Kunst:Verfallssucht

Kunst: In Thomas Hirschhorns Installation wird Arnold Böcklins „Abenteurer“ (1882) zum apokalyptischen Reiter.

In Thomas Hirschhorns Installation wird Arnold Böcklins „Abenteurer“ (1882) zum apokalyptischen Reiter.

(Foto: Tobias Hübel/Courtesy Thomas Hirschhorn/Kunsthalle Bremen)

Thomas Hirschhorn schafft Ruinen aus Pappe. In der Kunsthalle Bremen kombiniert er diese mit alten Gemälden.

Von Till Briegleb

Thomas Hirschhorn ist der Baggerführer Willibald unter den Kunstvagabunden. Ein im Grunde sympathischer Abrissarbeiter mit dem sozialistischen Herz am richtigen Fleck, der von Ausstellungshaus zu Ausstellungshaus reist, um überall die kinderbuchtaugliche Botschaft zu verkünden, zerstören sei so kreativ wie aufbauen. Und wie sich das für eine Kinderbuchfigur gehört, auch wenn sie im Kunstbetrieb unterwegs ist, sind seine Abrisslehrstunden vor allem aus Pappe. Gebastelt in seinem Atelier und dann nach St. Petersburg, London, Venedig, Berlin oder aktuell nach Bremen verfrachtet, sind die "Ruinen", die Hirschhorn seit einigen Jahren baut, eher filigrane Kompositionen, die nur zum Staunen sind, nicht zum Draufsetzen.

Natürlich ist vom Originalitätsstandpunkt gegen diese überaus erfolgreiche Papp-Tournee mit Kartonbrocken und Kartonstahlträgern und viel Paketband, mit gerissenen Lüftungsrohren von Herdabzugshauben und unentwirrbarem bunten Telefonkabelverhau nichts einzuwenden. Schließlich reisen die meisten Kunstbesucher nicht nach Russland, England oder Italien, um dort festzustellen, dass die ruinöse Leichtbauweise eigentlich überall gleich aussieht - abgesehen von unterschiedlichen Objektergänzungen, die Hirschhorn vor Ort in seine Destruktions-Camouflage einbaut.

Der Künstler zielt auf Katastrophe und Verfall, als Besucher schmunzelt man eher

So hatte er sich für die letzte Manifesta in St. Petersburg einige Schätze der Eremitage ausgeliehen und sie in die aufgerissene Fassade eines fünfstöckigen Wohnhaus-Imitats platziert. In London kamen Plastikstühle und Sanitärelemente dazu, bei der Biennale Venedig viel verstreutes Papier mit Platons schöpfungsphilosophischem Spätwerk "Timaios" in Kyrillisch drauf, und in Bremen sind es nun wieder Werke aus der Sammlung.

Fragen kann man allerdings, ob diese Schockverpackungsästhetik wirklich ihren Zweck erfüllt, jedenfalls vor Ort, denn auf Fotos sieht die Katastrophen-Bricolage eigentlich immer ganz spektakulär traurig aus. Auf diese Skepsis liefert der Künstler in der Bremer Kunsthalle, wo er unter dem Titel "Nachwirkung" drei Säle der alten Galerie zur hohl klingenden Ruine mit schräg hängenden Kunstwerken umgestaltet hat, diesmal selbst die Antworten. Mit Erläuterungstexten, Skizzen und Inspirationsfotos in einer Vitrine sowie Graffitis in der Ausstellung erklärt Hirschhorn, wie der Besucher seine "Zerstörung" zu verstehen hat - und was Kunst überhaupt ist.

Hirschhorn sieht sich in der Tradition des "potemkinschen Dorfes" arbeiten, nur umgekehrt. Seine Absicht sei es - im Gegensatz zu Feldmarschall Potjomkin, der gemalte Dorffassaden schuf, um den Verfall auf der Krim vor seiner Zarin zu verstecken -, "den schlimmstmöglichen Zustand zu zeigen". Wegen dieser Umkehrstrategie wird Hirschhorns Ruine vermutlich auch nicht durch "Einstürzen" von oben nach unten produziert, sondern vom Boden zur Decke langsam aufgebaut. Dazu ist in seinen Texten zur Bremer Installation und den ausgewählten Bildern von Arnold Böcklin, Caspar David Friedrich, Oskar Schlemmer, Franz Marc und André Masson viel von Wahrheit, existenziellen Zuständen und Widerstand die Rede, häufig in etwas konfusen, sich widersprechenden Denkfiguren, die irgendwie an den Ton von Hirschhorns Säulenheiligen Antonio Gramsci erinnern, den er oft zitiert.

Nun verlangt keiner von Künstlern, dass sie ihre Inspirationen auch noch verständlich ausdeuten können, und auch Hirschhorn sagt in einem seiner vielen Ist-Sätze über die Kunst: "Eine Erfahrung zu machen, ist ausschlaggebend." Nur leider ist die konkrete Erfahrung in seinen Räumen doch immer wieder die von einer Theaterkulisse - und von Ironie. Sprechen seine Inspirationsvorlagen von Detonationsschäden und Verfall zwischen Gaza und Detroit und sein Texte über die "geladene und komplexe Aussage einer Ruine", die niemals "unschuldig" sei, so sind die grauen Pappwelten mit ihren absichtlich schief gehängten Bildern atmosphärisch eher Apokalypse funny.

Und in Bremen, wo große Totenköpfe auf gelbem Grund auch noch doofe Sätze sagen wie "Kunst tut weh", oder auch lustige wie "Mit der Kunst ist es wie mit der Pubertät: Alle kritisieren, niemand versteht", da sind Gaza, Palmyra, Fukushima oder Ground Zero gedanklich so fern wie Hirschhorns pädagogische Motive von der tatsächlichen Anmutung seiner Kunstspielburg. Obwohl der Schweizer Künstler in seiner Bedienungsanleitung völlig ernst ein Bild vom Menschen entwirft, der "nur als Exzessiver, als Hysteriker, als Überschreitender existiert", verbleiben die Besucher in der Bremer Kunsthalle doch eher als Schmunzelnde, Belustigte und Klopfende.

In diesem "umgekehrten" Verhältnis von Absicht und Erfahrung mag die intellektuelle Spannung verborgen sein, die Hirschhorns Ruinen so überaus erfolgreich machen. Die bohrende Frage, was die erschütternde Thematik mit der erheiternden Umsetzung zu tun hat, könnte didaktisch als "Nachwirkung" gelten. Im Rückblick wird es aber auch mit Hirschhorns Papier wie mit den eigenen Kinderbüchern sein: Man erinnert sich vor allem an die schönen Bilder. Aber das tut man schließlich gerne.

Thomas Hirschhorn: "Nachwirkung", Kunsthalle Bremen, bis 17. Januar

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