Kunst:Der Fluch der Gegenparolen

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Wenig subtil, dafür sehr schwarz-weiß: Wolfgang Mattheuers Ölgemälde "Kain" aus dem Jahr 1965.

(Foto: Galerie Schwind, Leipzig, Frankfurt am Main, Berlin/ VG Bild-Kunst, Bonn 2017)

Eine Werkschau von Wolfgang Mattheuer in Rostock will den DDR-Maler rehabilitieren.

Von Till Briegleb

Es fällt nicht leicht, Wolfgang Mattheuer Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Als einer der vier Nationalpinsel der DDR, die das Vorhandensein von Kunstqualität im Weisungsstaat belegen sollten, ist Mattheuer den Fluch des Kompromittierten nie losgeworden. Neben Willi Sitte, Werner Tübke und Bernhard Heisig war Mattheuer der mit den meisten Staatsprivilegien, der in den Westen reisen und dort reichlich Bilder verkaufen durfte. Er war bis ein Jahr vor dem Mauerfall Mitglied der SED und mit dem Standpunkt der sozialistischen Kulturpolitik eins, dass die Kreativen positiv und verständlich in die Gesellschaft hinein wirken sollten, weswegen sie einem wie auch immer gearteten "Realismus" verpflichtet zu bleiben hatten.

Andererseits war der Leipziger Maler auch in der DDR durchaus umstritten, wurde von der Stasi überwacht, gehörte im Dämmerungszustand des Regimes zu den zentralen Figuren der Montagsdemonstrationen, und er hat von Mitte der Sechzigerjahre an vor allem Bilder gemalt, deren Symbolgehalt mit unmissverständlicher Aufbaukunst nur sehr wenig zu tun hatten. Vielmehr galten seine prominentesten Werke auch den DDR-Kontrolleuren und Machthabern als relativ unverblümt staatskritische Parabeln.

Kurz nach der Wende eskalierten diese gegensätzlichen Betrachtungen mit dem deutsch-deutschen Malerstreit zwischen emigrierten und daheimgebliebenen Künstlern der Sowjetzone und bekamen einen grellen Anstrich, als Georg Baselitz die "Viererbande" 1990 als "Propagandisten der Ideologie" und "Arschlöcher" beschimpfte. Danach aber setzte sich eher die vermittelnde Position durch, nach der die Widerstandsfähigkeit einer Kunst im Verhältnis zu den repressiven Strukturen einer Gesellschaft beurteilt werden sollte - womit DDR-Kunst plötzlich im gleichen Kontext stand wie alle Kunst in Herrschaftssystemen, vom Katholizismus bis zum Kapitalismus.

Mit dieser Wendung befand sich Mattheuer im Block der Aufrechten. Stand sein "Jahrhundertschritt", diese in vielen Varianten vorhandene Komposition aus Hitlergruß, kommunistischer Faust, nacktem Bein und Militärstiefel, nicht emblematisch für die Symbolkraft künstlerischer Dissidenz im Überwachungsstaat? In Sammlungen von DDR-Kunst wie der des SAP-Gründers und Software-Milliardärs Hasso Plattner zählt Mattheuers skeptischer Symbolismus längst zu den Herzstücken einer Neuinterpretation, die den Parteimalern der DDR einen makellosen Rang in der Kunstgeschichte vermachen will.

In diese Richtung schlägt nun auch das Pendel der großen Werkschau zum 90. Geburtstag des 2004 verstorbenen Mattheuer. Unter dem Titel "Bilder als Botschaft" und begleitet von einem Werkverzeichnis seiner Gemälde von 1950-2003 zeigt die Kunsthalle Rostock seine wichtigsten Arbeiten in einer Schau mit mehr als 80 Exponaten. Mit dem ehemaligen FAZ-Kunstredakteur Eduard Beaucamp als Kronzeuge, der Mattheuer als einen politischen Maler interpretiert, der "kritische Antworten gibt", und gegen den alle zeitgenössische Konzeptkunst "selbstgefälliger Moralismus-Brei" sei, beschreibt die Ausstellung den Träger der höchsten Kulturorden der DDR als einen Goya des reinen Herzens.

Will man sich auf dieses Spiel einer Totalrehabilitierung Mattheuers nicht einlassen, dann stellt sich vor diesem Überblick eine viel nüchterne Frage: Was kann Mattheuers Kunst heute noch ausdrücken, fast 30 Jahre nach dem Untergang seiner Heimatdiktatur, die ihm die Themen und Motive sowie die Grenzen des Machbaren gesetzt hat? Stellen Mattheuers Malerei und seine daraus abgeleiteten Skulpturen wirklich existenzielle Fragen? Oder ist die Faszination an seiner Bildsprache mit der historischen Spannung erschlafft, der sie ihre Ausdrucksstärke verdankt?

Was mit historischem Abstand sofort ins Auge fällt, ist die leichte Interpretierbarkeit der sich wiederholenden Bildformulierungen. Weniger rätselhaft und subtil, wie es kritische Westkunst zur gleichen Zeit betrieben hat, sind Mattheuers starke Bildaussagen von einem simplen parabelhaften Schematismus, den man als Zensor eigentlich nur dann missverstehen kann, wenn man - wie der DDR-Staat - ein ideologisches Interesse daran hat, diese Kunstwerke als kritisches "Feigenblatt" gen Westen zu präsentieren.

Die Straße, die in die Sonne führt, steht vielfach für Flucht und Hoffnung. Die Masken, die sich seine grob gemalten Figuren aufsetzen, sind Anklagen der Heuchelei. Sisyphos, der sich seines Steins entledigt, oder Ikarus, der nach seinem Sturz wieder aufsteht, sind serielle Motive von Freiheitssehnsucht, Individualismus und Selbstbehauptung. Und müde Helden des Arbeiterstaats am Gartenzaun oder vor einem Strauß Tulpen kritisieren die Stachanow-Religion des unermüdlichen Proleten, der stets freudig das Aufbauwerk des Sozialismus betreibt.

Der Reizstoff dieser Motive ist zu schnell ersichtlich, um heute mehr zu sein als zeitbezogene Gegenpropaganda. Zudem verstärkt die humorlose Manier, mit der Mattheuer seinen politischen Symbolismus betreibt, den ziemlich hermetischen Ausdruck seiner Kunst, die außerdem malerisch nicht besonders fein, originell oder vielschichtig ist. Im Lichte seines Werkes erscheint Mattheuer stattdessen wie ein stark literarisch arbeitender Illustrator von Gegenparolen, die er nur so weit zu verschlüsseln trachtete, dass es ihm nicht persönlich bedrohlich wurde. Zum Beispiel, indem er sich mit ausgewiesenen Helden der sozialistischen Sagenschreibung wie Prometheus oder Sisyphos beschäftigte. All diese stark grafischen Bedeutungswerke wirken von der Nähe betrachtet sowohl in ihrer Botschaft wie in ihrer Komposition und dem ästhetischen Stil comichaft und eindeutig.

Parallel zu diesem Zeichenhaften hat Mattheuer sehr intensiv daran gearbeitet, als Caspar David Friedrich für DDR-Landschaften gewürdigt zu werden. Statt gotische Kirchenruinen setzte er Staudämme, Brücken und Industrieanlagen in die hügeligen Ideallandschaften, die er aus seiner thüringischen Heimat des Vogtlandes frei entwickelte. Auch auf diesem romantischen Feld mehr einem Stil naiver Malerei folgend als einem akademischen Realismus, der ihn der vollständigen Angepasstheit an den propagierten Staatsstil verdächtig gemacht hätte, liefert Mattheuer ein Porträt der Naturzerstörung durch den tätigen Sozialisten.

Dieser sehr umfangreiche Teil seines Œuvres bietet eine vielschichtige Anschauung vom Leben in der DDR, wo große Vorhaben romantisch verklärt wurden, kleine Menschen dagegen nur als Werktätige ohne persönliche Ausstrahlung das Bild ergänzen. Allerdings neigt Mattheuer auch hier dazu, die Motive mit eindeutigen Botschaften über den Kampf von Natur und Technik didaktisch zu reduzieren.

Der Titel der großen Werkschau zeigt also ungewollt, warum Wolfgang Mattheuers Kunst heutzutage eher flach und historisch bedingt erscheint und keineswegs wichtiger ist als "Richter und Baselitz", wie Eduard Beaucamp meint. Mattheuers sozialistischer Korrektur-Realismus konzentrierte sich pädagogisch auf klare Bildaussagen, wenn auch mit sehr guten Absichten. Doch damit bleibt er im Geist belehrend und vordergründig, was seine kritische Kunst wiederum mit der offiziellen Staatskunstidee des sozialistischen Realismus gemein hat. Sie ist verkrallt in ihr Gegenüber. Dadurch teilt diese didaktische Ästhetik das Schicksal des Regimes, das sie reflektiert hat.

Wolfgang Mattheuer. Bilder als Botschaft. Kunsthalle Rostock. Bis 17. September. Katalog (Edition Galerie Schwind) 49 Euro.

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