Kunst:Tag und Nacht

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Neue Funde unter Kasimirs Malewitschs "Schwarzem Quadrat": Eine Röntgenanalyse bringt ans Licht, was sich unter dem Gemälde, Ikone der modernen, westlichen Malerei, verbirgt: Eventuell hat sich Malewitsch einen Scherz erlaubt.

Von Eva Herzog

Rembrandts "Susanna und die beiden Alten" (1647) wurde vom englischen Maler Joshua Reynolds verändert, und hinter Van Goghs "Grasgrond" (1887) versteckt sich ein übermaltes Frauenporträt - immer wieder haben technische Untersuchungen der Kunstgeschichte erstaunliche Funde beschert. Nun hat die Staatliche Tretjakow-Galerie in Moskau herausgefunden, dass sich unter dem 1915 entstandenen legendären "Schwarzen Quadrat" des russischen Avantgarde-Malers Kasimir Malewitsch (1915) ein gemalter Scherz verbergen könnte.

Das Gemälde gilt als Ikone der modernen westlichen Malerei. Es ist eines der ersten vollkommen gegenstandslosen Bilder und zugleich ein Manifest für den von Malewitsch propagierten Suprematismus. Keine Gestalt ist hier angedeutet, nichts befriedigt die Sucht des Auges nach identifizierbar Dargestelltem. Zu sehen ist nicht mehr als ein nacktes schwarzes Quadrat auf weiß grundierter Leinwand. Aufgebaut ist es aus geometrischen Grundformen in Grundfarben: Schwarz als Abwesenheit jeder Farbe und Weiß als Vermischung aller Farben. Im "Schwarzen Quadrat" sei jedes weitere Bild enthalten, so verstand es Malewitsch. Was darin mitschwingt, ist die Utopie einer universellen, für jeden verständlichen Kunst, die mit beitragen soll zu einer neuen Gesellschaft.

Und ausgerechnet auf diesem Gemälde soll sich Malewitsch einen Scherz erlaubt haben? Schon bisher war bekannt, dass sich unter der Moskauer Version des Bildes ein übermaltes Gemälde versteckt. Feine Risse in der Oberfläche lassen die Farbe durchscheinen. Mithilfe einer Röntgenanalyse ist unter der Farbschicht nun aber nicht nur ein übermaltes Bild gefunden worden, sondern gleich zwei. Daneben hat man auf dem Gemälde eine Inschrift entdeckt, die von Malewitsch selbst stammen soll. Bis auf drei Buchstaben wollen die Experten der Tretjakow-Galerie sie entziffert haben. Sinngemäß laute sie: "Schlacht von Schwarzen in einer dunklen Höhle", geschrieben in Schwarz auf Schwarz.

Die Kunsthistoriker vermuten, dass Malewitsch sich bezieht auf ein humoristisches schwarzes Monochrom des französischen Schriftstellers und Komikers Alphonse Allais mit dem Titel "Kampf von Schwarzen in einem Keller bei Nacht" (1897). Es könnte sich um eine Anspielung auf den im Russland der Jahrhundertwende bekannten Allais handeln, einem Begründer des Monochroms. Zugleich aber war der Titel unter Zeitgenossen Malewitschs ein sehr populärer Scherz - mit rassistischem Beigeschmack.

Immerhin witzelte Allais keineswegs nur über Schwarze. Ein weißes, 1883 entstandenes Bild trägt den Titel "Erstkommunion anämischer, junger Mädchen im Schnee" (1883). Vielleicht sollte das New Yorker Museum of Modern Art auch Malewitschs "Weißes Quadrat" (1918) auf Inschriften untersuchen.

© SZ vom 16.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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