Kunst und Politik:Artivismus

Das Zentrum für politische Schönheit baut ein Mahnmal vor dem Haus von Björn Höcke. Und auch sonst zeigt der Herbstsalon des Berliner Gorki Theaters Kunst, die aus der Geschichte Lehren ziehen will.

Von Mounia Meiborg

Stellen Sie sich vor, in Ihrem Land hetzt wieder ein Rechtsradikaler", sagt die Stimme aus dem Off. "Stellen Sie sich vor, Menschenhass wird wieder parteimäßig organisiert." Dazu ist Björn Höcke zu sehen, wie er am 17. Januar 2017 in einem Dresdener Ballhaus jene Rede hält, in der das Holocaust-Mahnmal in Berlin als "Denkmal der Schande" bezeichnete und eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" forderte.

Es ist die neue Aktion des Zentrums für politische Schönheit (ZpS) im Rahmen des Berliner Herbstsalons, den das Gorki Theater veranstaltet. Und die geht so: Weil der Thüringer AfD-Fraktionsvorsitzende Björn Höcke die Stelen des Holocaust-Mahnmals als Schande bezeichnet hat, wurden ihm Stelen als "Denkmal der Schande" direkt vors Haus gebaut. 24 Betonklötze sind es bislang, die das Zentrum auf dem angrenzenden Grundstück im idyllischen Dorf Bornhagen in Thüringen aufgebaut hat - hochkant, also um 180 Grad gedreht, wie Höcke es in Sachen Holocaust-Gedenken forderte.

Seit Monaten haben sich die Kunstaktivisten neben seinem Haus eingemietet und ihn beobachtet. Nun fordern sie Höcke auf, mit einem Kniefall nach dem Vorbild Willy Brandts um Verzeihung für die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs zu bitten. Dann werde die Überwachung durch den "zivilgesellschaftlichen Verfassungsschutz Thüringen" eingestellt. Andernfalls werde man über Höcke gesammelte Informationen veröffentlichen.

Als Inszenierung ist das durchaus konsequent. Es trifft die Richtigen: Björn Höcke, der in der AfD die Nähe zu Pegida und radikalen rechten Gruppen sucht, wird in seiner Partei gerade wieder salonfähig. Lange her, dass man ihn ausschließen wollte. Höcke denkt inzwischen laut darüber nach, bei Neuwahlen für den Bundestag zu kandidieren. Die Methode der Artivisten wirft - wie oft beim Zentrum für politische Schönheit - Fragen auf, auch moralische. Ist öffentliches Bloßstellen die richtige Antwort auf politische Entgleisungen oder nicht Teil derselben Verrohung? Dürfen Privatleute Politiker beschatten?

Kunst und Politik: Kunst, die bewegen soll: Manaf Halbounis "Monument" mit den drei Bussen, die an die belagerte syrische Stadt Aleppo erinnern.

Kunst, die bewegen soll: Manaf Halbounis "Monument" mit den drei Bussen, die an die belagerte syrische Stadt Aleppo erinnern.

(Foto: Lutz Knospe / Maxim Gorki Theater)

Rund dreißig Unterstützer Höckes haben sich am Nachmittag vor dem gemieteten Grundstück versammelt haben. Einige von ihnen sollen Kunstaktivisten und Journalisten angepöbelt haben, wie das ZpS berichtet. Der Co-Chef der Thüringer AfD-Fraktion, Stefan Möller, sprach bei einer Pressekonferenz von "unfassbaren Eingriffen in die Privatsphäre der Familie Höcke". YouTube sperrte wiederum nicht nur die Videos der Aktion, sondern gleich das ganze Konto der Künstlergruppe. Alles deutet darauf hin, dass diese Aktion zumindest in einer Hinsicht erfolgreich ist: Sie ist eine groß angelegte Inszenierung des öffentlichen und medialen Raumes.

Und in diesem Debattenraum kann man sich auch fragen, ob es so klug ist, der AfD gerade jetzt Aufmerksamkeit zu schenken, da nach dem Scheitern der Jamaika-Koalition ausnahmsweise mal keiner über sie spricht. Da möglicherweise Neuwahlen anstehen. Und da die Neuen Rechten nichts so gut können, wie sich selbst zu Opfern zu stilisieren. Im rechten Diskursraum dürfte die Aktion Furore machen, und so zu einem Fanal der anderen Art werden.

Bislang war eigentlich Manaf Halbounis "Monument" in rechten Kreisen das meistgehasste Kunstwerk gewesen. Die drei umgekippten Busse, die an ein Schutzschild in Aleppo erinnern und im Frühjahr in Dresden zu sehen waren, sind ebenfalls Teil des Berliner Herbstsalons. Hoch ragen die Busse nun am Brandenburger Tor in den Himmel. Touristen aus Frankreich, Russland, China machen Fotos. In Berlin ist die Installation weniger umstritten als in Dresden, wo die Identitären Schmähflaggen hissten und der Oberbürgermeister Morddrohungen bekam. Dafür verleiht der Ort dem Werk zusätzliche, verschiedene Bedeutungen. Die Busse sind auf dem Platz des 18. März aufgestellt, wo Bürger 1848 Barrikaden errichteten, um sich vor der Staatsmacht zu schützen - ähnlich wie in Aleppo. Der Platz erzählt aber auch von der Wiedervereinigung einer geteilten Stadt, also von Hoffnung. Und drittens liegen die Busse genau zwischen Holocaust-Mahnmal und Reichstag. Wer möchte, kann es so verstehen: Aus der deutschen Geschichte ergibt sich eine Verantwortung. Nicht nur in Aleppo.

'Denkmal der Schande' in Sichtweite des AfD-Politikers Höcke

„Denkmal der Schande“ des Zentrums für politische Schönheit beim Haus des AfD-Hardliners.

(Foto: Swen Pförtner/dpa)

Unter dem Motto "Desintegriert euch!" werden beim Herbstsalon bis Sonntag Arbeiten von rund 100 Künstlern gezeigt - darunter Größen wie Santiago Sierra, Alfredo Jaar und Tobias Zielony. Politisch geht es zu, natürlich. Manchmal auch aktivistisch. Man kann sich an die diesjährige Documenta erinnert fühlen. Nur dass der Tonfall der Kuratoren nicht pädagogisch ist, sondern mal nüchtern, mal rotzig.

Im Zentrum steht Rechtspopulismus verschiedener nationaler Spielarten; außerdem autoritäre Regime, Migration, Postkolonialismus und Geschlechterfragen. Viele der Arbeiten - rund 30 davon Neuproduktionen - richten den Blick zurück in die Geschichte, um die Gegenwart zu verstehen. Das macht an den historischen Ausstellungsorten Sinn. Im Kronprinzenpalais Unter den Linden, in dem 1990 der Einigungsvertrag zwischen DDR und BRD unterzeichnet wurde, fragt zum Beispiel Sven Johne, wie es heute um die Einheit bestellt ist.

Seine Videoarbeit "Lieber Wladimir Putin" ist ein eindringliches Porträt eines Pegida-Anhängers. Der Text stammt von einem realen Dresdener Bauingenieur, der von einem Schauspieler verkörpert wird. Auf Russisch wendet er sich an Präsident Putin, weil er Deutschland untergehen sieht. Man sieht ihn, wie er seine Morgentoilette verrichtet, wie er ein Hemd bügelt, duscht, Kleidung anlegt. Er spricht von der EU-Knechtschaft, die er ablehnt, und von einem russisch regierten Sachsen, das er sich wünscht. In seiner Welt, in der man sich auch dann rasiert, wenn keine Bartstoppeln zu sehen sind, macht das Sinn.

Leise und erschütternd auch die Videoinstallation "Souvenirs" von Hakan Savaş Mican, der am Gorki Theater inszeniert, ursprünglich aber Filmemacher ist. Ratlos durchquert seine Mutter den Nippes, den sie mal angeschafft hat. Goldene Vasen und Teegläser erzählen vom Drama ihres Lebens: dass sie nie dort war, wo die Kinder waren. Eine persönliche Geschichte. Und die von Millionen Migrantenfamilien. Es müssen eben nicht immer große Geschütze sein. Manchmal reicht auch ein Porzellanosterhase.

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