Kunst und Flüchtlinge:Eine Meinung wie jede andere

Ästhetische Fragen sind der Öffentlichkeit meist zu kompliziert. Deshalb wird Künstlertum gerne durch soziales Engagement nobilitiert. Doch in der Politik sind die Künstler keine Fachleute, sondern Laien.

Von Reinhard J. Brembeck

Den Kulturaufreger dieser Woche lieferte der in Riga geborene Theater- und Opernregisseur Alvis Hermanis. Der sagte eine geplante Inszenierung am Hamburger Thalia Theater ab, weil er sich nicht in die Pro-Flüchtlings-Phalanx des Hauses einreihen wollte (SZ vom 7. Dezember). Nun wird in Deutschland der öffentliche Kulturdiskurs derzeit von einem demonstrativen Engagement bestimmt, das den Eindruck erweckt, Solidarität mit den Flüchtlingen sei die Voraussetzung fürs Kunstmachen. Solidaritätskonzerte, Hilfsaktionen, Themenabende, Theaterstücke sind den Asylsuchenden gewidmet.

Hermanis stößt sich an offenen EU-Grenzen und unkontrollierter Einwanderung genauso wie an der gerade in Deutschland verbreiteten heftigen Ablehnung der rechtsgerichteten neuen Regierung in Polen. Vor allem behauptet er einen Zusammenhang zwischen den Pariser Terrorattentaten und der Migrationspolitik. Kein Wunder, dass Hermanis mit seiner Haltung zum Zentrum teilweise aggressiver Kritik wird, die sozialen Medien spielen dabei eine Vorreiterrolle.

In den letzten Jahrzehnten sind die Ansichten von Künstlern zunehmend zum Inhalt ihres Marketings geworden, weil ästhetische Fragen zunehmend verpönt sind. Ob ein Pianist den Kopfsatz der Hammerklaviersonate in dem von Beethoven geforderten halsbrecherischem Tempo spielt, ob ein Cellist für Bachs sechste Suite einen Fünfsaiter verwendet, ob in Schuberts B-Dur-Sonate alle Wiederholungen gespielt werden: Solche Fragen, einst lebhaft öffentlich diskutiert, interessieren nur noch Kenner und Liebhaber. Die Öffentlichkeit, die solche Fragen wohl auch schon vor fünfzig Jahren nicht wirklich durchdrungen hat, wird heute davon nur mehr gelangweilt.

Also werden Künstler, die nicht durch ihre Meinungen, sondern durch ihre Kunst bekannt wurden, auf ihre Lebens- und Liebesgewohnheiten befragt, und am besten ist es, wenn sie ein soziales Engagement vorzuweisen haben. Das nobilitiert ihr Künstlertum.

Gern wird deshalb den politischen Ansichten von Künstlern die gleiche Relevanz wie ihrem Schaffen zugebilligt. So wird erwartet, dass der Dirigent Valery Gergiev seinen Landesherrn Putin mit der gleichen Hellsichtigkeit durchleuchtet wie seinen Lieblingskomponisten Prokofjew. Dass er das eine kann und das andere nicht, enttäuscht viele. Aber Gergiev ist Musiker und kein Politiker. Seine politischen Ansichten sind die eines Laien, seine musikalischen die eines Fachmanns. Ähnliches gilt für Hermanis.

Als Luis Buñuel vor fünfzig Jahren seinen Film "Tagebuch einer Kammerzofe" drehte, nutzte er seinen Hass auf die rechtsextremen Auswüchse in Frankreich als treibende Kraft, um ein Meisterwerk zu schaffen, in dem man heute unschwer die Triebkräfte von Marine Le Pens Front National erkennt. Bei Buñuel wurde aus Meinung Kunst. Bei Gergiev und Hermanis bleibt Meinung nichts als Meinung, die so fragwürdig oder erhellend ist wie die anderer Menschen auch.

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