Kunst:Die Wahrheit ist ein Lockenwickler

Die Münchner Hypokunsthalle entflieht der Gegenwart in die Salons des 19. Jahrhundert.

Von Kia Vahland

Wusste William Bouguereau, was er tat, als er Raffaels klug komponierten "Triumph der Galatea" für einen Triumph des Zuckergusses missbrauchte? Zumindest musste er sich schon beide Ohren zuhalten, um nicht zu hören, was die Kritiker nach der Pariser Salonausstellung 1879 in ihre Muschelhörner bliesen. "Das ist nicht mal mehr Porzellan, das ist schlaffe Gelecktheit; das ist, ich weiß nicht was, so etwas wie das weiche Fleisch der Krake", stöhnte der Schriftsteller Joris-Karls Huysmans, und wusste dann doch noch eine Metapher nachzuschieben: "Das ist ein schlecht aufgeblasener Ballon. Keine Muskeln, keine Nerven, kein Blut." Andere sprachen von seifiger Glätte, von pomadisierter, gewachster Malerei, von zuviel Schminke.

Und was soll man sagen. Sie haben Recht. Auch rund 140 Jahre später wirkt "Die Geburt der Venus", wenn sie in voller Größe wandhoch herbei schwebt, noch genauso lächerlich pathetisch, genauso plakativ leblos wie damals. Man muss dafür gar nicht die französischen Naturalisten des 19. Jahrhunderts bemühen, Bouguereaus Gegenspieler, es genügt ein Blick auf seine Vorbilder der Renaissance, um festzustellen: Raffael und Botticelli hatten ein Anliegen, Bouguereau hatte Lockenwickler und große Töpfe voller Pastellfarben.

Er meinte es ja leider ernst, und auch seine Zeitgenossen verstanden das Großformat nicht als augenzwinkernde Persiflage. Das Pariser Musée de Luxemburg kaufte die Venus aus dem Salon für üppige 15 000 Francs an, heute gehört sie dem Musée d'Orsay. Das leiht nun seine pompöse Salonmalerei der Hypokunsthalle München, hocherfreut, dass sich endlich einmal jemand nicht für die Impressionisten, sondern für die akademische Malerei des späten 19. Jahrhunderts begeistert. Wurde die doch seit ihrer eigenen Zeit als rückständig, emotionslos, staatstragend geschmäht und verstopft nun nicht nur in Paris die Depots und manchmal auch die Säle der Museen.

Daraus hätte eine anregende, amüsante Ausstellung werden können, die den Besucher vor Augen führt, woher ihr Gefühl für Kitsch kommt: aus einer Epoche, die eben gerade nicht "Gut. Wahr. Schön" war, wie der Ausstellungstitel behauptet, sondern ein Albtraum an Unsicherheit und Zerrissenheit. Dafür müsste man über Industrialisierung reden, über nationale Selbstfindung und Enttäuschung, über den Wandel der Identitäten und Mentalitäten. Das wäre ein wunderbares Thema für eine kulturhistorische Schau, welche die Fotografie nicht scheut und auch nicht die Möbel- und Kostümgeschichte.

Doch den Münchnern genügt ihre glitschig-glänzende Malerei, je hochfahrender, desto besser. Helden fliegen gen Himmel, Kannibalen verbeißen sich ineinander, rosafarbene Mädchen schmachten Männer an. Bauern blicken ehrfürchtig, Könige düster. Die alten Griechen sind schön, reinlich und stark, die damals lebenden Algerier dagegen arm und dreckig. So einfach kann die Welt sein, verweigert man ihr den Spiegel komplexer Wirklichkeit. Ideengeschichtlich mag das aufschlussreich sein, ein paar Informationsbrocken in zu schlicht gehaltenen Saaltexten aber genügen kaum, um den Parcours außer mit ästhetischem Schaudern auch mit intellektuellem Genuss zu absolvieren.

Im Jahr 2011 ging die Hypokunsthalle das sensible Thema des europäischen Orientalismus bereits ähnlich naiv an. Mag ja sein, dass sich, wie schon im 19. Jahrhundert, solche Kunst der Ausblendung an der Kasse rechnet - auch Bouguereau konnte sich seinerzeit vor Käufern kaum retten.

Dies aber ist zu wenig. In Zeiten gesellschaftlichen Umbruchs kann man nicht so tun, als wäre Kunst ein politikfreier Raum, über den nicht gestritten werden muss. Das gilt auch für all die anderen Museen von Wien bis Frankfurt, die Salongemälde als neuesten Schrei anpreisen, nur weil sie diese nun mal besitzen.

Gut. Wahr. Schön. Meisterwerke des Pariser Salons aus dem Musée d'Orsay. Bis 28. Januar. Info: www.kunsthalle-muc.de

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