt immer hängen von einem Gerücht. Die Frage ist nur, ob man ein gutes Bild noch mit einem solchen Sujet beschweren muss.

Nein, einem Meisterstück wie "Francis" muss der Maler nicht noch eine Auslegung hinterherschicken. Die Szene wird sich damit abfinden, dass einer, auf den man sich verlassen konnte - Häuserkampf und so -, jetzt lieber im Studio bleibt und nur noch mit sich und dem Farbspachtel rummacht. Und sie wird es genießen.

Hello, I Love You, bis 17. Januar 2016 in der Schirn, Frankfurt. Der Katalog kostet 32 Euro.

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