Kulturreportage:Die guten Deutschen

Manga Bell wurde von den Kolonialherren erst zum Juristen ausbildet und dann hingerichtet. Sein Urgroßneffe lebt heute in Bayern: Jean-Pierre Félix-Eyoum ist Lehrer - auch für Deutsch

Von Susanne Hermanski

Wer etwas vom Deutschsein verstehen will, der muss die Geschichte von Manga Bells und seinem Großneffen Jean-Pierre Félix-Eyoum kennenlernen. Sie beginnt in den 30 Jahren der deutschen Kolonialgeschichte, und in deren Zentrum steht ein Prinz des Stammes der Duala, sein Name: Manga Bell.

Mit wenigen Worten könnte man sie folgendermaßen erzählen: Der Häuptling der Duala, König King Bell, war der Kopf einer Handelsdynastie in jener afrikanischen Küstengegend, auf die auch die Deutschen ein Auge geworfen hatten. Er war mit den Weißen ins Geschäft gekommen. Schließlich handelte seine Familie seit ehedem mit den Rohstoffen und Gütern der Völker aus dem Kameruner Hinterland. Die Deutschen waren interessante neue Abnehmer dieser Waren, also unterzeichnete er im Jahr 1884 den sogenannten Schutzvertrag mit ihnen. Vieles an diesen so fremden Leuten mochte er. Ihre Kultur interessierte ihn, wie sie sich kleideten, gefiel ihm. Dass sie schriftliche Verträge schließen wollten, überzeugte ihn beinahe von der Lauterkeit ihrer Absichten. Er nannte also den klügsten seiner Enkel Rudolf, und schickte ihn nach Deutschland, damit er Jura studiere - denn auch der Häuptling war klug.

In des Kaisers Reich reiste Prinz Rudolf Manga Bell im feinstem Zwirn und in Begleitung eines siebenjährigen Buben, der sich ängstlich an ihn schmiegte. Der kleine Tube war ein Verwandter und der Sohn eines Dolmetschers. Tubes Deutsch sollte so perfekt woe möglich sein, wenn er zurückkäme. So hatten sich seine Eltern das vorgestellt.

Rudolf lernte schnell und gründlich beinahe alles über das deutsche Rechtswesen. Genesen ist er erst Jahre später an der irrigen Vorstellung, dieses Recht wäre für alle Untertanen im Reich gleichermaßen gedacht. Denn am 8. August 1914 erhängten ihn die Deutschen. Sein Verbrechen: Er hatte sich erlaubt, ihnen mit ihren eigenen Mitteln nachzuweisen, dass sie Unrecht taten, und dass mit seinem Volk unzulässige Verträge geschlossen hatten, an deren betrügerische Konditionen sie sich dann noch nicht einmal halten wollten.

Mit den Jahren hatten die wilhelminischen Kolonialbeamten und einige ehrbare Kaufleute die Bevölkerung ihrer ergaunerten Kolonie versklavt. Um direkt Geschäfte mit dem Hinterland machen zu können, forderten sie zudem eine massive Umsiedlung der Menschen in ein sumpfiges, absolut lebensfeindliches Gebiet. Rudolf Manga Bell, ein Enkel von König King Bell, reiste also von 1902 an immer wieder nach Berlin, um gegen die deutschen Gräueltaten in seiner Heimat, gegen die Prügelstrafe, den Raub und Segregation zu protestieren. Das gelang ihm sogar vor dem Berliner Reichstag. Während viele Deutsche nicht wahr haben wollten, was die Nilpferdpeitsche auf bloßem Fleisch anrichtete, schenkte vor allem die politische Linke Manga Bell Gehör. Trotzdem blieb im August 1914 der entscheidende Beistand für Manga Bell durch deutsche Anwälte aus, als er fälschlich des Hochverrats bezichtigt wurde. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Juni desselben Jahres zog alle Aufmerksamkeit und Kräfte auf sich.

In der langen und überaus lesenswerten Version hat der Jurist und Journalist Christian Bommarius Manga Bells Geschichte unter dem Titel "Der gute Deutsche" aufgeschrieben. An diesem Mittwoch nun stellt Bommarius sein Buch, das gleichzeitig eine Fallstudie über unmenschliche Gier und abgrundtiefe politische Dummheit ist (im Berenberg Verlag erschienen), im "Museum Fünf Kontinente" vor. In jenem Münchner Museum also, das bis vor kurzem noch "Völkerkundemuseum" hieß. Und das den alten, paternalistischen Duktus gerne ablegen würde und deshalb bereits auf eine Art mit seiner unrühmlichen Kolonialgeschichte ringt, wie es vielleicht bald der gesamte deutsche Staat wird tun müssen. Das zumindest hofft Jean-Pierre Félix-Eyoum, der mit Bommarius auf dem Podium sitzen wird, und der den Autor bei seinen Recherchen wesentlich unterstützen konnte.

manga bells

Manga Bell (r.) und Tube (l.) lebten für einige Jahre bei der Familie Oesterle. Die Enkelin Oesterles (m.) schenkte das Bild später Bells Großneffen.

(Foto: privat)

Jean-Pierre Félix-Eyoum ist der Urgroßneffe jenes Manga Bell. Das klingt zunächst nach ferner Verwandtschaft, doch sieht man sich dessen Vita genauer an, ist die erstaunlich nah. Jean-Pierre Félix-Eyoum, der als Lehrer einer Sonderschule heute deutscher Beamter ist und selbstverständlich die Kinder auch in Deutsch unterrichtet, war 14 Jahre alt, als sein Vater ihn von Kamerun aus nach Europa schickte. "Er hielt die Schulen in Kamerun nicht für gut genug. Ich war - ohne unbescheiden klingen zu wollen - ein guter Schüler und sollte mehr gefordert werden", sagt Félix-Eyoum: "Mein Vater wollte, dass ich Jura studiere."

Der erste Weg führte ihn nach Frankreich in ein Internat. "Das war eine ehemalige Sommerresidenz des russischen Zaren an der Côte d'Azur", erzählt Jean-Pierre Félix-Eyoum, "und so sah die Schule von außen auch aus". Im Inneren fühlte er sich dank des Direktors auch durchaus geborgen. Das war wichtig, denn die französische Familie, die ihm eigentlich als Anlaufstelle von seinen Eltern genannt worden war, erwies sich weitgehend als Totalausfall. Doch es war nicht die Tatsache, dass die Dame des Hauses ihn samt seines Gastgeschenks, eines kostbaren Kultobjekts aus Kamerun, einfach vor der Tür stehen ließ - nach Deutschland zog ihn gleich nach seinem Schulabschluss eine andere Erfahrung. Das waren die vielen positiven Begegnungen mit den deutschen Austauschschülern, die er im Internat gehabt hatte.

"Mir gefiel ihre Art, diese Zuverlässigkeit, das Organisierte, Ordentliche", sagt Jean-Pierre Félix-Eyoum. "Wissen Sie, das ist ja bis heute noch so in Kamerun. Wenn Sie die Alten fragen, genießen die Deutschen höchste Achtung. Wenn ich früher meine Mutter in der Heimat besuchte, dann riefen alle begeistert: ,Der Deutsche kommt! Der Deutsche kommt!' Gerade deswegen erscheint mir eine Rehabilitierung meines Urgroßonkels durch die Deutschen auch so wichtig."

Als Kind und Jugendlicher wusste Jean-Pierre Félix-Eyoum selbst kaum etwas von seinem Anverwandten, der heute wie ein Held in Kamerun gefeiert wird. Trotzdem sah sich Félix-Eyoum durchaus mit wechselvollen Erfahrungen konfrontiert, als er begonnen hatte, sich von Deutschland aus auf Spurensuche nach seinem Urgroßonkel zu machen. "Die Initialzündung dafür gab in den Neunzigerjahren der Münchner Filmemacher Peter Heller, der zuerst auf den Fall Manga Bell gestoßen war." Als Jean-Pierre Félix-Eyoum ihm bei den Recherchen helfen wollte, stieß er auf viele Ressentiments und Ängste - allerdings nicht bei den Deutschen, sondern bei seinen eigenen anderen Verwandten. "Ein Cousin von mir lebte damals sogar auch in Deutschland. Er hatte ungeheure Bedenken, da an etwas zu rühren, das längst vergessen und ja mit einem als Verbrecher verurteilten Vorfahren zu tun hatte." Ganz anders, und auf eigenartige Weise nostalgisch erlebte er die Begegnung mit einer Enkelin jenes Mannes, bei dem Manga Bell und sein kleiner Begleiter Tube während des Studiums in Ahlen gelebt hatten. "Da war ich selbst schon Vater und hatte meine beiden Kinder dabei, als ich sie eines Tages spontan besucht habe. Lore fiel mir um den Hals. Es war für sie, als ob der Mann aus Afrika, auf dessen Rückkehr sie ihr Leben lang gewartet hatte, plötzlich vor ihr stand. Für sie sah ich genauso aus, wie sich das Bild meines Urgroßvaters in ihr eingebrannt hatte", erzählt Félix-Eyoum bis heute sichtlich gerührt.

Kulturreportage: Jean-Pierre Félix-Eyoum vor seiner Erdinger Schule.

Jean-Pierre Félix-Eyoum vor seiner Erdinger Schule.

(Foto: Peter Bauersachs)

"Aber ich will das nicht falsch oder übertrieben romantisieren. Bei genauerer Betrachtung war es wohl so, dass die Oesterles die beiden jungen Kameruner vor allem deswegen aufgenommen hatten, weil sie auch einen netten Zuverdienst durch deren Logis hatten. Dafür floss Geld aus Afrika. Als die Zahlungen ausblieben, zerbrach wohl auch diese scheinbare schwarz-weiße Familienidylle." Seiner innigen Freundschaft mit Lore Oesterle hat das bis zu deren Lebensende dennoch keinen Abbruch getan. Sie konnte auch einiges beisteuern, was nun im Buch über Manga Bell Niederschlag findet.

Jean-Pierre Félix-Eyoum lebt heute mit seiner Frau in einem kleinen Ort bei Dorfen im Landkreis Erding. Er würde gern mehr tun für die Aufarbeitung der Geschichte seiner alten Heimat Kamerun. "Aber das ist gar nicht so leicht", sagt er. "Kamerun war und ist ein künstliches Konglomerat, das auf dem basiert, was die Kolonialmächte seinerzeit entschieden haben. Eine Nation von Kamerunern, die alle an einem Strang ziehen würden, gibt es nicht. Es enttäuscht mich zu sehen, dass die verschiedenen Familien immer noch eifersüchtig darüber wachen, dass bloß keinesfalls ein Held oder Märtyrer aus der Kolonialzeit geehrt wird, der einer anderen Familie angehört als ihrer eigenen."

Dabei sieht Jean-Pierre Félix-Eyoum in der Entwicklung der vergangenen Monate in Deutschland eine große Chance für alle ehemaligen deutschen Kolonien, deren Bewohner von Vertreibung, Versklavung und grausamen Morden betroffen waren. "Als Joachim Gauck im Bundestag ausgesprochen hat, dass es ein Völkermord war, den die Türken an den Armeniern begangenen haben, hat er das Tor aufgemacht. Jetzt können sich auch die Deutschen ihrer Geschichte stellen, die weiter zurückliegt, als der Zweite Weltkrieg." Da gäbe es noch viel zu tun für die Deutschen. Und Jean-Pierre Félix-Eyoum lässt nicht den geringsten Zweifel daran, dass Joachim Gauck auch sein Bundespräsident ist.

Der gute Deutsche. Die Ermordung Manga Bells in Kamerun 1914, Buchpräsentation & Podiumsgespräch, Mi. 24. Juni, 19 Uhr, Christian Bommarius im Gespräch mit Jean-Pierre Félix-Eyoum und Heribert Prantl, im Museum Fünf Kontinente, Maximilianstr. 42, Telefon 210 13 61 00, Eintritt frei

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