Kulturreport:Zwei Wochen, drei Tage

Für die abgesagte Handke-Produktion hat das Resi eine "Nora" einstudiert - im Drittel der Probenzeit

Von Christiane Lutz

Erst war Raphaela Nora. Jetzt ist Genija Nora. Das könnte der normale Lauf der Dinge in der Theaterwelt sein, aber ganz normal ist das diesmal nicht, denn Genija ist Nora, weil Mateja Koležnik jetzt in München ist und nicht mehr in Klagenfurt. Alles klar? Gut, von vorn:

Am 18. Februar schickte das Residenztheater eine Mail, in der die Presseabteilung verkündete, "dass die Produktion von Peter Handkes neuem Stück 'Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße' am Residenztheater nicht zu Ende geführt werden kann". Der Regisseur Philipp Preuss hatte bereits mehrere Wochen geprobt, aber "die künstlerischen Differenzen über Wege und Ziele waren zuletzt unüberbrückbar geworden", hieß es. Jeder, der mit Menschen zusammenarbeitet, weiß: So etwas kommt vor. Blöd nur, dass nun eine Lücke im Spielplan klaffte, bereits Tickets verkauft und die Schauspieler unbeschäftigt waren.

"Dann rief mich Martin an", sagt Regisseurin Mateja Koležnik, die mit "Martin" den Intendanten Martin Kušej meint. "Er hatte meine Inszenierung von ,Nora' am Stadttheater Klagenfurt im Januar gesehen und fragte, ob ich ,Nora' noch mal machen könne - mit Münchner Schauspielern. In einem Drittel der Zeit." Kušej wusste, dass seine Schauspieler zum Personal von Henrik Ibsens "Nora" passen: Hanna Scheibe könnte Kristine Linde spielen, Gunther Eckes den Bankier Krogstad, den Schauspieler Till Firit, gut, den könnte man aus Klagenfurt importieren, damit er auch am Resi den Torvald Helmer spielt. Und Nora passt zu Genija Rykova, jener energisch-quirligen Genija Rykova, die auch eine hervorragende Sängerin und Entertainerin ist. Selbst das Bühnenbild würde man schon irgendwie ins Cuvilliéstheater kriegen, die Klagenfurter Produktion war ja bereits abgespielt. Mateja Koležnik bekam eine Stunde Bedenkzeit. "Ich dachte nur: Oh mein Gott, oh mein Gott, kann ich das? Ja, ich kann, nein, ich kann das nicht - und dann fuhr ich nach München", sagt sie in der Resi-Kantine auf Englisch. Koležnik ist Slowenin und spricht nur gebrochen Deutsch.

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Die neue "Nora": Genija Rykova spielt Ibsens Titelheldin.

(Foto: A. Pohlmann)

Normalerweise probt ein Regisseur mit seinen Schauspielern etwa sechs Wochen an einer Inszenierung. Koležnik hatte für ihre zweite "Nora" zwei Wochen und drei Tage Zeit. Koležnik und Kušej kennen sich gut, er hat die Regisseurin einst für "Madame Bovary" nach München geholt. Beide wussten also, dass sie einander vertrauen können. Drei Tage nach dem Anruf begannen die Proben. Und, Überraschung, alle Schauspieler konnten bereits ihren Text.

Das Schöne am Theater ist ja eigentlich die Unwiederbringlichkeit, mit der ein Moment auf der Bühne vorbeizieht und so nie wieder stattfinden wird. Inszenierungen werden für und mit Schauspielern erarbeitet, von Regisseuren mit den speziellen Bedingungen eines Hauses. Dabei kommt jedes Mal etwas Anderes heraus, etwas Neues, das sich sogar von Vorstellung zu Vorstellung verändern kann. Die Bühne (Raimund Voigt) immerhin passte wie fürs Cuvilliéstheater gemacht: Zwei sich in einer Ecke treffende Wände stellen das Zimmer dar, in dem die Ehe von Nora und Torvald den Bach hinunter geht. Kaum Requisiten, auch das ließ sich natürlich übernehmen. Für Koležnik also bestand die Schwierigkeit darin, die für sie vollendete Inszenierung aus ihrer natürlichen Umgebung herauszunehmen und in diese neue Situation zu übertragen. Funktioniert das? "Nein. Weil die Menschen andere sind. Während der ersten vier, fünf Tage der Proben habe ich versucht, diesen Schauspielern die vorbereiteten Emotionen überzustülpen. Aber das geht nicht." Zwar konnte sie mit fertigen Szenen arbeiten, also von wo eine Figur die Bühne betritt, wo der andere in dem Moment stehen soll, aber das Herz der Inszenierung lässt sich nicht so einfach verpflanzen. "Genija ist taffer", so beschreibt sie den Unterschied zwischen Genija Rykova und Raphaela Möst, der Nora-Darstellerin aus Klagenfurt.

Die Art, wie Genijas Nora lacht, ist anders, auch die Art wie sie weint. Das löste neue Reaktionen in den Mitspielern aus, da kann man nicht mit Schablonen arbeiten. Dazu kommt, dass Koležnik die Klagenfurter Produktion wirklich Freude bereitet hat, das betont die Regisseurin: "Ich fühle mich nicht nur den Menschen am Residenztheater verpflichtet, sondern auch den Leuten in Klagenfurt. Ich habe die Arbeit dort sehr gemocht." Sie wusste aber, dass sie schwere Gedanken für dieser Hochgeschwindigkeitsproduktion hinter sich lassen musste. Irgendwann gelang es ihr.

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Das Resi-Publikum kennt die slowenische Regisseurin Mateja Koležnik gut: Sie inszenierte hier schon "Ödipus" und "Madame Bovary".

(Foto: Thomas Dashuber)

Es kommt am Theater vor, dass komplette Inszenierungen umziehen, in Form von Gastspielen, oder wenn ein Intendant eine Produktion unbedingt an seinem Haus haben möchte. Dann kommt allerdings das komplette künstlerische Personal mit, oder es wird gemächlich umbesetzt, wenn einer nicht kann. Im Falle Nora hat das Residenztheater mit dem Stadttheater Klagenfurt eine (wahrscheinlich auch finanzielle) Vereinbarung getroffen, die alle künstlerischen Rechte an der Produktion ans Residenztheater überträgt. Man behilft sich am Resi mit dem Begriff der "Neueinstudierung", da es sich bei "Nora" weder um ein Gastspiel noch um eine Übernahme oder eine vollständige Neuinszenierung handelt. Die Regisseurin erhielt, wie üblich, einen Vertrag - nur eben über die verkürzte Probendauer.

Die ersten Probentage flogen dahin, Koležnik und die Schauspieler schafften in einer Woche, wofür man normalerweise vier braucht. Not treibt an, Stress setzt ungeahnte Kräfte frei. "Sie sind unheimlich schnell", sagt Koležnik über ihre Schauspieler, "und sie haben die Entscheidung nicht in Frage gestellt. Dafür war auch überhaupt keine Zeit. Jetzt fangen wir das Diskutieren an". Zwischendurch zweifelt Koležnik noch. Fragt sich, ob etwas ebenso Gutes wie in Klagenfurt herauskommen kann. Schimpft sich dann selbst, dass Vergleiche nicht angebracht sind. Eines aber weiß sie: "Ich bin sicher, dass das Genijas Stück wird. Denn jede ,Nora'-Inszenierung wird von der Hauptdarstellerin geprägt. Es wird Genijas Stück - und nicht nur Genija in Raphaelas Schuhen."

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