Kunst oder Rassismus:Zwischen allen Stühlen

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Sie war die Königin der Kunstszene, die schöne Traumfrau und Freundin von Milliardär Roman Abramowitsch. Dann setzte sich die Stilikone Dasha Zhukova auf einen Stuhl - und stand als Rassistin wieder auf.

Von Marc Felix Serrao

Bis zum Beginn dieser Woche hatte Dasha Zhukova nur Freunde. Sie war die "Königin der Kunstszene" ( Harper's Bazaar), eine "Zeitgeistikone" ( Myself), eine "russische Rakete" ( Bild), kurz: eine "Traumfrau" (SZ-Magazin). Dann tauchte ein Foto im Netz auf, und der Ruf der 32-jährigen Oligarchenfreundin und Galeristin war ramponiert. "Ekelhaft", "extrem enttäuschend", "widerlich", das war binnen weniger Stunden der neue Konsens. Und alles wegen eines Möbelstücks.

Das Drama beginnt am Montag. Auf buro247.ru, der Website der einflussreichen Modebloggerin Miroslava Duma, erscheint ein Interview mit Dasha Zhukova. Ein Foto zeigt die Freundin des Fußballvereinsbesitzers und Yachtsammlers Roman Abramowitsch.

Sie sitzt barfuß auf einem Stuhl. Für ihre Verhältnisse ist ihr Erscheinungsbild auffallend schlicht. Sie trägt eine weiße, hochgeschlossene Bluse und Jeans. Dazu ein bisschen Schminke, etwas Nagellack, fertig. Dann ist da aber noch der Stuhl, auf dem die Gute sitzt. Der ist alles andere als schlicht. Unter einer Sitzfläche aus Leder befindet sich das Modell einer dunkelhäutigen Frau in Reizwäsche, die auf dem Rücken liegt. Der Sitz drückt ihre Schenkel gegen den Bauch, sodass ihr Busen hervorquillt. Der Gesichtsausdruck ist ergeben, der Körper wirkt wehrlos.

Martin Luther King würde sich im Grabe umdrehen

Das Bild löst binnen kürzester Zeit eine Welle der Empörung aus, von Fachorganen wie "Fashion Bomb Daily" bis zur Website des Stern, der seine Leser trennscharf fragt: "Ist das Kunst oder Rassismus?" Zu allem Überfluss erscheint Zhukovas Foto auch noch am 20. Januar - dem amerikanischen Feiertag zu Ehren des 1968 ermordeten Bürgerrechtlers Martin Luther King, was viele Kommentatoren noch mehr in Wallung bringt. "MLK würde sich im Grab umdrehen", schreibt eine junge Frau. Eine andere erkennt in dem Foto gar den "kranken Grad an Rassismus in Russland".

Erschüttert über die Vorwürfe, überbieten sich die zwei Russinnen in Demut. Es tue ihr irre leid, lässt Zhukova wissen. Der Stuhl hätte in dem Foto nicht auftauchen dürfen, weil er "total außerhalb des beabsichtigten Kontexts" erscheine. "Wir sind gegen Rassismus oder Gender-Ungleichheit oder irgendetwas, das die Rechte von irgendwem einschränkt", erklärt Duma: "Wir lieben alle."

Einer der wenigen, die eine Entschuldigung für unangebracht halten, ist Jonathan Jones vom Guardian. Der Kunstkritiker versucht in seinem Blog zu erklären, "warum an dem ,rassistischen Stuhl' nichts rassistisch ist". Die Skulptur, ein Werk des in New York lebenden Norwegers Bjarne Melgaard, sei als "Kommentar zu den kontroversen Arbeiten des britischen Künstlers Allen Jones" zu verstehen.

Der hatte in den 60er Jahren sehr ähnliche Werke produziert, allerdings mit weißen Puppen. Letztere gelten heute als etablierte Kunst. Melgaards Intention, so der Kritiker, sei daher "das Gegenteil von rassistisch". Er hinterfrage Machtstrukturen: "Verletzt Sie der Missbrauch dieser schwarzen Frau? Warum ist es dann ok, wenn weiße Frauen in respektierten Pop-Art-Ikonen in der Tate-Sammlung auf ähnliche Weise degradiert werden?"

Sozialkritisch gemeinte Kunstkommentare oder schwitzige Rassistenpornos

Nun wäre es natürlich großartig, wenn alle Betrachter bei der Begegnung mit einem Kunstwerk dessen Entstehungsgeschichte, Platz im postmodernen Kanon sowie die Intentionen des Künstlers kennen würden. Die Welt wäre ein Elysium der Kunstkritik, und kein Kenner müsste sich mehr mit den Pöbeleien der Amateure abmühen, zumal im Internet, wo immer alle gleich so garstig werden und sozialkritisch gemeinte Kunstkommentare als schwitzige Rassistenpornos verspotten.

Nur: Geht das überhaupt? Dass jeder, der sich ein Urteil zur Kunst erlaubt, jede mögliche Bezugnahme zu anderen, eventuell verwandten Werken immer mitdenkt? Sogar Zhukovas Freundin Duma wusste nicht, von wem der Stuhl auf ihrem Foto stammt. Sie schrieb Melgaards Werk (schwarze Sexsklavin) anfangs dessen Vorgänger Jones (weiße Sexsklavinnen) zu, was womöglich damit zusammenhängt, dass sie alle Menschen gleich lieb hat. Oder Zhukovas Verweis auf den falschen "Kontext": Man fragt sich, welcher Kontext richtig gewesen wäre. Ein Darkroom vielleicht? Weil Hautfarbe darin keine Rolle spielt? Oder ein Raumschiff? Weil es im All keinen Rassenhass gibt?

Wer sich schließlich wundert, warum der verantwortliche Künstler noch nichts zu all der Aufregung gesagt hat, muss sich nur sein filmisches Selbstportrait anschauen (zu finden bei vimeo.com unter "Bjarne Melgaard"). Eine schönere Satire auf die hohlen Provokationen und das Geschwätz weiter Teile der zeitgenössischen Kunstwelt hat man selten gesehen. Das gilt für die auftretenden Sachverständigen, und es gilt für Melgaard selbst. Der malt am liebsten große, steife Penisse und sagt Dinge wie: "Menschen sollten sich nicht ändern" oder "der Kontext eines Kunstwerks ist grenzenlos". Wenn es denn eins ist.

© SZ vom 25.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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