Documenta:Ethnische Reinheit als Ausstellungskonzept?

Documenta Athen Kunst

Werke von Cecilia Vicuña und Khvay Samnang auf der Documenta in Athen.

(Foto: Aristidis Vafeiadakis/ZUMA Press/imago)

Mit Künstlern der Sámi und anderer indigener Völker will die Documenta in Athen Vielfalt stärken. Doch stattdessen ist, womöglich nicht einmal gewollt, der Traum nach Homogenität zurück.

Von Kia Vahland

Sámi-Frauen tragen traditionellerweise Primärfarben. Deswegen entschied sich die samische Norwegerin Synnøve Persen Ende der Siebzigerjahre für Rot, Gelb und Blau. Sie nähte daraus eine Fahne, die ihrem Volk in Norwegen, Schweden, Finnland und Nordrussland helfen sollte, sich als Nation zu verstehen. Es war die Zeit, als die norwegischen Ureinwohner gegen ein Staudammprojekt protestierten, das ihre Existenz gefährdete. Auch Persen saß vor dem Parlament in Oslo im Hungerstreik.

Heute flattert ihre Fahne nicht im nordischen Wind; sie ist als Museumsstück eines der zentralen Werke der Documenta in Athen. An den Ausstellungswänden hängen dazu Persens monochrome Gemälde in Rot, Blau und Gelb. Sie erinnern an die Farbfeldmalerei des Amerikaners Barnett Newman, mehr noch aber an die norwegische sowie die schwedische Flagge.

Das ist ein erstaunlich national gedachtes Statement. Schließlich ist diese Documenta ausgezogen, um für Internationalität und kulturellen Austausch zu werben, um "von Athen zu lernen".

Das funktioniert im Stadtraum fantastisch, die Ausstellung feiert und belebt darbende Institutionen wie das nie eröffnete Museum für Gegenwartskunst, das auch Persens Arbeit zeigt. Wie aber verhalten sich zum kosmopolitischen Anspruch auf Heterogenität die vielen indigenen Arbeiten, die erklärter Schwerpunkt der Documenta sind?

Früher fürchteten Kuratoren nichts so sehr wie das Konzept ethnischer Reinheit. Und jetzt?

Hier geraten die Kuratoren in ein Dilemma. Einerseits ist der kulturelle Mix vielerorts gesellschaftliche Realität und gilt bei Kulturwissenschaftlern, Ethnologen, Soziologen als treibende progressive Kraft: Je intensiver Milieus einander nicht nur tolerieren, sondern auch anregen, verstehen und möglichst hierarchiefrei durchdringen, desto eher entsteht etwas Neues, desto gewaltfreier lassen sich Konflikte bewältigen.

Andererseits aber ist es für indigene Gruppen wie die Sámi gerade überlebenswichtig, sich gegenüber fremden Einflüssen abzugrenzen. Ihre interkulturelle Erfahrung heißt in der Regel Umerziehung und Unterdrückung; auch Persen wurde als Siebenjährige in ein Internat gesteckt, um ihre nordsamische Muttersprache zu verlernen.

Persens norwegische Flaggenbilder an der Wand sind dazu ein böser Kommentar. Das eigentliche Norwegen repräsentiert hier die von ihr entworfene Sámi-Fahne, die Sámi-Vertreter später in veränderter Form zur offiziellen Flagge der Volksgruppe erklärten.

So kosmopolitisch wie Lederhosen-Träger auf dem Oktoberfest

Persens Kollegen betreiben auf der Documenta ebenfalls eine ortsbezogene Identitätspolitik. Hans Ragnar Mathisen fügt die Bezeichnungen der Sámi in alte Landkarten ein; Joar Nango baut aus Rentierfellen und Gestrüpp eine Outdoor-Lounge. Es treten nicht nur Schamanen und andere Indigene (oder eher deren Nachahmer) auf die pelzige Bühne, auch Performer von anderswo sind willkommen.

Das aber wirkt ungefähr so kosmopolitisch wie, pardon, die Bayern, wenn sie jeden auf dem Oktoberfest willkommen heißen, solange er eine Lederhose und sie ein Dirndl trägt. Dies passt zur Wiesn oder Nordschweden. Für eine nach Athen exportierte Weltkunstausstellung mit universalem Anspruch reicht es nicht. Da zählt, was die antiken Künstler versucht haben vorzuleben: das nackte Allgemeinmenschliche, was eine Einfühlung in fremde Kulturen und Zeiten erlaubt. Dafür aber muss man einander anblicken.

Die aus Ranken gewobenen Tiermasken des Kambodschaners Khvay Samnang bilden dagegen lieber einen geschlossenen Kreis der Blicke. In teilnehmender Beobachtung hat der Künstler das in der südwestlichen Provinz Koh Kong lebende Volk der Chong begleitet, hat ihren Geister- und Ahnenkult studiert und mithilfe lokaler Schnitzer die Masken nachgeahmt.

Man könnte über die Färbung der Worte nachsinnen

Sie reagieren in der Schau auf nichts anderes als sich selbst und die eigene Ideenwelt. Neben ihnen hängt die saalhohe, poetische Arbeit der Chilenin Cecilia Vicuña, die einen roten wollenen Wasserfall von der Decke hinabwirft, dicke Bänder, die mit ihren Knoten an das Aufzeichnungssystem im alten Peru erinnern.

Man könnte nun über Kommunikation nachsinnen, die Färbung der Worte. Immerhin nennt Hauptkurator Adam Szymczyk Sprache "ein Nährmittel" und eines der zentralen Themen seiner Ausstellung. Stattdessen herrscht in diesem Saal wie in vielen anderen eine große Sprachlosigkeit zwischen den Kulturen.

Die Welt schien ein Ganzes aus unentwirrbar verwobenen Fäden

Documenta 14 Exhibition in Athens

Monika Grütters, eine Maske und der griechische Präsident Prokopis Pavlopoulos.

(Foto: Milos Bicanski/Getty)

Das war schon einmal anders. Okwui Enwezors Documenta im Jahr 2002 lehnte die Idee von homogenen Ethnien als koloniales Konstrukt radikal ab. Bei ihm mischte sich Stammeskunst mit Pop, Künstler kombinierten Kasseler Müll mit Souvenirs aus den früheren Kolonien. Afrikaner rebellierten gegen Folklore, Europäer dekonstruierten die Geschichtsmythen ihrer Länder. Jeder durfte sich verkleiden, durfte mit Bildern und Geschichten der anderen spielen. Die Welt schien ein Ganzes aus vielen unentwirrbar verwobenen Fäden und Fetzen.

Anderthalb Jahrzehnte später ist, womöglich nicht einmal gewollt, der Traum nach Homogenität zurück, ausgerechnet im Jahr 2017, in dem Europa wie nie zuvor in der Nachkriegszeit regionalistischen und patriotistischen Versuchungen ausgesetzt ist.

Die kanadische Documenta-Kuratorin Candice Hopkins sagt, sie halte es für Missbrauch, wenn nicht-indigene Künstler Materialien indigener Volker nutzten. Angesichts der kolonialen Raubzüge mag das aus Sicht echter Indigener verständlich sein. Aus Sicht von denjenigen international wirkenden Künstlern, die sich nicht über ihre Herkunft definieren, ist es eine kaum hinzunehmende Beschränkung.

Die Bilderwelt, die dabei herauskommt, wirkt so nicht immer klischeefrei. Zugeordnet werden den Sámi ihre Rentiere, den Indianern ihre bunten Tiermasken, den Deutschen ihre Hitlerporträts, den Griechen ihre alten Säulen und Statuen. Damit ist die Antike nicht unsere Moderne - sie ist nur eine Ethnie von vielen.

Kuratoren sind wie Eindringlinge

Die Documenta will den Indigenen zur Emanzipation verhelfen, will sie aus dem ethnologischen Museum befreien und ihnen im Kunstkontext eine Stimme geben. Es gibt Arbeiten, in denen das wunderbar gelingt, etwa wenn die Amerikanerin Susan Hiller Tonbandaufnahmen der letzten Sprecher indigener Sprachen zu einer großen traurigen Erzählung kombiniert. Oder wenn die Sámi-Künstlerin Britta Marakatt-Labba in Stickarbeiten zeigt, wie die Sámi das christliche Konzept der Seelenwanderung in naturreligiöse Vorstellungen übersetzen und wie sehr die Generation ihrer Großeltern aus spirituellen Gründen unter der Schädelentnahme von Leichen litt, welcher in den Dreißigerjahren zu Forschungszwecken praktiziert wurde.

Mit solchen Dokumentationen und Einfühlungsversuchen aber begnügt die Schau sich nicht. Sie möchte selbst von der unberechenbaren Kraft der Geister profitieren. Bilder sind hier ausdrücklich nicht nur Ausstellungsstücke, erst recht keine Tauschobjekte oder Geldanlagen. Sie sind, zumindest im Moment ihres Gebrauchs, Lebewesen. Auch die Vorliebe für Performances dieser Documenta hat mit dem animistisch-kultischen Gedankengut zu tun, von dem die Großausstellung inspiriert ist.

Da mag durchaus etwas dran sein. Bilder sind keine Gegenstände wie alle anderen. Es gibt gute Gründe, sich zu empören über die Tendenz des Kunstmarktes, Werke auf ihren monetären Wert zu reduzieren (und damit indirekt dann doch wieder kultisch zu verehren). Aber indem sich die Kuratoren so ausgiebig bei den indianischen Geistern bedienen und diese in den Ausstellungssälen isolieren, tun sie letztlich nur wieder das, was Eindringlinge immer taten: Sie hoffen in einem geradezu kannibalistischen Akt, sich die spirituelle Energie von fremden Ritualen einzuverleiben, um sich selbst und ihr Projekt mit neuen Lebensgeistern zu stärken.

Nicht für eine große Öffentlichkeit gedacht

Ahnenfiguren und indigene Kultgegenstände für Tanz und Trance sind nicht für eine große Öffentlichkeit gedacht. Sie brauchen die mystische Heimlichkeit, mit der ihre Gemeinschaften sie vor unbefugten Blicken schützen.

Das Gegenteil gilt für eine Großausstellung. Sie will, braucht und bekommt maximale Öffentlichkeit. Dieser Widerspruch lässt sich nicht lösen, indem man einfach davon absieht, die Objekte mit ihrer neuen Umgebung kommunizieren zu lassen. Wir sind in der Großstadt Athen, nicht in den weiten Landschaften Skandinaviens oder den dichten Wäldern Kambodschas.

Die Sámi haben übrigens eine lange europäische Ausstellungserfahrung. Ab 1875 stellte der Tierpark Hagenbeck in Hamburg über mehrere Jahrzehnte "Lappländertruppen" aus. Sie aßen und tranken vor Publikum und versorgten ihre Rentiere, die in der hanseatischen Sommerhitze sehr litten. Die Frauen trugen Rot, Blau und Gelb. Die in die Stadt importierten Sámi hatten ein Auskommen, aber wenig Freizeit. Ihr einziges touristisches Vergnügen war es, ihrerseits die schaulustigen Europäer zu betrachten.

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