Kunst:Goldig

Zwischen Bronze und Blüte: Die Biennale in Moskau will keine Ausstellung sein, sondern ist ein kurzes leuchtendes Festival - an einem ganz besonderen Ort in der russischen Hauptstadt.

Von Catrin Lorch

Kulturpolitik wurde erfunden, damit die Politik auch da regiert, wo es um Verbundenheit geht, um Nähe und Freundschaft. Wo Literatur übersetzt wird, Ensembles oder Orchester reisen und Kunst verpackt und verschifft wird, beschwört man Nähe. Deswegen wirkt es gerade so, als konkurriere die zeitgenössische Kunst jetzt in zwei Städten um Deutungshoheit, in denen fast zeitgleich Biennalen eröffnet werden: In Moskau und Kiew nämlich, den Hauptstädten von Russland und Ukraine.

Zu Zeiten der Sowjetunion als Republiken eng verbunden, sind sie Feinde, seit Russland die Krim besetzte. Für die Reichen ist das kein Problem. Die Oligarchen auf beiden Seiten der Grenze kaufen auf dem internationalen Kunstmarkt um die Wette ein. Als aber im vergangenen Jahr die europäische Manifesta in Sankt Petersburg eröffnete, drohte die zeitgenössische junge Kunst mit Boykott.

Beide Biennalen sind allerdings derzeit von der Politik eher gebeutelt als gefördert: In Kiew, weil der Staat kein Geld für die junge Kunst ausgibt. Und in Moskau, weil der fallende Wechselkurs des Rubel den ursprünglichen Etat von mehr als zwei Millionen Euro auf knapp ein Drittel einschrumpfte.

Schulkindern erzählte man, dass nur die schönsten Schweine der Sowjetunion hierher durften

Erstaunlicherweise entwickelten nun sowohl die Künstler und Aktivisten, die in Kiew das Ruder übernahmen, als auch die drei westlichen Starkuratoren, die in Moskau verpflichtet wurden, aus der Not sehr ähnliche Formate: Einerseits die "School of Kiev", eine zweimonatige, international zwischen Berlin, Kiew und Prag zerstreute Veranstaltungsreihe. Andererseits müssen die Moskauer gerade erstaunt zur Kenntnis nehmen, dass sie gleichfalls keine Ausstellung, sondern ein zehntägiges Festival geboten bekommen unter dem Titel "How to Gather?", wie zusammenkommen?

Die Moskauer Kuratoren hätten für ihr Unternehmen den Ort nicht besser wählen können: Es ist das weitläufige Gelände, auf dem zu Sowjet-Zeiten die "Ausstellung der Errungenschaften der Volkswirtschaft" (WDNCh) residierte. Stalin räumte der Dauerausstellung noch eine weite Fläche in den Vororten frei, die größer ist als ganz Monaco. Zwischen Vera Muchinas bronzenem Denkmal "Arbeiter und Kolchosbäuerin" und dem Stahlbogen "Für die Eroberer des Weltraums" reihen sich bis heute repräsentative Pavillons der sowjetischen Satellitenstaaten, dazu Gebäude, in denen man die Atomenergie feierte, die nationale Pferdezucht, den Flugzeugbau. Im Mittelpunkt sprudelt ein Brunnen, der, von goldfunkelnden Allegorien draller bezopfter Erntehelferinnen umstanden, die Völkerfreundschaft beschwor.

Schulkindern erzählte man, dass nur die schönsten Schweine des Riesenreichs in die Stallungen am westlichen Rand des Geländes einziehen durften. Von dort hatten sie Aussicht auf die Riesenrakete, deren Basis so raffiniert von Wasserspielen eingenebelt wird, dass sie permanent zu starten scheint.

Erst die Perestrojka ließ die Rakete und alle sowjetischen Himmelsflüge jäh enden. Während eine Sowjet-Republik nach der anderen sich für unabhängig erklärte, zogen in die Pavillons Elektronikmärkte und Büros ein, im modernistischen Gebäude der Nukleartechnik boten asiatische Händler Heilkräuter und Handyhüllen an. Im vergangenen Jahr übernahm die Stadt Moskau das heruntergekommene Gelände. Seither schraubt man in alle Weizenähren-Laternen neue Glühbirnen, und vor allem an den Wochenenden flanieren wieder Tausende unter Lautsprechern, aus denen abwechselnd Marschmusik und die "Scorpions" dröhnen.

FEU Moskau

Monströs: Szene aus einem Video des Berliner Künstlers Jimmie Durham.

(Foto: Biennale)

Der Vorteil einer solchen Kulisse ist, dass sich dort jede starre künstlerische oder politische Setzung verbietet: Zu viel Bronze und Blattgold am Boulevard, zu viel Metaphernverfall in der zweiten Reihe. Andererseits kann, wer in den zentralen Pavillon einzieht, auf ein weitläufig interessiertes Publikum bauen. In einem Jahr, in dem sich die Kuratoren Bart de Baere, Nicolaus Schafhausen und Defne Ayas nicht sicher sein konnten, ob ihre Vernissage zwischen New York, London und Berlin überhaupt in den Terminkalendern der Szene vermerkt wird, lösen schon am ersten Tag Hunderte Moskauer ein Ticket für 130 Rubel, knapp 1,80 Euro. Ob ihnen die verhüllten Bronzeplatten an der aufgefrischten Fassade aufgefallen sind, die der Künstler Serjey Bratkov mit einem kraternarbigen Überzug in kleine Monde verwandelt hat? Einst repräsentierten sie Republiken der Sowjetunion, jetzt reflektieren sie einen Zustand der Auflösung.

Und auch über die Nutzung des Hauses scheint noch nicht entschieden. Die Biennale hat sich als Zwischenmieter vor bröseligen Wänden aus hellen Tischlerplatten und Baugerüsten ein Interieur gezimmert, zu dem Auditorium, Kinoleinwand, Workshops, Studios gehören - aber kaum eine Stellwand, Hängefläche oder ein Podest.

Dafür wird überall gearbeitet. Hinter einer Plexiglas-Wand sieht man Restauratoren, die mit Pinseln und Bürsten ein monumentales Sowjet-Relief von Schmutz befreien. Unzählige bronzebraune Figuren scheinen von der Wand aus lachend auf die Besucher zuzulaufen. Dazwischen konzentriert sich allerdings jemand auf kleine Schritte: Hier ist die Kunst.

Unter der Kuppel des Hauptsaals lässt sich der Berliner Künstler Leon Kahane jeden Tag eine Stunde lang von einer russischen Ballerina unterrichten. Plié, Sprünge, Pirouetten, gerade ist Aufwärmen. So einen "Pas de deux" (2015) zu inszenieren, als Mann mit schwarzen Höschen und Schläppchen und dem Willen zur Hochkultur vor die Zuschauer zu treten, ist vor allem mutig. Machismo ist russische Staatsdoktrin, das Bild Präsident Putins im Camouflage-Anzug findet sich auf Computerhüllen, die in Automaten namens "Patriot-Box" verkauft werden.

An Formulierungen für Vaterlandsliebe und Krieg wird unterdessen auch im angrenzenden Studio von Saadane Afif gefeilt. Der hat seine Assistenten beauftragt, jeden Tag ein paar Sätze aus Alfred Jarrys surrealistischem Theater-Klassiker "König Ubu" aus dem Französischen neu ins Russische zu übersetzen, auf leuchtgrüne Zettel zu drucken und auf dem Gelände zu verteilen. Die Ausfälle, Provokationen und kriegerische Ansagen des machtbesoffenen Souveräns Ubu werden genauso beiläufig eingesteckt wie die Handzettel mit Einladungen zur Saurier-Show.

Russische Oligarchen bieten ihre Kunst in fetten Schauen an wie das Rippenstück beim Metzger

Und weil sogar die - wenigen - Großfotos von Isa Genzken oder Flaka Haliti, die unter der Rotunde hängen, wie Billboards wirken, ist klar, dass diese Biennale keine Ausstellung sein will, sondern ein Ort, an dem an der Kunst noch gearbeitet wird.

Das sagt, nebenbei, gerade einiges aus über den Status Quo der Kunst in der Epoche des Kunstmarkts. Erstaunlicherweise ist es teurer, Kunstwerke auszuleihen, zu verschiffen und zu versichern, als Künstler einzuladen. Statt des Gemäldes "Worshipper", das einen berühmten hohlgesichtigen Orthodoxen zeigt, haben die Kuratoren den Malerstar Luc Tuymans einfliegen lassen, damit der eine deckenhohe Version des Bildes auf eine Rigipsplatte tupft. Die wird nach zehn Tagen Biennale genauso abgerissen und entsorgt wie der Rest der Einbauten und die angeranzten Parkbänke, die Michelangelo Pistoletto, Altmeister der Arte Povera, zu einem um einen Kringel erweiterten Unendlichkeitszeichen zusammenschieben ließ.

130 Rubel

also umgerechnet knapp 1,80 Euro kostet der Eintritt, aber der Rubelkurs verfällt weiter. Zudem ist es inzwischen teurer, Kunstwerke auszuleihen als echte Künstler einzuladen. Statt des Gemäldes "Worshipper", das einen hohlgesichtigen Orthodoxen zeigt, haben die Kuratoren deshalb den Malerstar Luc Tuymans einfliegen lassen, der eine Version des Bildes auf eine Rigipsplatte tupft. Die wird nach der Biennale abgerissen und entsorgt.

Der Gedanke der Kuratoren, dass es zudem ein besonderer Genuss ist, dem Künstler bei der Arbeit zuzuschauen, wirkt zudem auf dem Gelände der WDNCh besonders überzeugend, wo einst Ferkel zur Erbauung ausgestellt wurden. Vielleicht spielt es auch eine Rolle, dass in Moskau mit fetten Kunstausstellungen in den Privatmuseen der Oligarchen fertige Kunstwerke ungefähr so subtil dargeboten werden wie das Rippenstück im Metzgerladen. "How to Gather?" erinnert mehr an das legendäre "Haus für Schweine und Menschen" von Rosemarie Trockel und Carsten Höller, in dem die unterschiedlichen Spezies sich für die Dauer einer Documenta begegnen konnten.

In Moskau bringt man Besucher in Workshops und Vorträgen mit Aktivisten zusammen, mit Theoretikern wie Saskia Sassen, dem Architekten Eyal Weizman Journalisten und Aktivisten, Schlussredner ist der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis.

Wie zusammen kommen? Wo so viele sind, erfüllt sich das im Untertitel der Schau angekündigte Versprechen auf Nähe, gemeinsam zu handeln im Herzen der Insel Eurasien: "Siebzig Prozent der Weltbevölkerung teilen sich eine Insel", heißt es im Katalog.

Doch im Zentrum der Insel will man sich abgrenzen, erklärt Ilya Budraitskis, Künstler und Aktivist aus Moskau, seinen Zuhörern. Die russische Propaganda missbrauche den Begriff, um die Überlegenheit der Mitte zu markieren, vor allem gegenüber Europa. Während die internationale Öffentlichkeit derzeit also auf bedrohliche Entfernungen fixiert ist, gelingt es Mian Mian, der Schriftstellerin aus Schanghai, einen Ausdruck für Nähe zu finden, der Kontinentalplatten zusammen rückt: Wenn sie vom geplanten Umzug nach Berlin spricht, klingt es, als werde sie einfach von einer Seite einer Insel auf die andere ziehen. Eurasische Verbundenheit, ohne Brunnenfiguren und Blattgold.

"How to Gather? Acting in a Center in a City in the Heart oft he Island of Eurasia." Bis zum 1. Oktober im WDNCh, Moskau. Danach wird eine Ausstellung bis zum 1. November die Biennale dokumentieren.

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