Kunst und Kritik:Am Mischpult des Krachs

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Julia Voss: Hinter weißen Wänden / Behind the White Cube. Mit Zeichnungen von Philipp Deines. Merve Verlag, Berlin 2015. 152 Seiten, 18 Euro. (Foto: N/A)

Undurchsichtige Geschäfte, inszenierte Skandale, Betrug und Spitzenpreise: Die Kunstkritikerin Julia Voss will über den Kunstbetrieb aufklären - und tut es leider sehr brav und vorhersehbar.

Von Till Briegleb

Hier ist das nächste Buch über den Kunstmarkt. Im gefühlten Abstand von ein paar Wochen veröffentlichen Journalisten und andere Insider Sumpfstandsberichte aus dem Moor der Preise, Auktionen und kriminellen Machenschaften. Angestachelt von den Ergebnisspitzen spektakulärer Versteigerungen sowie fasziniert von den regelmäßig platzenden Blasen der Spekulation oder dem Versinken des Vertrauens anlässlich neuer Betrugsprozesse, versprechen diese Autoren, in die undurchsichtige Masse diskreter Verbindungen Klarheit zu bringen. Doch weil ihnen das so selten gelingt - denn der Kunsthandel verdunkelt die entscheidenden ökonomischen Gärprozesse eben sehr gekonnt -, enden diese Bücher alle mit der gleichen hilflosen Forderung: nach mehr Transparenz im Kunstmarkt.

Das Versprechen von Julia Voss, sie zeige die Welt "Hinter weißen Wänden", ist nun die besonders redliche Version dieses Buchtyps. Die Kunstredakteurin und stellvertretende Ressortleiterin des FAZ-Feuilletons will den Leser dazu erziehen, nicht nur das schöne Einzelwerk zu betrachten, sondern immer auch die Manipulationen seiner Bedeutungsgeschichte mitzureflektieren. Im rücksichtsvollen Ton einer Sexualaufklärung eröffnet Voss allen unschuldigen Kunstliebhabern, wie Galeristen Skandale erfinden, um ihre Künstler bekannt zu machen, Auktionshäuser und Kunsthändler mit Absprachen Preise in die Höhe treiben, wie Oligarchen und Hedgefondsmanager das Mischpult des Kunststarkrachs bedienen, und wie die angeblichen Kunstgenies selbst zu diesem System der Taxierung brav schweigen, solange der Rubel rollt. Doch wie im Sexualkundeunterricht auch, wissen die Aufzuklärenden das alles längst. Dazu müssen sie nur ab und zu das Feuilleton der FAZ (oder anderen Qualitätsjournalismus) lesen.

Obwohl es inhaltlich gegen diese Anhäufung von Artikelwissen und die redliche Absicht der Autorin überhaupt nichts einzuwenden gibt, braucht es für das Buchformat doch irgendeine neue Qualität: eine originelle These, brisante Ergebnisse neuer Recherchen, eine analytische oder philosophische Metaebene, einen besonderen persönlichen Blick auf die Tatsachen, oder wenigstens eine gewisse sprachliche Schärfe. Doch Julia Voss' Entscheidung für die schlicht strukturierte Schulbuchdidaktik führt leider dazu, dass die einzig brillanten Stellen ihrer Argumentation die Zitate sind.

Zudem mangelt es diesem Einverständnisbuch an Erlebtem. Von einer mächtigen Kunstjournalistin, die gleich einleitend in ihrem Essay erklärt, sie blicke "nicht nur von oben drauf" auf das Kunstgeschehen, sondern sitze "mittendrin", lässt sich doch mit einigem Recht erwarten, dass sie die Gagosian-, Pinault- und Jeff-Koons-Typen, die das globale Kunstgeschehen zu ihrem Wohl instrumentalisieren, mal als handelnde Persönlichkeiten beschreibt. Vielleicht liegt es an ihrer Herkunft aus dem Wissenschaftsmilieu, dass die Menschen bei Julia Voss nur als Quellen aus dem Papier ersteigen. Ganz sicher aber ist diesem Vorleben geschuldet, dass nach bereits drei Büchern zu Charles Darwin nun auch dieses Kunstmarktbuch von Evolutionsvergleichen strotz.

Wäre "Hinter weißen Wänden" das erste und nicht das hundertste Buch zum interessanten Morast der Kunstkapitalisierung, diese 130-seitige Schreibtischrecherche wäre als leicht verständliche Einführung die perfekte Abo-Prämie. Aber es gibt bereits so viel umfassendere Ansichten zu diesem Sumpf, die dabei auch noch plastisch und tief recherchiert sind. Genannt sei hier nur "Falsche Bilder, echtes Geld" von Stefan Koldehoff und Tobias Timm, die das Verhalten dubioser Intransparenz am Beispiel der Kunstfälschung tatsächlich entschleiern. Deswegen ist zu vermuten, dass in der Evolution der Kunstkritik dieses Plädoyer für mehr Aufklärung schon jetzt zur aussterbenden Nebenlinie verdammt ist.

© SZ vom 22.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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