Kunst:Kopflos in Münster

Vandalen suchen die Groß-Ausstellung Skulptur-Projekte in Münster heim und zertrümmern Nicole Eisenmans Figuren. Das passiert nicht zum ersten Mal.

Von MICHAEL KOHLER

Sie kamen bei Nacht. Wieder wurde eine Brunnenfigur von Nicole Eisenman ihr Opfer. Erst vor zwei Wochen hatten Unbekannte einen der fünf menschlichen Wasserspeier geköpft und das gipserne Haupt als Trophäe entführt. Jetzt traf ein wuchtiger Fußtritt eine etwa zwei Meter große, an der Seite des Münsteraner Wasserbassins hingestreckte Figur. Der Schaden hält sich dieses Mal in Grenzen, doch an einen Unfall mag in Münster nach insgesamt vier ähnlichen Vorfällen niemand mehr glauben. Offenbar hat die seit 1977 alle zehn Jahre stattfindende Großausstellung Skulptur-Projekte (SZ vom 12. Juni) ein Vandalismus-Problem.

Ein bisschen Zerstörungswut gehört allerdings zur Folklore, wenn nicht zum Wesenskern des von Kasper König geleiteten Kunstfestivals. Gegründet als Nachhilfeunterricht in Sachen moderner Skulptur, war der öffentlich ausgetragene Konflikt ein Teil des Spiels. Bereits zur Premiere versuchte eine Studentenabordnung erfolglos, Claes Oldenburgs riesige Betonbillardkugeln in den Aasee zu rollen und wollte sich dabei als ausführendes Organ eines gegen die "feindliche Besetzung" des öffentlichen Stadtraums gerichteten Volkswillens fühlen. Waren die Skulptur-Projekte zunächst eine Übung in friedlicher Koexistenz von moderner Kunst und Stadtgesellschaft, entwickelten sie sich seit 1997 zur Erfolgsgeschichte: Heute gehören die Überbleibsel früherer Projekte zu den Wahrzeichen der Region.

Auch die aktuelle Ausgabe der SkulpturProjekte wird von Besuchern und Einheimischen geliebt. Es ist also durchaus möglich, dass sich der neue Vandalismus gerade gegen dieses Einverständnis richtet, gegen die offen zur Schau gestellte Illusion, dass die moderne Kunst und die bürgerliche Gesellschaft, für die sie inzwischen steht, alle Menschen einschließt. Wenn die Skulptur-Projekte in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind, muss der Protest gegen sie dann nicht von deren Rändern stammen? Das bleibt unklar. Es ist reizvoll, aber müßig, über die Motive der unbekannten Täter zu spekulieren: Vielleicht waren Nicole Eisenmans Figuren auch nur Blitzableiter für diffuse Aggressionen. In zwei Fällen wurde in Münster zudem die technische Ausrüstung von Kunstinstallationen ausgeweidet. Manchmal ist Vandalismus lediglich ein anderes Wort für Diebstahl.

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