Kunst :Eklat mit Erfolg

China zeigt eine Ausstellung Anselm Kiefers, allerdings ohne die Zustimmung des Künstlers. Die Folge: Ein riesiger Krach und eine fruchtbare Debatte unter chinesischen Künstlern.

Von Kai Strittmatter

Mordfall Anselm Kiefer. Das hätten sie sich auch nicht träumen lassen in China, dass die Ausstellung, die sie dem deutschen Künstler widmen, einmal unter dieser Überschrift läuft. Fan Di'an, der Präsident der Zentralen Akademie der Künste in Peking, CAFA, hatte erklärt, man freue sich auf die "kreativen Funken", die Kiefer in dem Museum an seinem Haus schlagen werde. Dann ging ein wahrer Funkenregen auf die Beteiligten herab. Denn der Künstler fühlt sich nicht geehrt, sondern "vergewaltigt", wie er der SZ sagte.

Anselm Kiefer wütete aus der Ferne über die Ausstellung, die ohne sein Zutun und an ihm vorbei organisiert worden war. Er fühle sich behandelt "wie ein toter Künstler". In China fühlten viele mit ihm, ein Blogger griff das Bild auf und schrieb einen im Netz tausendfach geteilten Beitrag, den er betitelte: "Mord am CAFA". Und nun geht einer der Organisatoren auch noch juristisch gegen Kiefer vor.

Aber auch das hätten sie sich nicht träumen lassen: welches Aufsehen sie erregen würde. Gut, Anselm Kiefer war in China schon vorher eine Größe. Dieser Eklat jedoch machte die unautorisierte Ausstellung zum Thema Nummer eins in Chinas Kunstwelt. Und zum Publikumsrenner. Schon bei der Eröffnung vor zwei Wochen drängten sich die Menschen im CAFA-Museum, viele mitfühlend. "Beschissen" sei es, wie mit Kiefer umgegangen werde, sagte etwa der Bildhauer Wang Shugang.

Aber dann: Welche Chance! Gezeigt werden mehr als 80 großformatige Bilder und Skulpturen Kiefers, zum ersten Mal in China, die meisten aus der Sammlung einer in Deutschland lebenden Taiwanerin. Viele Besucher waren ehrlich überwältigt. Kiefer ziehe die Menschen "in die Tiefe der Geschichte", schrieb Chinas großes Kunstportal artron.net. Bildhauer Wang hatte im sozialen Netzwerk Wechat zuvor noch eine Nachricht gepostet, in der er die Chuzpe der Organisatoren karikierte: "Du willst nicht, dass ich das mache. Ich mach's aber. Was machste jetzt?"

Kunst : Erste Überraschung: Die Ausstellung in Peking ist ein Publikumsrenner.

Erste Überraschung: Die Ausstellung in Peking ist ein Publikumsrenner.

(Foto: Imagine China)

Das war dann die nächste Überraschung: mit welcher Verve die nächsten Tage debattiert wurde, vor allem in den sozialen Netzen. Über die Rolle des Künstler. Des Kurators. Des Museums. Nur die staatlich kontrollierte Presse blieb merkwürdig schweigsam.

Organisiert worden war die Ausstellung von deutscher Seite, von der Hamburger Kunstfirma "Bell Art Center" und ihrer Hauptkuratorin Beate Reifenscheid, sonst Direktorin des Ludwig Museums in Koblenz. Die CAFA gibt sich inzwischen zerknirscht. Museumsdirektor Wang Huangsheng sagte, man habe von Kiefers Ablehnung erst spät erfahren: "Es tut uns sehr leid." Rechtlich aber sei alles in Ordnung. Das Shanghaier Webportal "thepaper kommentierte allerdings: "Das ist keine Frage der Legalität. Hier geht es um die Ethik des Kuratierens."

Es gibt schon Leute, die sich hinter das Museum stellen. Der erfolgreiche Maler Yang Ermin zum Beispiel. "Ist doch toll, dass die Bilder zu sehen sind", sagt er ganz offen. Er finde, dass ein Werk mit dem Künstler nicht mehr allzu viel zu tun habe, wenn es einmal an den Sammler übergegangen ist: "Für mich ist das wie mit einem Kopf Weißkohl. Wenn der mal verkauft ist, dann geht die Art und Weise seiner Zubereitung den Verkäufer auch nicht mehr groß was an." Auch andere schlossen sich der Argumentation der Organisatoren an, wonach es einem Museum gestattet sein muss, auch ohne Einverständnis des Künstlers sein Werk zum Zwecke der Bildung aufzubereiten.

Einige klagen, die Akademie der Künste in Peking habe sich zur kommerziellen Bühne gemacht

Mehr Stimmen aber pflichteten Anselm Kiefer bei. Sie beklagten die Respektlosigkeit dem Künstler gegenüber: "Als Chinese fühle ich Reue und Scham", schrieb Si Dan, der Autor des "Mord am CAFA"-Stücks. Sie griffen auch die Akademie an, warfen ihr die Irreführung der Öffentlichkeit vor (eine Pressemitteilung im Juli hatte versprochen, man werde Kiefer "von Angesicht zu Angesicht" begegnen). Aber auch "Naivität" und "Unprofessionalität".

Kunst : Zweite Überraschung: Die Chinesen debattieren plötzlich über die Rolle des Künstlers, des Kurators, des Museums.

Zweite Überraschung: Die Chinesen debattieren plötzlich über die Rolle des Künstlers, des Kurators, des Museums.

(Foto: Imagine China)

Der Wechat-Blog Kunstnotizen schrieb, die Akademie sei den deutschen Organisatoren auf den Leim gegangen. Ein Kunsthistoriker namens Liu Xiaochun warf ihr vor, nur wegen Kiefers Ruhm auf die Ausstellung begierig gewesen zu sein, ohne den Künstler begriffen zu haben. Er reflektiere "die böse Geschichte mit großartigem Gestus", während die Akademie Teil einer in China vorherrschenden "Eunuchenkultur" sei, der jede Reflexion "der chinesischen historischen Sünden" fehle.

Dem Deutschlandfunk sagte die Hauptkuratorin Beate Reifenscheid, sie habe "alles richtig gemacht": "Natürlich macht es Sinn, mit einem Künstler zusammenzuarbeiten, wenn sich das ergibt, aber das heißt ja nicht zwangsläufig, dass man nie eine Ausstellung machen darf, wenn ein Künstler dazu nicht sein Placet gegeben hat." Usus scheint das allerdings nicht zu sein. Die renommierte Peter und Irene Ludwig Stiftung - dem Ludwig Museum der Frau Reifenscheid als Stifterin und Förderin verbunden - sah sich jedenfalls genötigt, darauf hinzuweisen, dass sie mit der Ausstellung in Peking nichts zu tun habe. "Wir distanzieren uns von der Vorgehensweise von Frau Reifenscheid", erklärte die Vorsitzende Brigitte Franzen. Das Vorgehen "widerspreche" den Gepflogenheiten musealer und kuratorischer Arbeit.

Einige in China beklagten, die Akademie habe sich "zur Bühne eines kommerziellen Unternehmens" machen lassen. Gemeint ist die Hamburger Firma "Bell Art", gegründet von dem chinesischen Unternehmer Ma Yue und dem deutschen Adeligen Wilderich Graf von Schall-Riaucour, der sich bei der Eröffnung der Kiefer-Ausstellung dem Publikum als Nachfahre des in China bekannten jesuitischen Missionars und Astronomen Adam Schall von Bell empfahl.

Tatsächlich scheint die Firma Kunst und Geschäft zu vermischen. Man sei tätig "im Bereich Kunstakquisition und Investitionsberatung" steht auf der Firmenwebseite. Noch am Tag der Ausstellungseröffnung warb die Seite mit einer Kunstfreihandelszone in Peking. Und Geschäftsführer Ma Yue sagte der SZ am selben Tag stolz, man arbeite für dieses Projekt mit der Stadtregierung von Peking zusammen. Wenig später dann war die Bell-Art-Webseite mehrere Tage plötzlich nicht erreichbar - und als sie wieder online ging, fehlte die Werbung für die Freihandelszone. "Niemals haben wir behauptet, Bell Art habe selbst irgendwelche Beziehungen zu einer solchen Zone", sagte Ma Yue am Freitag: "Wir haben lediglich darauf hingewiesen, dass es eine solche in Peking gibt." Wer allerdings Zugang zu einer Kopie der ursprünglichen Webseite hat, der kann dort wörtlich lesen: "In Peking besitzt die Bell Art in der neu geschaffenen Culture Free Trade Zone, eine Ausstellungs- und Verkaufsfläche mit einer Gesamtgröße von 8 700 qm." Kunden könnten dort Messen abhalten und mit Kunstwerken handeln.

Kunst : Er fühle sich "wie ein toter Künstler": Anselm Kiefer.

Er fühle sich "wie ein toter Künstler": Anselm Kiefer.

(Foto: imago)

Die Guangzhouer Malerin Zhang Xi bezichtigte inmitten des Kiefer-Rummels Bell Art auf dem Mikrobloggingdienst Weibo, Chinas Twitter, gar des Betruges. Sie war im Jahr 2013 Teil einer von Bell Art organisierten Künstler-Studienreise nach Deutschland gewesen. Bell Art hatte dann einen Vertrag mit ihr abgeschlossen, sie sollte für Bell Art Bilder malen. Im Interview sagte Zhang Xi, sie habe der Firma insgesamt 27 Gemälde überlassen. Im Oktober 2015 erhielt Zhang Xi dann einen Brief vom Rechtsanwalt der deutschen Firma, der die Malerin des Vertragsbruchs bezichtigte. Nie habe die Firma auch nur ein Bild von ihr erhalten. Zudem solle sie eine Vertragsstrafe von 153 812 Euro bezahlen. Auf Weibo schreibt Zhang Xi: "Gebt mir die von mir gestohlenen 27 Bilder zurück." Geschäftsführer Ma Yue betonte am Freitag gegenüber der SZ erneut, Bell Art habe "niemals ein von Zhang Xi geschaffenes Werk erhalten". Allerdings sagt ein deutsche Freund der Malerin der SZ, er sei persönlich im Mai 2016 in der Galerie von Bell Art gewesen und habe sich als potenzieller Kunde ausgegeben. Dort seien mehrere von Zhang Xis Bildern zum Verkauf angeboten worden, er habe sie dann fotografiert. Der SZ liegen diese Fotos vor.

Am Freitag teilt das Atelier Kiefer mit, es habe eine Klageschrift der Firma Bell Art erhalten. Ja, man habe den Rechtsanwalt eingeschaltet gegen Kiefer, sagte Geschäftsführer Ma Yue der SZ. Wegen "unwahrer Aussagen". Ins Detail ging er nicht. Er hoffe auf einen "Artikel voller positiver Energie", schrieb er der SZ dann noch per Wechat: "China braucht positive Energie."

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