Kunst der Verknappung:"Er fröstelt. Er fiebert."

Hans Joachim Schädlich erzählt vom Exil des Malers Felix Nussbaum und von dessen Lebensgefährtin Felka. Jeder Satz des Buches trifft wie ein kleiner Stich.

Von Ulrich Rüdenauer

Am Anfang des neuen Buches von Hans Joachim Schädlich steht ein Boxhieb, ein richtiger Wirkungstreffer. Er lässt nicht nur den Angegriffenen buchstäblich niedersinken, sondern symbolisiert auf gewisse Weise auch den Niedergang einer Epoche. Das kommende Unheil findet in diesem Faustschlag seinen kraftstrotzenden Ausdruck, auch wenn man das im Jahr 1933 noch nicht wissen, höchstens erahnen kann.

Der junge Maler Felix Nussbaum, der in Berlin seine ersten Erfolge feiern konnte, hat ein Stipendium für die Villa Massimo in Rom erhalten. Begleitet wird er von seiner polnischen Lebensgefährtin Felka Platek, auch sie eine Künstlerin. Der wenig später zum repräsentativen Bildhauer der neuen Zeit aufsteigende Arno Breker hält sich in diesen Tagen ebenfalls in der Villa auf, und der Expressionist Hanns Hubertus von Merveldt. Letzterer beschuldigt Nußbaum, eine Bildidee von ihm gestohlen zu haben, holt aus und schlägt zu. Es ist ein satter Punch, der Felix Nußbaum zu Boden streckt. Der Getroffene blutet aus der Nase. Ein Arzt wird gerufen, der zu dem Schluss kommt, es sei nichts Ernstes. "Sie können unbesorgt sein."

Die Flucht führt sie nach Belgien, nach Kriegsbeginn müssen sie in Verstecken leben

Der Direktor der Villa Massimo sieht sich genötigt, beide Stipendiaten - sowohl Merveldt als auch Nußbaum - frühzeitig aus dem römischen Paradies zu entlassen. Das ist weniger ein Problem für den Grafen Merveldt als für Nussbaum, denn in Deutschland hat unterdessen ein untalentierter Kunstmaler die Macht an sich gerissen, und das jüdische Paar Felix und Felka zieht es klugerweise vor, nicht ins Reich zurückzukehren. Nussbaums Atelier in Berlin wird zerstört, sein Werk vernichtet.

Und nun beginnt, wie für viele andere Künstler in diesen Jahren, ein Nomadendasein, eine Odyssee durch halb Europa, eine Zeit der Angst und der kleinen Hoffnungsschimmer, der Aussichts- und Mittellosigkeit, der Abhängigkeit vom Wohlwollen anderer und fortwährender Furcht vor Verrat. "Felix und Felka" heißt Hans Joachim Schädlichs jüngstes Prosastück, das keine Gattungsbezeichnung trägt. Eine lange Literaturliste ist ihm angehängt. Sie verbürgt Tatsachentreue.

Kunst der Verknappung: "Die Gerippe spielen zum Tanz": 1944, im Jahr, in dem er deportiert wurde, malte Felix Nussbaum diesen "Triumph des Todes".

"Die Gerippe spielen zum Tanz": 1944, im Jahr, in dem er deportiert wurde, malte Felix Nussbaum diesen "Triumph des Todes".

(Foto: Alamy/mauritius images)

Nussbaum, 1904 in Osnabrück geboren, war ein Meisterschüler Hans Meids. Seine Wiederentdeckung als Vertreter der Neuen Sachlichkeit liegt noch gar nicht so lange zurück. Felka steht als Malerin in seinem Schatten, aber in Schädlichs literarischer Vergegenwärtigung ist sie eine gleichberechtigte Figur.

Die Flucht führt beide von Italien nach Belgien, aber selbst die gemeinsame Erfahrung der Verfolgung kann nicht über die Spannung hinwegtäuschen, die Schädlich in diesem Paar gefunden hat und die symptomatisch ist für das deutsche Judentum im 20. Jahrhundert. Felka entstammt dem polnischen Schtetl; die assimilierte, bürgerliche Familie von Felix blickt mit Verachtung herab auf das Ostjudentum. Vater Nussbaum fühlt sich als Deutscher, er erkennt viel zu spät, dass die Nazis keinen Unterschied machen zwischen West und Ost, zwischen ihm als Veteranen des Ersten Weltkriegs und den "Ghetto-Juden" in Warschau. Dieser tragische historische Konflikt spaltet die beiden Familien, und Schädlich hat ihn feinsinnig als weitere Ebene in die nicht unproblematische Beziehung zwischen Felix und Felka eingebaut.

Im Sommer 1944 werden Felix und Felka aufgespürt und deportiert

Mit Kriegsbeginn wird das Exil für das Paar immer gefährlicher. Die Aufenthaltsgenehmigung ist nun nichts mehr wert. Felix Nussbaum wird im französischen Lager Saint-Cyprien inhaftiert, der "Pyrenäenhölle", wie Walter Mehring den Ort genannt hat. Aber er kann fliehen, entgeht der Auslieferung, kehrt zurück nach Brüssel. Fortan lebt das Paar in Verstecken. Es gibt Freunde, auf die auch im Exil Verlass ist, die ihr Leben riskieren, um Felix und Felka Unterschlupf zu gewähren oder Bilder aufzubewahren. Wichtig wird die emigrierte Familie Klein in den USA, frühere Bekannte, die noch vor der Okkupation Belgiens einige von Nussbaums Zeichnungen und Gemälden in ihrer neuen Heimat verkaufen können. Felix beschreibt in einem von Schädlich ins Buch eingeflochtenen Brief seine Situation: "Wie ich vor zirka 6 Jahren Osnabrück verließ, um als Gast des deutschen Staates nach Rom zu reisen, hätte ich mir nicht träumen lassen, dass meine Rückfahrkarte verfallen würde." "Wandernd und suchend" ist er wie alle Vertriebenen, "stets bepackt mit Rollen von Bildern und einem großen Fragezeichen im Koffer". Die Fantasie, sich das vorzustellen, was später Holocaust genannt werden wird, haben weder Felka noch Felix; das alltägliche Überleben ist zu herausfordernd. Eine Einladung in die USA schlagen sie aus; nach England, wo Freunde leben, versuchen sie erst gar nicht zu gelangen. Mit Belgien sind sie vertraut, und so schlimm werde es schon nicht kommen, denken sie. Im Sommer 1944 werden die beiden aufgespürt und deportiert.

Wie schon die letzten Bücher des 82-jährigen Autors ist auch das neueste von beachtlicher Konsequenz. Die literarischen Mittel werden äußerst ökonomisch eingesetzt, das Entscheidende sind die Leerstellen. Er verdichtet das Gesagte, bis es komprimierter kaum möglich zu sein scheint, das Unausgesprochene nimmt im Text den größten Raum ein. Dennoch hallt es im Leser am deutlichsten nach. Die karge Benennung, die spärliche Beschreibung folgen einer Ästhetik der Verknappung, je feiner die Dosierung, desto größer die Bildproduktion im Gehirn. Wo die Gefühle nicht be- und damit vorgeschrieben werden, können sie ihre Wirkung erst so richtig entfalten. Herta Müller, die zu den Bewunderinnen Schädlichs gehört, schrieb vor einigen Jahren, seine Sätze seien schlau, "sie sehen aus, als wären sie ahnungslos in ihrer spöttischen Tragik und ihrer verletzten Ironie, dass man sich bei Schädlich immer denkt beim Lesen, viel weiter kann man nicht gehen, ohne sofort zu verzweifeln".

Leseprobe

Seither hat er seine Reduktionskunst immerzu verfeinert, und die Verzweiflung hat sich noch tiefer eingeschrieben. "Felix auf der Holzpritsche im SS-Sammellager Mechelen. Er fröstelt. Er fiebert. Er träumt die große Ausstellung. In Brüssel? In Paris!" Jeder Satz trifft wie ein kleiner Stich. In Hans Joachim Schädlichs Prosa - so zurückgenommen, lakonisch und sachlich wie Regieanweisungen - wird das 20. Jahrhundert entschlüsselt. Seit vierzig Jahren zeigt er den Zusammenhang von Macht und "Unmacht", ein Begriff des Autors, in seinen Büchern auf. So ist "Felix und Felka" nicht nur eine literarisch höchst konzentrierte, historische Erzählung, sondern auch eine Warnung an die Zeitgenossen.

"Nur fort aus Europa!", heißt es darin einmal. Die Aufforderung entstammt einem Albtraum, der Felix quält und der im "Chaos der Trümmer abendländischer Kultur und Zivilisation" siedelt. Der Tod spielt dazu Trompete. "Felix erwacht. Er schwitzt. Er zittert." Das Erwachen aber ist schlimmer noch als jeder Alb. Schädlich weiß, dass diese Wirklichkeit sich nicht schildern lässt. Das Buch endet mit nüchternen Zahlen: "Der 26. Transport mit 563 Personen, darunter 47 Kinder, verließ Mechelen am 31. Juli 1944 und erreichte Auschwitz am 2. August." Felix und Felka sind zwei davon.

Hans Joachim Schädlich: Felix und Felka. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2018. 204 Seiten. 19,95 Euro. E-Book 16,99 Euro.

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