Kunst:Tänzerische Eleganz

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Das Schlossmuseum Murnau entdeckt den russischen Maler Wladimir von Bechtejeff wieder

Von Sabine Reithmaier

Leiber in Bewegung haben Wladimir von Bechtejeff zeitlebens fasziniert. Egal ob es sich um Menschen oder Pferde handelte - Bilder, die Kraft, Geschmeidigkeit, tänzerische Eleganz thematisieren, ziehen sich durch die gesamte Retrospektive, die das Schlossmuseum Murnau dem russischen Maler widmet. Der ersten Einzelausstellung außerhalb Russlands übrigens. In Westeuropa ist Bechtejeff (1878 bis 1971) nahezu vergessen, obwohl er als Mitglied der Neuen Künstlervereinigung München einst zur künstlerischen Avantgarde zählte und in den Ausstellungen zeitweise mit deutlich mehr Bildern vertreten war als sein zwölf Jahre älterer Landsmann Wassily Kandinsky.

Daher ist es umso bewundernswerter, was Sandra Uhrig, Leiterin des Murnauer Hauses, und ihr Team an Werken aus ganz Europa zusammengetragen haben: Pastelle und Ölkreidearbeiten aus dem Nachlass des Tänzerpaars Alexander von Sacharoff und Clotilde von Derp, Aquarelle und Ölgemälde aus den Sammlungen seiner Malerfreunde Alexej von Jawlensky und Adolf Erbslöh; sogar das einzig bekannte, von seiner Auseinandersetzung mit dem Kubismus zeugende Selbstporträt des Malers als Harlekin haben sie einschließlich einer Vorskizze aufgetrieben. Auch der "Rossebändiger", sein Hauptwerk aus der Münchner Zeit, ansonsten im Lenbachhaus hängend, ist vertreten.

Den Anstoß zu dieser fulminanten Wiederentdeckung lieferte Jelena Hahl-Fontaine, Kunsthistorikerin, Slawistin und Kandinsky-Expertin, die Bechtejeff im Auftrag des Lenbachhauses in den Sechzigerjahren in Moskau besuchte und sich seither für sein Leben und Werk begeistert. Sie half, Gemälde, Grafiken und Dokumente aufzuspüren, übersetzte dessen im Katalog erstmals publizierte, fragmentarische biografische Skizze aus dem Jahr 1966, die ihr der Maler übergeben hatte.

In Moskau geboren studiert der junge Adlige nach der Ausbildung an der Militärakademie 1902 Malerei an der Moskauer Akademie der Künste. Doch ein Bruder Jawlenskys rät ihm, nach München zu gehen, "wo junge talentierte Russen auf der Suche nach Neuem waren, während in der St. Petersburger Akademie doch bekanntlich Grabesluft herrschte", notierte Bechtejeff. In der Schwabinger Giselastraße empfangen ihn Jawlensky und seine Lebensgefährtin Marianne von Werefkin herzlich. Anfangs - er besucht die private Malschule Heinrich von Knirrs, studiert auch in Paris - arbeitet er noch nachimpressionistisch, spachtelt seine Landschaften farbintensiv auf die Leinwand. Bald experimentiert er mit kubistischen Formen. El Greco begeistert ihn, aber auch Jugendstil und Symbolismus reizen ihn zur Auseinandersetzung. Fließende Linien, überlange Glieder, eine leicht verzerrte Anatomie kennzeichnen nicht nur die Bilder, sondern auch die "Stehende", die einzige Skulptur.

1909 schließt er sich der Neuen Künstlervereinigung München (N.K.V.M.) an, die im rosafarbenen Salon Marianne von Werefkins gegründet wird. In der von Gabriele Münter handgeschriebenen Mitgliederliste steht sein Name an vierter Stelle, knapp hinter Kandinsky und seinem Mentor Jawlensky. In der ersten Ausstellung der Gruppe ist er bereits mit acht Gemälden vertreten, in der zweiten (1910) mit drei. Weil die Münchner Kunstkritiker beide Ausstellungen aufs Übelste verreißen, greift Franz Marc ein, der bis dahin noch keinen Kontakt zur Gruppe hatte. "Glaubt man denn wirklich im Ernst, dass Bechtejeff ein ungeschickter Aktzeichner ist?", schreibt er in seiner Rezension, rühmt dessen bewusste Sicherheit, mit der er in seine Menschendarstellungen Linienornamente einführt.

Ein Jahr später, als ein abstraktes und den vorgegebenen Maßen nicht entsprechendes Bild Kandinskys die Künstlervereinigung spaltet, steht Bechtejeff erst auf der konservativen Seite. Als Werefkin die Mitglieder auffordert, ihre Begründung für die Ablehnung zu nennen, ist Bechtejeff als erster an der Reihe. "Der steht grün in der Ecke und brummt endlich: Ich verstöhe es nicht", meldet Maria Marc am 3. Dezember 1911, also am Tag nach dem Austritt der künftigen Blauen Reiter, an August Macke. In eben jener Ausstellung ist Bechtejeff noch mit zwölf Gemälden vertreten, doch ein Jahr später kehren auch er und Jawlensky der N.K.V.M. den Rücken. Und von da an - so formuliert es Annegret Hoberg im Katalog - bleibt er den Fortschrittlichen treu.

Bechtejeff liebt das Zirkusleben. Die Leidenschaft dafür entwickelt sich wohl, als der junge Offizier, von 1897 bis 1900 im Częstochowa stationiert, Akrobaten eines Wanderzirkus bei sich unterbrachte. "Quer durch das große Zimmer war ein Seil gespannt, auf dem eine Tänzerin übte. In allen Ecken lagen Zirkusrequisiten herum; und eine riesige Dogge, die sonst neben den Tigern hauste, spazierte in der ganzen Wohnung umher. (...) Im Gegenzug brachten sie mir Übungen bei, damit ich kräftiger und geschmeidiger würde", schreibt Bechtejeff. Zirkusmotive in seinem Werk zeugen von dieser Begeisterung, zwei Jahre wirkt er sogar als Direktor des ersten russischen Staatszirkus. Bei Kriegsausbruch hatte er, wie alle Russen, binnen weniger Tage Deutschland verlassen müssen, zu Hause war er sofort eingezogen worden. Nach dem Krieg betraut das neue sowjetische Regime den völlig verarmten Adeligen mit der Aufgabe, in Moskau die Archivierung der Kriegsgüter zu organisieren, auch Privatsammlungen in Museen zu überführen. Das liegt ihm nicht, daher schiebt ihn das Regime 1921 als künstlerischen Leiter zum Zirkus ab. Aber diese Tätigkeit aktiviert seine kreativen Kräfte wieder. Davon zeugen Entwürfe für Vorhänge, Kulissen und Plakate, seine Clowns, Ringer und Zauberer.

Schon 1922 zieht er sich zurück. Dem Zwang zum sozialistischen Realismus weicht er aus, indem er Bücher illustriert, vorzugsweise französische Romane. 1941 verbannt Stalin ihn und seine Frau nach Sibirien, sie kehren erst 1949 wieder. An diese Zeit erinnern ein entzückendes, winziges Kartenspiel - die Figuren tragen Nationalkostüme verschiedener asiatischer Völker - und Landschaftsaquarelle.

Zurück in Moskau illustriert er wieder Bücher. Weil Abstrahierendes immer noch verboten ist, konzentriert er sich auf Naturmotive. Und den einzigen Kommentar zu den Jahren der Verbannung hat ihm Jelena Hahl-Fontaine entlockt: "Aber die Landschaft war atemberaubend schön."

Wladimir von Bechtejeff: Wiederentdeckt! , noch bis 1. Juli, Schlossmuseum Murnau.

© SZ vom 28.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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