Kunst:Die Quadratur des Lebens

Im vergangenen Februar ist Alf Lechner gestorben. Die erste Ingolstädter Ausstellung nach dem Tod des Stahlbildhauers würdigt dessen Leidenschaft für Würfel und Zeichnungen. Und auch im Skulpturenpark Obereichstätt kann man auf Spurensuche gehen

Von Sabine Reithmaier

Würfel und ihre Diagonalen - das war ein unendliches Thema für Alf Lechner. Noch in seinen letzten Lebenstagen hat ihn der Kubus beschäftigt, ein Objekt, das gleichzeitig Fläche, Raum, Körper ist. Verständlich, dass die erste Ausstellung, die das Ingolstädter Lechner-Museum nach dem Tod des Stahlbildhauers zeigt, Würfelschnitte präsentiert. "Anfang und kein Ende" hat Kurator Daniel McLaughlin die Schau genannt. Für ihn ist es auf jeden Fall ein Neuanfang. Der in Berlin lebende Sohn Lechners, der lange als Galerist in New York und später als Mitarbeiter der Art Basel tätig war, kümmert sich künftig verstärkt auch um das Werk seines Vaters.

Alf Lechner hat die vier Skulpturen aus der Werksgruppe "Würfelschnitte" 2014 noch selbst realisiert. Sie wirken gut in der lichten Halle, haben den Raum, den sie brauchen, um zu wirken. 23 Tonnen wiegt jedes Exponat, nahezu Leichtgewichte im Vergleich zu manchen Stelen und Körpern, die in Lechners Skulpturenpark in Obereichstätt stehen.

Dort führt uns zwei Stunden später Camilla Lechner ins Atelier des Stahlbildhauers. Alles wirkt so, als wäre der Bildhauer nur kurz weggegangen, um etwas zu holen. "Er hat bis zu seinem letzten Tag gearbeitet", sagt seine Witwe. Modelle der Würfelschnitte füllen den großen Tisch. Lechner arbeitete sie in kleinem Maßstab erst in Styrodur aus, bevor er den Entwurf, ebenfalls noch in verkleinertem Maßstab, in Edelstahl ausführte. Dann erst wurden die Würfel aus massivem Stahl gewalzt, mit einer Flamme gebrannt, getrennt, gestapelt, schräg aneinandergelehnt, aufeinander getürmt. Für die intensive rostrote Farbe sorgte die Natur, die Objekte mussten im Freien der Witterung standhalten.

Lechner hinterließ nicht nur Skulpturen, sondern auch 4500 Zeichnungen. Wie die Würfel eine lebenslange Leidenschaft, von der die Schau im Ingolstädter Museum auch erzählt. Der Rundgang im Obergeschoss beginnt mit Landschaftszeichnungen der Jahre 1945/1946. Kleine Bildchen, Skizzen aus einer Zeit, als der 1925 geborene Lechner noch bei Alf Bachmann Unterricht hatte. Der konservative Landschaftsmaler, der im selben Haus wie Lechners Eltern lebte, war der einzige Lehrer des Bildhauers, was der zeitlebens als Vorteil empfand. Wer wenig Lehrer habe, müsse weniger übernommene Fehler ablegen, fand er.

Alf Lechner - Glashaus ; Alf Lechner

"Geteilte Zeitteilung" heißt die Installation aus 32 Stelen in Obereichstätt.

(Foto: Werner Huthmacher)

Seine Begabung rettete dem jungen Lechner das Leben, als er zwanzigjährig als ehemaliger Offiziersanwärter in Frankreich festsaß und immer wieder als Zeichner eingesetzt wurde. "Kriegsgefangenschaft" - den Begriff hat er im Juni 1945 in winziger Schrift immer wieder auf den Zeichnungen notiert. Allmählich begann er sich von der realistischen Naturbeobachtung zu lösen, reduzierte und abstrahierte, zeichnete Bäume, Blütenzweige, Heuhaufen, Maisblätter, halb verschwunden im Schnee. Und Schafe.

Es war noch ein weiter Weg bis hin zu den kraftvollen Strichen, mit denen er 2006 die riesigen Bögen füllte, die an der Wand gegenüber hängen. Dickes, raues Papier, handgeschöpft. Lechner bezog es von einem Berliner Papiermacher im größtmöglichen Format. Und zog darauf eine, zwei oder drei freihändige Linien, die vor Kraft vibrieren und trotzdem in ihrer Stille beruhigend, fast meditativ wirken. In den späten Zeichnungen, die 2016 entstanden, spielte Lechner noch einmal mit seinen Formen: Kreis, Oval, schwungvoll gebogene Flächen. Was sie so anrührend macht, sind die Blumen, die er mit wenigen Strichen darin angedeutet hat.

Der Druckgrafik Lechners widmet sich dagegen das Papierhaus in Obereichstätt. Im ehemaligen Stall zeugt die Edition "Fläche und Raum" (1982) von Lechners Auseinandersetzung mit geometrischen Grundformen, die sich aus dem Quadrat entwickeln. Beeindruckend auch die Radierungen: Lechner ritzte seine Liniengebilde mit einer Flex auf die Platten. Die Ausstellung hier hat Camilla Lechner gestaltet, die seit vielen Jahren das zeichnerische und grafische Werk ihres Ehemanns betreut.

Alf Lechner

Die Zeichnungen, präsentiert in Ingolstadt, zeigen Lechners Entwicklung. Der Fensterblick entstand 1945.

(Foto: Alf-Lechner-Stiftung, Studio Hetzer)

Auch im Freigelände lassen sich Werke finden, die erst während der letzten Lebensjahren entstanden sind. Würfelschnitte natürlich, sandgestrahlt und intensiv rot leuchtend. Dann ein kurzer Blick in den jüngsten Anbau: Auf Rolltischen lagern hier die 150 Modelle der Würfelschnitte aus den vergangenen fünf Jahren. Dann hinauf zum "Glashaus". Innen wachsen 32 Stelen. "Geteilte Zeitteilung" nennt sich die Installation, geteilt deshalb, weil die Stelen ursprünglich (2005) doppelt so lang waren. Weil die Installation so nicht ins Glashaus passte, hat Lechner sie einfach geteilt.

Draußen schießen die Jurakalkwände steil empor, bilden eine fantastische Kulisse für die Skulpturen, die überall liegen und stehen: Quader und Platten, gewölbt, gefaltet, gebrochen, Kugeln, Stelen, durch Neigungen aus dem rechten Winkel gebracht. Nachdem Alf und Camilla Lechner 1999 das ehemalige Gelände der Hüttenwerks mit dem steinern gefassten Quelltopf erworben hatten, renovierten sie die heruntergekommenen Gebäude, rodeten das Gelände. Mit den herumliegenden Jurakalkblöcken modellierten sie Terrassen in den Steinbruch hinein, schufen einen Ort von bezwingender Kraft. Kunst solle aussehen, als sei sie vom Himmel gefallen, sagte Alf Lechner einmal. Nirgendwo lässt sich die spielerische Leichtigkeit der Skulpturen besser erleben als in diesem Park.

Zurück zum Wohnhaus: Camilla Lechner brütet über dem Werkverzeichnis. Es bedarf dringend der Überarbeitung; Lechner hat nicht nur viel Neues geschaffen, sondern Werke häufig verändert, auch zwei Arbeiten zu einer vereint. Die 78-jährige Camilla ist in vielen Fällen die einzige, die darüber Bescheid weiß. Wie es weitergeht? Sie zuckt die Schultern, erschöpft von Trauer und Organisationswust. Vermutlich werde es eine stärkere Öffnung des Skulpturenparks geben, sagt sie dann. Aber erst müsse die 1999 gegründete Alf-Lechner-Stiftung die Voraussetzungen dafür schaffen. Bislang kann der Park aus versicherungsrechtlichen Gründen nur bei Führungen besichtigt werden.

Alf Lechner

Die reduzierte Landschaft stammt aus dem Jahr 2000.

(Foto: Alf-Lechner-Stiftung, Studio Hetzer)

Lechner wollte keine ständigen Besucher. Er wünschte sich Ruhe, um arbeiten zu können. "Könnt ihr alles mal machen, wenn ich nicht mehr lebe", pflegte er Frau und Sohn zu sagen. Ganz weg ist er ja zum Glück nicht. Seine Urne ruht in einem hohlen Stahlwürfel - wo auch sonst - auf einem Kalksteinblock. Die Stahltür zur kleinen Gruft gestaltete er, unterstützt von einem Schlosser, im Winter noch selbst. Bis zum Schluss getragen von der Freude, die Grenzen seines Materials immer noch ein Stückchen weiter auszuloten.

Alf Lechner. Anfang und kein Ende, verlängert bis 31. Januar 2018, Lechner-Museum Ingolstadt; am Sonntag, 27.8., führt Lechners Sohn Daniel McLaughlin durch Museum und Skulpturenpark. Ab 14 Uhr Lechner Museum (Esplanade 9, Ingolstadt). Ab 16 Uhr Skulpturenpark (Allée 3, Obereichstätt). Kombi-Tageskarte: 7,50 Euro, Voranmeldung nicht erforderlich

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