Kunst:Auf zum Tanz!

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Das Boijmans Museum in Rotterdam zeichnet die Entwicklung nach, wie der Alltag in die Kunst kam.

Von Laura Weissmüller

Die fünf Männer können sich kaum bewegen. Ihre Beine sind verkrüppelt oder fehlen vom Knie an gleich ganz. Mit viel Kraft stemmen sie sich auf ihre Krücken, hin und her schwanken ihre Oberkörper auf der Suche nach Balance. Lustig? Für heutige Betrachter wohl kaum, gleichwohl tastet man wie gebannt vom einzelnen Grashalm im Vordergrund bis zu den Bäumen ganz weit hinten die Darstellung Zentimeter für Zentimeter mit dem Auge ab. Doch als Pieter Bruegel der Ältere 1568 das Gemälde so bezaubernd sanft auf die kleine Leinwand tupfte, dürfte die Szene Lacher ausgelöst haben. Denn die Bettler haben sich als Könige verkleidet, ein roter Topf ist eine Krone, ein gefaltetes Tuch eine Bischofsmütze, und die weißen Leintücher, die sie sich über ihre geschundenen Leiber geworfen haben, sind mit Fellstreifen geschmückt. Die Männer geben dieses Schauspiel in der Hoffnung, damit mehr Almosen zu bekommen.

Bruegels "Die Krüppel" aus dem Louvre bildet den Endpunkt einer Entwicklung, die das Boijmans van Beuningen mit seiner Ausstellung "Von Bosch zu Bruegel" faszinierend nachzeichnet. Faszinierend, weil das Museum dafür Meisterwerke aus der ganzen Welt zusammengetragen hat. Allein sechs Gemälde von Bruegel dem Älteren, obwohl der nur äußerst wenige produziert hat. Auch das vor Wut über die verdorbene Welt sprühende Triptychon "Der Heuwagen" von Hieronymus Bosch, das dem Prado gehört, hat bis zum 17. Januar einen Gastauftritt in Rotterdam und hängt damit zum ersten Mal in Sichtweite zum "Hausierer", ursprünglich die Rückseite der Flügel des Triptychons von etwa 1515.

Faszinierend ist die Ausstellung aber auch, weil sie konzise zeigt, wie sich von Mitte des 15. Jahrhunderts an der Alltag in die Kunst schleicht. Stand die zuvor ganz im Dienste der Religion, durfte jetzt immer öfter Karten gespielt, getanzt und gegessen, aber auch das Bordell besucht werden. Warum? Die Bürgerschaft war auf dem Vormarsch und wollte unterhalten werden. Gerne anhand der eigenen Laster, nur nicht im selben Gewand. Deswegen all die Bauern, Handwerker und Bettler auf den Bildern.

© SZ vom 24.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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