Kunst:Der Sommersprossen-Maler

Rubenspreisträger Niele Toroni

Alles schön ordentlich: Niele Toroni drückt den Pinsel an die Wand.

(Foto: Henning Kaiser/dpa)

Niele Toroni macht seit 50 Jahren exakt eine Handbewegung. Jetzt ist sein hingetupft-minimalistisches Werk in Siegen zu sehen.

Von Michael Kohler

Er glaube nicht an die große Freiheit der Kunst, hat Niele Toroni einmal gesagt, er sei eher ein Handwerker, der seine Arbeit erledigt. Also stellen wir uns vor, wie ihn Museumsdirektoren aus aller Welt anrufen und bitten, mit Pinsel und Farbdose vorbeizukommen. Es gäbe da eine Ecke zu bemalen, erklären sie ihm, vielleicht sogar eine ganze Wand. Es ist klar, was dabei herauskommt, und das ist nun auch wieder im Siegener Museum zu sehen, das sein Werk anlässlich des ihm gerade verliehenen Rubenspreises ausstellt. Denn seit 1966 macht Toroni immer das Gleiche: Er tunkt einen rechteckigen, 50 Millimeter breiten Pinsel in eine Farbdose und drückt ihn auf einen beliebigen Untergrund. Dann setzt er ab und wiederholt diese Geste 30 Zentimeter daneben oder schräg versetzt darunter. So entstehen aus quadratischen Tupfern gebildete Quadrate, Rechtecke und Pyramiden, deren luftiger Umfang sich aus dem jeweiligen Bildträger ergibt. Während die Farbe von Werk zu Werk variiert, tragen alle Arbeiten denselben Titel: "Pinselabdrücke Nr. 50, wiederholt in regelmäßigen Abständen von 30cm". Reklamationen sind zwar nicht ausgeschlossen, aber aussichtslos. Jeder weiß, dass Toroni nur eine Handbewegung in der Werkzeugkiste hat.

Niele Toronis Handwerkskunst ist eine Form der Malerei, wie sie nur in den Sechzigerjahren entstehen konnte und wie sie in dieser Zeit beinahe zwangsläufig entstehen musste. Die Malerei galt damals allgemein als ausgereizt und todgeweiht, was auch an Toroni nicht spurlos vorüberging. Er hörte auf, Tiere, Bäume und andere Dinge zu malen, die sich mit dem Fotoapparat viel besser festhalten lassen, und pinselte stattdessen 1965 jede zweite Kachel eines ausgemusterten Linoleumbodens mit gelber Farbe aus. Im nächsten Jahr fing er mit der Malerei dann noch einmal ganz von vorne an: Er setzte einen Farbtupfer auf einen leeren Untergrund und blieb dabei, weil er fand, dass in dieser steten Wiederholung das ganze Leben enthalten ist. Toroni malt so gleichmäßig, wie das Herz schlägt. Und so lange es dies tut, lebt auch die Malerei.

Es steckt also viel Pathos in Toronis Malerei, aber eben nur ein wie Sommersprossen hingetupftes - das unterscheidet ihn von den meist bierernsten Minimalisten und Konzeptkünstlern seiner Generation. 1978 ließ Toroni eine Rolle bemaltes Packpapier in den Bärengraben des Berner Zoos herab, und er weiß, dass er sich mit seiner Arbeit dem Publikum zum Fraß vorwirft. Man dürfe ihn gerne für einen Faulpelzhalten, erklärte Toroni einmal, solange man ihm nur keine Inspiration nachsage. Auch in Siegen stieg deshalb zuerst sein langjähriger Assistent auf eine Leiter, um die Punkte für die Pinselabdrücke mit Bleistift und Zirkel zu markieren.

Im Grunde ist Toroni ein Nachfahre jener italienischen Maler, die früher Kirchen und Kapellen mit christlichen Szenen füllten und sich mehr als fahrende Handwerker denn als Künstler verstanden. Auch Toroni feiert das ewige Leben der Malerei. Aber in seiner elementarsten Form.

Niele Toroni. 13. Rubenspreis der Stadt Siegen. Museum für Gegenwartskunst, Siegen. Bis 15. Oktober. Der Katalog kostet 39,80 Euro.

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