Kunst und Gesellschaft:Hauptstadt der Systemfehler

Nicolaus Schafhausen kündigte 2018 an, seinen Posten als Direktor der Kunsthalle Wien aufzugeben - der Rechtsruck in Österreich ermögliche kaum noch einen zeitgemäßen Kulturbetrieb.

Der 1965 in Düsseldorf geborene Kunsthistoriker Nicolaus Schafhausen arbeitet als Kurator und Kunstmanager. Seit 2012 ist er Direktor der Kunsthalle Wien.

(Foto: Sabine Hauswirth/Kunsthalle Wien)

Ein Gespräch mit Nicolaus Schafhausen, dem Leiter der Wiener Kunsthalle, über wachsenden Populismus, die Agitation von Parteien und den Versuch, dem ästhetisch zu begegnen.

Interview von Catrin Lorch

Der Wiener Wahlkampf entzündet sich gerade an einer Plakataktion der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ). Am kommenden Sonntag wird in der Stadt ein neuer Bürgermeister gewählt - und die rechtspopulistische Partei klebt Plakate, die im nationalsozialistischen Propagandastil eine "Neue Völkerwanderung" beschwören: Schwarze Stiefel trampeln über ein kleines Land. Unterdessen bereitet die Wiener Kunsthalle eine Ausstellung unter dem Titel "Politischer Populismus" vor. Deren Direktor Nicolaus Schafhausen über die Arbeit in einer Metropole, in der Realität und Kunst sich gerade in Opposition bringen.

SZ: Ist die Ausstellung eine Reaktion auf die aktuelle politische Situation?

Nicolaus Schafhausen: Nein, sie war nicht in Bezug auf die aktuelle Wahl geplant - allerdings sind die Ausstellungsprogramme durchaus auf den lokalen Kontext zugeschnitten. Es ist auch schon meine zweite Ausstellung zum Thema Populismus: Vor etwas mehr als zehn Jahren hatte ich ein Projekt, das parallel in Vilnius, Amsterdam, Frankfurt und Oslo auf den damaligen Aufstieg populistischer Führer wie Geert Wilders reagierte, es gab den Karikaturenstreit in Dänemark, der FPÖ-Chef Jörg Haider lebte noch. Damals griffen Populisten vor allem in kleineren Nationen emotional besetzte Angstthemen auf. Während die zeitgenössischen Künstler gerade anfingen, sich für Politik zu interessieren. Aber die Bedingungen haben sich grundlegend verändert. Der Populismus hat sich vor allem in den neuen Medien verinnerlicht, auf Facebook, in sozialen Netzen wird so gut wie alles verkürzt, zugespitzt und instrumentalisiert. Insofern leben wir in einer post-populistischen Zeit.

Und die Kunst kommentiert das?

Nicht direkt. Aber es ist auffallend, dass die 23 Künstler, die zu der Ausstellung eingeladen sind, fast alle von ihrer Herkunft ausgehen und sich mit Begriffen wie "Heimat" befassen. Sie stammen aus 15 Nationen, viele haben auch eine doppelte Staatsangehörigkeit. Der Österreicher Jun Yang etwa, Kind chinesischer Migranten, recherchiert die Rhetorik, mit denen sich Österreich abgrenzt gegen Landsleute wie ihn, die offensichtlich nicht zur indigenen Bevölkerung gehören. Erik van Lieshout zeichnet in vielen Video-Interviews, die er in seinem Wohnort Rotterdam aufgenommen hat, ein ähnliches Bild vom Nicht-Funktionieren des Zusammenlebens. Die Bürger von Rotterdam stammen zu zwei Dritteln nicht aus den Niederlanden, aber eine Minderheit hält eine vermeintlich niederländische Identität hoch. Es kann sein, dass dieses Interesse an Heimat auch etwas mit den Produktionsbedingungen von Kunst in einer globalisierten Szene zu tun hat. In Wien trifft das Thema aber auf eine öffentliche Diskussion, die damit ganz offensichtlich Probleme hat, was sich ja in den populistischen Angstparolen der FPÖ zeigt. Man darf nicht vergessen, das ist keine Gruppierung wie Pegida oder eine extremistische Partei, die FPÖ repräsentiert hier die Mitte.

Bei Ihrem Amtsantritt in Wien vor zwei Jahren haben Sie betont, eine öffentliche Einrichtung wie die Kunsthalle sei eine ideale Basis für unabhängige Kunstvermittlung. Gilt das noch, wenn am Sonntag in Wien die FPÖ regiert?

Wir sind mit fünfzig Mitarbeitern eine große Institution, die, als eigenständige Gesellschaft, der Stadt Wien, ihrem Auftraggeber, verpflichtet ist. Ich könnte nicht für einen Auftraggeber arbeiten, der das Gegenteil von dem fordert, was ich mache. Natürlich werden viele innerhalb des Kunst- und Kulturbetriebs versuchen, eine Form von Gegenöffentlichkeit zu erzeugen. Aber für uns wird sich schon die Frage stellen, ob man uns darauf verpflichtet, die Forderung, mehr lokale Kunst und Kultur zu reflektieren, auch umzusetzen.

Unsere Klientel entscheidet hier keine Wahlen - die Hunderttausende auf dem Heldenplatz, die Willkommenskultur feiern, sind ein winziger Prozentsatz der Bevölkerung. Ein Drittel der internationalen Bevölkerung hier kann nicht wählen, sechzig Prozent der schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen haben eine andere Muttersprache als Deutsch, wie auch in den meisten anderen großen europäischen Städten. Die Parteien adressieren deswegen mit ihren Parolen einen ominösen "Österreicher", den es gar nicht gibt. Mit der Realität hat das alles nichts mehr zu tun, das politische System agiert hier quasi innerhalb eines Systemfehlers, und der macht es solchen Parteien wie der FPÖ zu einfach.

Jetzt gehen gerade die populistischen Plakate der FPÖ durch die Presse. Die Verantwortlichen für diese an nationalsozialistische Propaganda erinnernden Motive wären dann Ihre Auftraggeber?

Es ist für mich nicht unproblematisch, mich dazu zu äußern - denn auch als Deutscher ist man Ressentiments ausgesetzt, wenn man sich über die Rhetorik der Gesellschaft hier äußert. Aber wenn man in Deutschland aufgewachsen ist, fällt einem alltäglich auf, dass Österreich nicht durch einen Prozess der Entnazifizierung gelaufen ist. Es ist eigenartig, wie die Medien hier immer noch versuchen, alles zu neutralisieren, nicht wirklich kritisch zu hinterfragen, was so eine Gestaltung für die Zivilgesellschaft bedeutet.

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