Kunst:Das geheime Leben der Neonröhren

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Die Sound-Installation "White Circle" des Electronica-Labels Raster-Noton im Kunstbau des Lenbachhauses

Von Stefan Sommer, München

Am Ende der weiten Halle ist etwas erwacht. Die Umrisse des starkstromhellen Objekts beginnen im Dunklen zu vibrieren. Erst aus kürzester Distanz lässt sich das Skelett des Lichtkörpers aus meterhohen Neonröhren erkennen. Aus allen Richtungen zischt ein elektronisches Knistern. Die zu einem Kreis angeordneten Röhren scheinen darauf zu reagieren. Sie fangen an, sich wie ein durch unsichtbare Kräfte vereinter Organismus in Bewegung zu setzen. Mit der Dynamik und dem Rhythmus der Geräusche in Einklang blitzen sie reihum weiß auf, als würden sie sich vorstellen wollen.

Die Sound-Installation "White Circle" entstand 2016 in der Zusammenarbeit zwischen dem legendären Electronica-Label Raster-Noton und dem Karlsruher Zentrum für Kunst und Medien. Anlässlich der zwanzigjährigen Kollaboration der schon zu DDR-Zeiten bestehenden Künstlerplattformen "Raster Music" und "Noton Archiv" hatten die Chefs des Soundversuchslabors Carsten Nicolai, Olaf Bender und Frank Bretschneider die Installation ursprünglich für die neue Halle am Berghain entworfen. Am 28. April 2016 führten sie ihre Vision eines Lichtrings aus 96 Neonröhren, der über die Klänge und Geräusche aus 47 Lautsprechern gesteuert werden kann, erstmals im ehemaligen Heizkraftwerk in Berlin-Friedrichshain auf. Nun ist die Soundskulptur im Kunstbau des Lenbachhauses zu sehen. Es ist das vorerst letzte, gemeinsame künstlerische Statement der Chemnitzer. 2017 beschlossen sie, die Labels auf dem Höhepunkt ihrer Popularität wieder aufzuteilen.

"Der Circle ist ein absolutes Raster-Noton-Werk, da schließt sich jetzt auch im ideellen Sinne ein Kreis für uns", sagt Mitbegründer Olaf Bender schmunzelnd. "Der Verzicht auf Songstrukturen, dieses Minimalistische, die ganze Demokratie einer Gruppeninstallation - das ist typisch für uns", so Bender weiter. Wie Nicolai und Bretschneider hat er unter seinem Pseudonym "Byetone" für die Installation eine experimentelle Soundkomposition beigesteuert. Die repetitiven, bis fast zum Verschwinden reduzierten Geräuschkulissen wabern im Kunstbau rund 40 Minuten lang in Loopschleifen. Sie bauen Atmosphären auf und reißen sie mit dem nächsten Donnergrollen ein. Wie ein Echolot schlagen die Klänge gegen die Wände, treffen die Mauern und Säulen der Halle, schallen zurück, arbeiten mit dem Gebäude.

Die Töne und Geräusche manipulieren sie mit ihren Gerätschaften derart, dass die akustischen Signale für die Röhren wie Strom aussehen. Anstatt in eine Stereoanlage geht die Musik dann in den Lichtring des "Circle". Die Kompositionen der Musiker schalten die Neonröhren ein oder aus oder dimmen sie: je lauter der Ton, desto heller das Licht. Für Olaf Bender liegt da die Schönheit ihres Werks: "Jede Röhre hat ein Eigenleben. Die eine Röhre spricht auf den Ton etwas schneller, die andere etwas verzögert an, weil sie einen anderen Gasdruck hat", sagt er. "So kommen kleine, organische Varianzen in diese mathematische Präzision. Die Installation fängt an zu leben."

Nach der Verbeugung vor den Roboter-Pionieren von Kraftwerk und dem spannenden Musikprojekt Wolfgang Tillmans "Playback Room" bietet das Lenbachhaus mit dem "White Circle" erneut moderner Popgeschichte einen Raum. Die Installation des deutschen Avantgarde-Labels Raster-Noton schafft es spektakulär, elektronische Musik zu visualisieren und die archaische Energie des Sounds in Licht zu übersetzen.

White Circle , Sound-Installation, bis 8. Juli, Kunstbau des Lenbachhauses, Luisenstraße 33, geöffnet Di. 10-20 Uhr, Mi.-So. und feiertags 10-18 Uhr

© SZ vom 11.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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