Kunst:Großformatig denken

So zog die Fotografie ins Museum ein: Eine Schau in Frankfurt unternimmt eine Bestandsaufnahme der Düsseldorfer Schule von Bernd und Hilla Becher.

Von Kia Vahland

Bilder spiegeln, interpretieren und prägen ihre Zeit, unsere, so scheint es, mehr noch als andere Epochen. Wenn es stimmt, dass wir in einem visuellen Zeitalter leben, dann sind innerhalb unseres Bilderkosmos Fotografien die Leitmedien. Fotos füllen Handys, soziale Medien, einen Großteil der Webseiten, Zeitschriften. In Kunstbänden und Suchmaschinen bestimmen sie auch noch den alltäglichen Blick auf Gemälde, Skulpturen und ferne Architekturen. Der allergrößte Teil aktueller Fotografien will einfach nur wirken, wie auch immer. Da ist es tröstlich, dass sich in Deutschland mit der Düsseldorfer Schule seit den späten Siebzigerjahren eine selbstkritische Art fotografischen Denkens herausgebildet hat. Die Klasse von Hilla und Bernd Becher liefert das dringend nötige Gegengift zum schnellen Bilderkonsum.

In Familienporträts fordert Thomas Struth die Hofmaler absolutistischer Könige heraus

Das Frankfurter Städel zeigt nun die längst überfällige Bestandsaufnahme dieser so nachdenklichen wie expansiven Fotografie von Künstlern wie Thomas Struth, Andreas Gursky, Candida Höfer, Jörg Sasse. Die Schule lässt sich nicht auf einen Nenner bringen, zu unterschiedlich sind die Sichtweisen der Fotografen. Tendenzen aber sind in der Schau auszumachen. Die meisten Schüler begehen den Elternmord, indem sie dem streng Dokumentarischen, auch dem Schwarz-Weiß der Becher'schen Typologien abschwören. Was nicht heißt, dass sie sich in poetische Gegenwelten flüchten, im Gegenteil. Sie bezweifeln nur, dass es so etwas wie eine unverfälschte Abbildung von Realitäten geben kann.

Am entschiedensten formuliert Andreas Gursky diesen Zweifel - und greift dabei sowohl auf das alte, gemalte Historienbild als auch auf großflächige Werbeplakate zurück. In Frankfurt ist sein schon 1993 entstandenes Schlüsselwerk "Paris, Montparnasse" wieder zu sehen. Das mehr als vier Meter breite Bild zeigt nichts anderes als einen frontal aufgenommenen Häuserriegel unter einem schmalen Streifen Himmel. Der Wohnblock wird zum geometrischen Raster, der wie in einem Setzkasten Leben ordnet und gruppiert. Und doch lassen sich die Bewohner nicht so einfach normieren, sie hängen mal grüne, mal blaue Vorhänge auf, schalten einen Fernseher an oder schauen aus dem Fenster. Keine Kamera könnte mit einem Klick gleichermaßen alle diese Details und das ganze Gefüge zeigen; auch das menschliche Auge vermag so viel nicht mit einem Blick zu erfassen. So ist das im Nachhinein bearbeitete Pariser Bild aus mehreren Aufnahmen montiert. Es nötig die Betrachter, sich die Zeit zu nehmen, die Fotografie abzuschreiten. Und es gewährt ihnen ein merkwürdiges Gefühl der Übersicht und Überlegenheit. Von einem "Blickregime" spricht der Kunsthistoriker Steffen Siegel im begleitenden Katalog und erinnert daran, dass diese Art des allumfassenden Betrachtens Vorläufer sowohl in der Malerei als auch in der älteren Fotografie hat.

Einen gewissen Mut muss es in den Achtziger- und Neunzigerjahren erfordert haben, sich von den handhabbaren Formaten des Fotoalbums und Künstlerbuches zu verabschieden und in musealer Saalgröße zu denken. Die war zwar durch die Arbeit der Bechers selbst angeregt, doch hatten die Lehrer noch viele kleine und mittelgroße Bilder zu immensen Tableaus verbunden. Jetzt vergrößerte Thomas Ruff einzelne Brustporträts von Teenagern beinahe zimmerhoch, und Thomas Struth fotografierte bürgerliche Familien so wandfüllend, als wolle er die Hofmaler absolutistischer Könige übertreffen. Das wäre in der unmittelbaren Nachkriegszeit noch nicht möglich gewesen, da saß der Schrecken über die totalitäre Monumentalität der Nazis noch zu tief. Im ausgehenden 20. Jahrhundert aber brauchte es das Großformat, um der Masse an dahingeworfenen kleinteiligen Fotos bleibende Bilder entgegenzusetzen, die Konzentration erzwingen.

Das Dokumentarische verloren die Becher-Schüler dabei nie ganz aus dem Blick, auch das zeigt die Ausstellung an Beispielen von Axel Hütte, Tata Ronkholz und Candida Höfer. So viel Realitätsnähe muss sein, wenn die künstlerisch ambitionierte Fotografie zum Leitmedium gehören will, im Museum wie im Rest der Welt.

Fotografien werden Bilder. Die Becher-Klasse, Städelmuseum Frankfurt, bis 13. August. Info: www.staedelmuseum.de

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