Kunst:Das eitelste Tier ist der Mensch

Bei Francisco de Goya überstrahlt das Sein den Schein: Seine Porträts sind schonungslos ungeschönt. Die Londoner National Gallery zeigt die empfindsame Seite des Malers, der bisher vor allem als Rebell galt.

Von Kia Vahland

Francisco de Goya (1746-1828) ist bekannt dafür, einen das Fürchten zu lehren mit seinem düsteren Humor, seinem mal wütenden, mal melancholischen Blick. Seine "Pinturas negras", schwarze Gemälde, und sein Grafikzyklus der "Desastres de la guerra", die Schrecken des Krieges, gelten der Moderne als Sinnbilder menschengemachten Grauens - und als grandiose Schaustücke künstlerischer Unerschrockenheit.

Einen angriffslustigen Künstler wie ihn stellt man sich als Krallentier vor, immer zum Sprung bereit. Doch das ist er nicht. Wie sehr das rebellische Goya-Bild des 20. und 21. Jahrhunderts die Dinge vereinfacht, zeigt eine eindringliche Ausstellung der National Gallery in London. Anstatt sich wie üblich auf den Maler der Albträume zu konzentrieren, stellt sie Goya als renommierten Porträtisten vor. Das war sein Hauptberuf als Hof- und Honorarmaler.

So erscheint er nicht mehr nur als freigeistiger Chronist, sondern auch als Figur des Zeitgeschehens. Er agiert in einem Netzwerk aus Eitelkeiten und Abhängigkeiten, konkurriert mit anpassungswilligeren Kollegen. Seine zentrale Stellung in der spanischen Gesellschaft behauptet er durch eine Mischung aus Einsatzbereitschaft und Unbestechlichkeit: Selbst gute Freunde wirken auf ihren Porträts übernächtigt, Herrscher tragen Knollen- statt Adlernase, und manch hochverdientem, goldbehangenem Soldaten steht die Erinnerung an ein Massaker noch ins Gesicht geschrieben. Das alles aber ist keine Chuzpe des Künstlers. Vielmehr hat Goya seine vom Epochenbruch um 1800 verunsicherten Zeitgenossen dazu erzogen, betont ehrliche Bildnisse wertzuschätzen.

Er nimmt die Menschen in ihrer Verletzlichkeit an, und das funktioniert deshalb so gut, weil es seinem eigenen Empfinden entsprach. Kurz vor der Französischen Revolution malt Goya einen vierjährigen Jungen in rotem Adelsgewand, geschmückt wie ein künftiger Admiral mit Bauchbinde. Es ist der Sohn eines Auftraggebers von Rang. Leider ist das Gesicht des Jungen zu oft restauriert worden, um über seinen Ausdruck zu sprechen. Sicher aber ist die ungewöhnliche Komposition eigenhändig. Der Knabe führt eine Elster an der Leine, die von drei großäugigen Katzen gierig betrachtet wird. Sachte pickt sie mit dem Schnabel ein Stück Papier auf: Goyas Visitenkarte.

Abhängig von der Fürsorge eines Vogels und eines kleinen Kindes, sieht sich der Künstler in einer prekären Position. Keine Krallen wachsen ihm aus den Malerhänden, nicht seine Arbeit ist zum Fürchten, glaubt man diesem Bild, sondern eine feindliche Welt droht, Kunst und Künstler zu verspeisen. Unter die Fittiche nehmen möchte man den Maler, der mit seiner zur Schau getragenen Schutzlosigkeit zu entwaffnen versteht.

Seine Vorbilder: Tizian im farblichen Furor, Velázquez in der kritischen Distanz zur Macht

"Zeige deine Wunde", wird Joseph Beuys im 20. Jahrhundert ausrufen - und sich zum hehren Kriegsopfer stilisieren. Viel konsequenter, weniger kokett haben vormoderne Maler die Idee zurückgewiesen, der Künstler müsse ein unverwundbarer Held sein. Das mag auch daran liegen, dass Diego Velázquez, Tizian, Rembrandt immer wussten, dass nicht sie die Weltpolitik gestalten, sondern Monarchen und Herrscher, die über weit mehr Mittel verfügen.

Die drei Kollegen waren Goyas Vorbilder: Velázquez in seiner kritischen Distanz zur Macht und in seinem Versuch, die Figuren auf sich selbst zurückzuwerfen, indem er sie vor oft vage gehaltenen Hintergründen vereinzelt. Tizian in seinem farblichen Furor, im Mut zur emotional aufgeladenen Fleckenmalerei statt zur klaren Kontur. Und Rembrandt in seinen unheimlich-schönen Helldunkelspielen und im Willen zur rückhaltlosen Bespiegelung der eigenen Person.

Goya steht dem Niederländer in der Liebe zum Selbstbildnis nicht nach. Als Mittdreißiger - so beginnt die Ausstellung - malt er sein skeptisch schauendes Gesicht mit den zu weichen Zügen und dem hohen Haaransatz vor wallend langem Haar. Im nächsten Bild sieht man ihn, wie er einem höher stehenden Amtsträger ein Gemälde darreicht, dieser aber über ihn hinwegschaut. Bald rückt der Künstler auf in einen adeligen Familienkreis, wieder malt er sich selbst ins Bild - doch nur ein waches kleines Mädchen scheint den Gast mit Palette zu bemerken.

Als der Maler später gesundheitliche Probleme bekommt, dokumentiert er seinen physischen Verfall: Goya mit zerfurchtem Gesicht und wirren Locken; Goya, nun taub, stürzt sich finsteren Blickes in die Arbeit an der Staffelei. Schließlich, am Ende des Rundgangs, das anrührendste Bild dieser Ausstellung: Goya liegt schon im Sterben, als ein junger Arzt behutsam seinen schlaffen Körper ergreift, um ihm die rettende Medizin einzuflößen. Wie die drei Katzen in dem Kinderbild lauern im Hintergrund drei düstere Gestalten auf die Seele des Künstlers. Doch der entfleucht dem Tod dank menschlicher Hilfe.

Das hat etwas ungebührlich Sakrales, erinnert es doch an die Bildtradition des toten Christus in den Armen seiner Mutter. Doch Goya, Kind der Aufklärung, vertraut der Medizin und noch mehr der Mitmenschlichkeit. Sie ist sein Gegengift gegen all die gemalten Übel, mit denen er in seinen Kriegsbildern die Welt anschreit. So wirken die Freundschaftsgemälde in der Schau bei aller Schärfe innig: Da ist der pausbackige, hemdsärmelige Kumpel, der so leger ins Bild tritt, als wäre er nicht Goyas, sondern unser Zeitgenosse. Oder der Jesuit, der den Künstler ein paar Monate versteckt hält, als die Regierung im Jahr 1824 Jagd auf liberale Geister macht. Gebetbüchlein und Lippen des Priesters blitzen im Bild rot aus dem Dunkeln auf.

Auch bei bezahlten Auftragsbildern beharrt Goya darauf, dass es ein Individuum geben muss hinter Kleidern und Verkleidungen. Die figurbetonten Beingewänder der Männer, die wallenden Seidenstoffe der Frauen, die Rüschen der Kinder betonen in seiner Sicht die Charaktere nicht, sie lenken ab von einem verängstigten, zweifelnden Selbst. Immer wieder spürt er der Aura der Einsamkeit nach, den unterdrückten Begierden der von Konventionen zugeschnürten Leiber. Diesen Widerspruch von äußerem und innerem Wesen kannte die ältere Malerei so nicht, in ihm kündigt sich schon ein neues Weltverständnis an: die Vorstellung von gesellschaftlichen Zwängen, die es zu enthüllen gilt.

Hinter den Verkleidungen enthüllt Goya die Charaktere - so abstoßend sie sein mögen

Goyas modern anmutende Unterscheidung in Schein und Sein ermöglicht es ihm paradoxerweise, den Anforderungen der jeweiligen Herrschaft anstandslos zu entsprechen: Jeder bekommt seinen Dekor, bloß ist dies nicht das Eigentliche des Bildes, denn Augen, Nase und Mund, die Bewegungen des Körpers sprechen eine andere Sprache. Sogar der reaktionäre, von Goya gar nicht wohlgelittene König Ferdinand VII. akzeptierte sein Porträt, durfte er in seinem juwelenbesetzten Hermelinmantel, mit Zepter und Schwert doch mit allen Insignien der Macht posieren. Sein Bildnis wurde bald gestochen und nachgeahmt - obwohl man das, was oben aus dem Pelz herausragt, nur als verschlagene Visage bezeichnen kann, und die Körperhaltung als in sich verdreht statt aufrecht stehend. Vielleicht war Ferdinand stolz auf sein Dominanzgebaren, und sei es noch so abstoßend.

Heutige Wahlplakate wirken viel zu sanft, zu idealisierend im Vergleich zu Goyas Herrscherbildern - selbst seine Sympathieträger, die fürsorglich-freundlichen Monarchen und Politiker, erreichen Glaubwürdigkeit nur durch Hässlichkeit.

Nicht alle wichtigen Bildnisse sind aus Spanien angereist; das in seiner royalen Tristesse einmalige Familiengemälde von Karl IV. etwa fehlt. Die Ausstellung versteht sich nicht als Leistungsschau. Die übersichtlichen, im Halbdunkel gehaltenen Räume laden stattdessen ein, sich einzulassen auf diese merkwürdige Gemeinschaft aus verzagten Aristokraten, resignierten Intellektuellen, einsamen Damen von Welt und Kindern, die mit großen Augen auf Zukunft hoffen. Man kann nicht behaupten, dass Goya in seinen Porträts die Schrecken besiegen würde, die ihn in seinen berühmteren Leidensbildern so plagen. Aber sie werden doch ein bisschen verständlicher, bekommen ein Antlitz. Die eigene und fremde Verletzlichkeit in Zeiten politischer und sozialer Umbrüche wird bei diesem Maler gesellschaftsfähig.

Goya. The Portraits. National Gallery London, bis 10. Januar, Info: www.nationalgallery.org.uk

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