Kunst in N.Y.:Kein Risiko - kein Spaß

Der Blick ist starr ins Nirgendwo gerichtet - alle Fragen sind wie immer offen. Auch das kann jetzt wieder Kunst sein. So etwa auf der Whitney-Biennale und der Armory Show in New York. Dort praktizieren Künstler eine neue Form manikürter Weltflucht: Man wartet - wie Surfer - auf die Welle, die noch Anstrengung lohnen würde.

JÖRG HÄNTZSCHEL

Man ist in New York ja durchaus an Kunst in massenhafter Ausführung gewöhnt. Soviel wie am vergangenen Wochenende war aber selbst hier noch nie zu sehen.

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Zum ersten Mal wurde die Whitney Biennale mit der jährlichen Kunstmesse Armory Show terminlich kurzgeschlossen, in der Hoffnung, sich so besser gegen die neuen Messen in Berlin, London und vor allem in Miami Beach zu behaupten. Der Plan schien aufzugehen. Selten wurde neuer Kunst soviel Aufmerksamkeit zuteil. Es ist eben nie gut, wenn ein Supermarkt das Monopol in der Stadt hat.

Wie so oft im Kapitalismus reduziert das allerdings die Unterschiede beider, statt sie zu fördern. Statt einem Schaukampf zugänglicher Sammlerware vs. spröde Museumskunst, konnte man - auf sehr hohem Niveau -überall Konvergenzen beobachten. Der Hauptgrund dafür war das völlige Fehlen der dokumentarischen und konzeptuellen Werke, die auf der letzten documenta, der Biennale in Venedig und der Berlin-Biennale noch dominiert hatten.

Versucht man, aus dem dicht gedrängten Potpourri im Whitney eine Metatendenz herauszufiltern, so wäre es die Skepsis gegenüber allem, was die Kunst im letzten Jahrzehnt beschäftigt hat, vor allem eben das Aufzeichnen und Archivieren.

In einer Zeit, da täglich Bomben explodieren und ein paar Lügen ausreichen, um einen Krieg zu rechtfertigen, fällt das fleißig-dokumentarische field work im Unterholz der Gesellschaft wohl zwangsläufig auf den Rang engagierten Makramees zurück. Wenn hier noch Strichlisten geführt und Diagramme gezeichnet werden, dann im Nebenfeld privater Hobbies.

Ratlos, aber auch glücklich um den Ausweg aus der Überforderung durch die Nachrichtenlage, ziehen sich viele Künstler aber auch in buchstäbliche Nischen zurück. Sie bauen sich theatralische Nester, in denen immerhin klar ist, wer die Macke hat und wer für den Realitätsschwund verantwortlich ist.

Wo die Welt auch mit Kunst nicht mehr zu verstehen ist, bauen sich die Künstler ihre eigene.

Virgil Marti etwa hat einen Saal mit bemalten Kunststoff-Spiegeln verkleidet und einen Plastikleuchter darin aufgehängt. Halb ist es Versailles, halb Vorstadt-Partykeller, halb venezianische Pracht, halb Jagdhütte.

¸¸assume vivid astro focus" haben einen psychedelischen Traumraum installiert, in dem die Band Los Super Elegantes tieftraurig fragt ¸¸Where is my Whiskey?"

Je reicher und differenzierter die künstlerische Polsterung dieser Kojen mit Bildern, Zitaten, Materialien, Farben gefüttert wird, desto besser funktionieren sie.

Die abgeklärteste unter diesen Flüchtlingen ist Andrea Zittel, die von Brooklyn in die Mojavewüste gezogen ist, wo sie ihr Leben in Containern unter Laborbedingungen führt. Statt durch psychedelische Träume rettet sie sich durch Askese und Disziplin.

Eine ähnliche Funktion haben auch die Mikrogesellschaften, die man hier überall antrifft. Catherine Opie etwa hat kalifornische Surfer fotografiert.

Doch mit den Snowboardern, die bei der vorletzten Biennale noch als heroische Schwerkraftbezwinger und exotischer Stamm glorifiziert wurden, haben sie nichts zu tun. Sie surfen nicht einmal, sondern warten nur auf die Welle, die den Aufwand lohnen würde - vielleicht die beste Metapher für die gesamte Ausstellung.

Oft genügt jedoch schon eine regelmäßige Beschäftigung, um sich besser zu fühlen: Zak Smith hat jede der 755 Seiten von Thomas Pynchons Jahrhundertroman ¸¸Die Enden der Parabel" mit einer kunstvollen Zeichnung illustriert.

Während er mit seiner expressiven Punk-Ästhetik Pynchons Albtraumroman noch albtraumhafter macht, geht der Großteil der Malerei und Zeichnung, die hier - wie derzeit überall -·reichlich vertreten ist, den umgekehrten Weg. Es sind die kleinen, sicheren Sujets, die intimen Szenen, die vom allgemeinen Tumult am wenigsten berührt sind: ein hübsches Mädchen bei Elizabeth Peyton, eine Masturbationsszene bei Chloe Piene.

Damit diese kleinen Bilder nicht völlig in der Luft hängen, hat man ihnen mit Aquarellen von idyllischen Dachterrassen und Menschen in Liegestühlen von David Hockney das nötige generationenübergreifende Gewicht gegeben.

Vor einem halben Jahr unternahm das Whitney Museum mit ¸¸The American Effect" eine ambitionierte und kritische Amerika-Reflexion. Vielleicht liegt es auch daran, dass Bush, der Krieg und 9/11 hier kaum noch vorkommen. Die einzigen, die die Tagespolitik offensiv zum Thema machen, sind etablierte Künstler der Vorgängergeneration -·Raymond Pettibon oder Marina Abramovic.

Statt sich auf die ideologische Polarisierung einzulassen, die die Ära Bush über das Land gebracht hat, wenden sich die Jüngeren gesenkten Blickes ab. Nicht aus Resignation oder Desinteresse, sondern weil die alten künstlerischen Waffen so stumpf geworden sind.

Sam Durant sucht mit seinen Gemälden von Parolen und Zeitungsfotos die Bürgerrechts- und Anti-Vietnam-Zeit nach Brauchbarem ab - ob er dabei mehr findet als Protesthistorie, bleibt offen. Einen der wenigen brauchbaren Vorschläge liefert Emily Jacir, Palästinenserin mit amerikanischem Pass.

Sie erledigt -·und dokumentiert -·Botengänge in Gebiete, die Exilpalästinensern ohne dieses Privileg verschlossen bleiben: ¸¸Gehe für mich in Nazareth spazieren"; ¸¸Bringe meiner Familie in Khan Yunis Kleider und Geschenke".

Der neuen Skepsis fielen aber vor allem die thematischen und künstlerischen Moden der Neunziger zum Opfer. Die Flughäfen, Einkaufszentren und Vorstadt-Milieus der oberen Mittelklasse, die bis zum 11. September die Motivwelten vor allem der Fotografie dominierten, sind verschwunden.

Der Traum von der globalen Mobilität und die Faszination für die Anonymität der Räume, in denen sie abgewickelt wird, ist zum Schauplatz von Wirtschaftspleiten, Terrorismus und Überwachung geworden -·alles Themen, die noch der Bearbeitung harren.

So weicht man aus ins Lokale. Alec Soth etwa fotografierte keine nigerianischen Autobahnkreuze oder Hongkonger Business-Lounges. Er fuhr von seinem Geburtsort Minneapolis den Mississippi bis nach New Orleans hinunter und porträtierte mit einer Ruhe wie nicht von dieser Welt die Menschen, die am Ufer leben.

Verflogen ist auch die Technikeuphorie. Der Computer ist selbstverständliches Aufzeichnungs- und Abbildungsmedium, für Andrea Zittels Powerpoint-Tagebuch vom Wüstenleben etwa, aber mehr auch nicht.

Statt dessen ist überall eine Freude an Materialien und sinnlichen Oberflächen festzustellen. Sie sind es vor allem, die die Insichgekehrtheit erzeugen, die diese Biennale, die reichste und ernsthafteste seit langem, prägt. Euphorisch verlässt man sie nicht, aber immerhin berührt.

Euphorie, gefolgt von Erschöpfung, ·stellt sich hingegen auf der Armory Show ein. Nicht nur die Kunst ist dafür verantwortlich - sie ist greller und selbstbewusster als auf der Biennale -, sondern auch die Basaratmosphäre.

Viel Neues war dieses Jahr allerdings nicht geboten. Die gurskyesken Fotografien, die in den letzten Jahren inflationär vertreten waren, sind Malerei, Zeichnung und Skulptur gewichen. Riskanteres fehlt ebenso wie Politik oder Porno. Und wie immer wimmelte es von Deutschen. Das Wirtschaftsministerium beteiligt sich unter dem peinlichen Label ¸¸Young German Artists" an den Standmieten vieler jüngerer Galerien. Außer den USA ist hier kein anderes Land so stark vertreten.

Zwar sehnten sich die Galeristen angesichts der notorisch miserablen Behandlung, die sie in den heruntergekommenen Hallen erfahren, und des eisigen Winds beim Anstehen für die Parties nach Miami zurück, wo die Nächte lau sind und nicht Trauben mittelloser Hipster den Millionären den Weg zu den Ständen versperren. Doch solange der boomende New Yorker Kunstmarkt die Messe befeuert, wird die Armory ihren Stellenwert behalten.

Whitney Biennial, bis 30. Mai. Der Katalog kostet in der Ausstellung 45 Dollar. Die Armory Show endet heute.

Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.62, Montag, den 15. März 2004 , Seite 15

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