Kunst:List des Schöpfers

Die "Vagina"-Skulptur in Versailles wurde antisemitisch beschmiert. Aber der Künstler macht die Besudelung zum Teil des Kunstwerks.

Von Joseph Hanimann

Wenn die Wirkungskraft eines Kunstwerks in seiner Vieldeutigkeit liegt, ist die Installation "Dirty Corner" des britischen Künstlers Anish Kapoor im Schlosspark von Versailles fortan ein Meisterwerk. Die dort installierte Skulptur aus Steinen und einem monumentalen Metalltrichter, die auch den Namen "Vagina der Königin" trägt, wurde kurz nach der Einweihung im Juni mit Farbe beschmiert und sofort gereinigt. Seit dem vergangenen Wochenende stehen neue, teilweise antisemitische Sprüche drauf wie "Sacrifice Sanglant" (Blutiges Opfer) mit doppeltem Runen-S oder: "Zweite Vergewaltigung der Nation durch entarteten jüdischen Aktivismus". Der Künstler will diesmal die Inschriften nicht entfernen lassen. Sie gehörten fortan zum Werk, erklärte er bei einem Besuch in Versailles, und sollten als "eine Art Mahnmal der Schande" stehen bleiben.

Die Kulturministerin Fleur Pellerin und die Präsidentin des Schlossareals Versailles, Catherine Pégard, respektieren den Wunsch des Künstlers, zumindest vorläufig. Tafeln weisen nun auf Französisch und Englisch darauf hin, dass es sich um ein geschändetes Kunstwerk handele und dass die Schlossverwaltung diesen "inakzeptablen Akt" verurteile. Aber ist das haltbar in einem Land, das die Aufwiegelung zu Rassismus und Antisemitismus unter Strafe stellt? Eine Gerichtsklage könnte der jetzigen Präsentation ein Ende setzen. Es gibt aber auch die Meinung von Juristen, durch die Integration der Schmiererei in sein Werk verkehre der Künstler deren antisemitische Botschaft ins Gegenteil. Manche loben auch Kapoors Entscheidung als Kritik gegen die Obsession der Gesellschaft, alles Störende sofort auszubügeln.

Die Gerichtsklage ist nun aber schon da - und kommt von unerwarteter Seite. Der rechtskonservative Kommunalpolitiker Fabien Bouglé von der Bewegung "Versailles, Familie, Zukunft", der die Installation schon immer als Provokation bekämpfte, nahm den Vorfall zum Anlass, Klage wegen Ansporns zum Hass einzureichen und den Künstler nunmehr als Komplizen hinzustellen. Er möchte, dass das Werk gereinigt und dann abmontiert wird.

Die Schlossparkbesucher in Versailles reagieren verwundert, oft empört auf die Skulptur mit dem nun erweiterten Deutungsspektrum. Wäre sie nicht antisemitisch, wären sicher manche einverstanden mit der Besudelung des Riesendings im klassischen Schlosspark. "Gut für den Schrottplatz" wäre ein angemessener Spruch für "Dirty Corner" gewesen, sagt der Historiker Benoît Rayski und gesteht, angesichts dieses altertümlichen Antisemitismus auch keine rechte Empörung mehr aufbringen zu können. Gegenüber dem neuen Antisemitismus mancher Vorstädte wirke er beinahe rührend in seiner Hilflosigkeit gegenüber dem Geschick des Künstlers, ihn mit verkehrter Aussage zu vereinnahmen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: