Kunst:Bauhaus-Erbe

Fritz Winter: Die 1960er Jahre. Jahrzehnt der FarbeFritz Winter, Große Orgel, 1963, Öl auf Leinwand, 231 x 150 cm, Fritz-Winter-Stiftung, München, Foto: Sibylle Forster, Bayerische Staatsgemäldesammlungen© Fritz-Winter-Stiftung

Fritz Winter hat das Bild mit dem Titel "Große Orgel" im Jahr 1963 gemalt.

(Foto: Forster/F.-Winter-Stiftung; VG Bildkunst, Bonn 2015)

Fritz Winters Abstraktionen aus den Sechzigerjahren sind in der Münchner Pinakothek der Moderne zu sehen, gleichzeitig mit der Schau seiner Lehrer im Lenbachhaus.

Von Gottfried Knapp

Der glückliche Umstand, dass der Maler Fritz Winter zwei Jahre vor seinem Tod einen beträchtlichen Teil seiner künstlerischen Hinterlassenschaft den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen vermacht hat, beschert den Besuchern der Pinakothek der Moderne alle paar Jahre eine thematisch pointierte Ausstellung bislang kaum gezeigter Arbeiten des Meisters der Abstraktion: Fritz Winter. Die diesjährige Schau bezieht sich auf die Malereien der Sechzigerjahre. Ihr Titel "Jahrzehnt der Farbe" benennt das Element, mit dessen Ausdrucksmöglichkeiten sich Winter, ermutigt durch amerikanische Maler wie Mark Rothko, damals intensiv auseinandergesetzt hat. Die für die Ausstellung gewählten Beispiele lassen in wunderbarer Klarheit die Entwicklungen erkennen, die um 1962 zur Emanzipation, ja Entfesselung der Farben und zur zeitweiligen Verflüssigung der Formen geführt haben. Am Ende dieses mehrjährigen Prozesses kehrt Winter mit neuem Farbbewusstsein zu klar umrissenen Formen zurück.

Das Gemälde "Große Erdmaske" (1962) wird noch von einer grafischen Figur dominiert, einem Ring aus einheitlich brauner Farbe, der sich fast gewaltsam über die Komposition legt und die zaghaft angedeuteten farbigen Elemente in den Untergrund zurückdrängt. Doch im gleichen Jahr entstehen auch schon erste Bilder, in denen der Maler auf strukturierende Balken verzichtet und die so von Formzwängen befreiten Farbflächen leuchtend in den Vordergrund treten lässt. Die aus wenigen senkrechten Parallelstrichen zusammengesetzten Rechteckfelder überlappen sich an den Rändern so, dass im Bild ein Tiefenraum aus Farbschichten entsteht. Auch die Nichtfarbe Schwarz tritt nun nicht mehr als Ordnungsmacht auf, sie gliedert sich ein in das locker gefügte Flächenmuster, wird selber zu einem Farbton, der mit anderen Tönen kommuniziert.

Ein Glück: Auch Kandinsky und Klee sind in München zu sehen

Auf die Entdeckung der raumschaffenden Kraft frei gesetzter Farben hat der Amerikaner Mark Rothko seinerzeit mit einer stetigen Vereinfachung der Formen geantwortet. Bei Fritz Winter hat die Entdeckung des Eigenwerts der Farbe genau gegenteilige Aktivitäten ausgelöst. Er benutzt die sauber getrennten und nebeneinandergestellten Farbtöne nun wie Bausteine, mit denen er den Bildraum auf immer neue Weise strukturieren, dynamisieren und emotional aufladen kann. In dem farblich kraftvoll tönenden Hochformat mit dem Titel "Große Orgel" etwa setzt er die Farbfelder wie Orgelpfeifen rhythmisch übereinander. Die schönsten und tiefsten Wirkungen erzielt er aber in den "Farbraum-Modulationen" von 1964, szenisch beruhigten Kompositionen, in denen sich die querliegenden, ungefähr rechteckigen Farbfelder locker in horizontale Schichtungen einfügen und mit ihren ausfransenden Rändern sinnlich taktil Kontakt untereinander aufnehmen. Man spürt das Vibrieren, in das die Felder durch die Verzahnung mit den Nachbarflächen versetzt werden. Ja man glaubt fast die individuelle Temperatur der einzelnen Farbkörper bestimmen zu können.

Nach dem Auskosten der feinen Spannungen, die sich zwischen den locker ineinandergeschobenen Farbindividuen ergeben, scheint Winter die erzielten Effekte noch einmal übersteigern zu wollen, indem er die Flächen mit festen Begrenzungen versieht, also balkenhart nebeneinander setzt. Diese Rückbesinnung auf die Wirkungsmöglichkeiten fester Formen zwingt den Maler zu neuen kompositorischen Überlegungen. Rechteckformen, wie er sie zuvor verwendet hat, würden, wenn ihre Ränder scharf gezogen sind, blockhaft steif wirken. Also zieht er die sich abkapselnden Farbflächen individuell in die Länge, gibt ihnen einprägsame Formen und schafft so eine Spannung, die sich aus dem Gegeneinander von charakteristischen Formen und klaren Farben ergibt.

Man kann es nur als Glücksfall empfinden, dass diese dichte Versammlung von Meisterwerken des Bauhausschülers Fritz Winter im Münchner Museumsareal derzeit auf die vom Lenbachhaus im Kunstbau gezeigte Ausstellung trifft, in der die beiden Bauhaus-Lehrer Kandinsky und Klee und ihre kreativen Methoden miteinander verglichen werden. Das dialektische Spiel mit Farbe und Form, mit dem die beiden Bauhaus-Meister ganze Welten generiert haben, ist in der Schüler-Generation wohl nirgendwo schöner nachzuerleben, als in den Malereien Fritz Winters aus den Sechzigerjahren.

Fritz Winter. Die 1960er Jahre. Pinakothek der Moderne München, bis 28. Februar. Katalog (Kehrer Verlag Heidelberg): 19,80 Euro.

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