Kunst:Der Rabbi und die Totenruhe

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Mögliche jüdische Gräber - und eine suspekte Sammlung? Hunderte orthodoxe Juden protestieren gegen das Kunsthaus Zürich und seinen Erweiterungsbau. Das Kunsthaus hingegen weist auf den Volkswillen hin.

Von Charlotte Theile

Wenn Rabbi David Niederman in New York die Bilder aus Zürich sieht, dreht sich ihm der Magen um. Auf den Bildern sieht man: Bagger. Große Baustellengeräte, die Erde aufschütten, sich tief in den Boden hinein arbeiten und dann alles plattfahren. In ein paar Jahren soll in der Zürcher Altstadt eine Erweiterung des Kunsthauses stehen, im Moment sind die Aushubarbeiten in vollem Gange. Das Problem ist: Der Boden, auf dem der Neubau entstehen soll, hat eine Geschichte. Im 14. Jahrhundert sollen auf diesem Gelände jüdische Gräber errichtet worden sein, so die Überlieferung. Rabbi Niederman ist die jüdische Totenruhe heilig. So sehr, dass er in den vergangenen Wochen immer wieder zu Protesten aufgerufen hat.

Bei der jüdischen Gemeinde in Zürich haben die Kundgebungen Hunderter strenggläubiger Juden vor den Schweizer Botschaften in New York, London, Tel Aviv eher Unbehagen hervorgerufen. "Ich war auf dieser Baustelle" sagt Jonathan Kreutner, Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes und Sprecher der jüdischen Gemeinden Zürichs. "Dort, wo die Gräber vermutet werden, finden sehr sorgfältige archäologische Ausgrabungen statt." Nicht mit dem Bagger, sondern mit feinstem Gerät und geschultem Personal werde dort gearbeitet, davon hat sich Kreutner selbst überzeugt.

Bisher allerdings haben diese Ausgrabungen nichts zutage gefördert. Es ist also fraglich, ob der Friedhof überhaupt an dieser Stelle existiert hat. Kreutner ist sicher: "Da werden keine Gräber geschändet." Der Generalsekretär steht in Kontakt mit dem Zürcher Hochbaudepartement und dem Kunsthaus - die Einmischung aus dem Ausland passt ihm da wenig ins Konzept. Es seien "falsche Informationen" im Umlauf, heißt es vom Hochbaudepartement. Es handele sich um eine kleine, ultraorthodoxe Splittergruppe, sagt Kreutner.

Dieser Splittergruppe aber ist in den vergangenen Wochen einige Aufmerksamkeit zuteil geworden. Die New York Times etwa ließ Rabbi Niederman Anfang März ausführlich zu Wort kommen - und lenkte den Fokus auf ein weiteres kritisches Thema im Zürcher Kunsthaus: Die Ausstellung der Sammlung Emil Georg Bührle. Sie soll 2020 in den neuen Erweiterungsbau des Museums einziehen.

Schon im Sommer 2015 sorgte das "Schwarzbuch Bührle" in der Schweiz für Diskussionen. An den Bildern des Schweizer Waffenfabrikanten "klebt viel Blut", erklärte Guido Magnaguagno, der frühere Vizedirektor des Kunsthauses. Die Stiftung Sammlung Bührle wehrte sich: Es werde versucht, die Bilder unter Generalverdacht zu stellen. Man arbeite seit Jahren daran, die Herkunft der Bilder aufzuklären, das sei in fast allen Fällen gelungen. Die Erinnerung an "die Vorgänge rund um die Raubkunst" solle "selbstverständlich nicht verdrängt werden".

Es gibt doppelten Verdacht: gegen den Neubau und gegen die Sammlung, die dort einziehen soll

Tatsächlich tut sich die Schweiz bis heute schwer, einen Umgang mit dem Thema Raubkunst zu finden. Nur weil die Schweiz in der Nazi-Zeit "Fluchtkunst geradezu angezogen hat", könne man keine Mitschuld an "den Verhältnissen" akzeptieren, sagt Lukas Gloor, Direktor der Sammlung Bührle. Björn Quellenberg, Sprecher des Kunsthauses, sagt, es könne nicht dessen Aufgabe sein, eine umfangreiche Raubkunst-Dokumentation bereitzustellen. Die Sammlung Bührle genießt Gastrecht, bleibt aber eigenständig. Natürlich werde man sich der Diskussion in derselben Weise stellen, wie man es bereits 2010 getan hat, als man die Sammlung Bührle vier Monate im Kunsthaus zeigte, aber: "Im Zentrum stehen die Gemälde."

Zudem weist das Kunsthaus, ganz schweizerisch, auf den Volkswillen hin: 2012 wurde in Zürich über die Erweiterung abgestimmt. Schon damals war klar, dass hier die Sammlung Bührle einziehen und eine der größten Sammlungen des französischen Impressionismus entstehen solle. "Wir haben mit offenen Karten gespielt" sagt Quellenberg. 54 Prozent der Zürcher stimmten damals für den Ausbau. Damit sei alles klar. Rabbi Niederman in New York sieht das anders. "Wir wollen, dass die Bauarbeiten gestoppt werden" sagt er am Telefon. Solange das nicht geschehe, würden die Proteste fortgesetzt.

© SZ vom 22.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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