Kulturreport:Werte - gesucht und gefunden

Kulturreport: Auf der Suche nach Verwandtschaft mit Paul Klee - Zeichnungen von jungen Flüchtlingen.

Auf der Suche nach Verwandtschaft mit Paul Klee - Zeichnungen von jungen Flüchtlingen.

(Foto: Museumspädagogisches Zentrum)

Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen haben neue Orte und Strategien zur Kunstvermittlung vorgestellt. Vieles davon wirkt spielerisch - und doch ist der Auftrag durchaus anspruchsvoll

Von Susanne Hermanskiund Barbara Hordych

Böse könnte man sein und feststellen: Kein Wunder, dass ein Fußballspieler nicht weiß, was er sagen soll, wenn es um die Erhaltung abendländischer Werte geht. Denn banalerweise ist Fairness ein Gebot, das international gelten sollte, Teamgeist und die nötige Reife, um auch mal verlieren zu können, sind es ebenso. Man frage also besser einen Maler, einen Bildhauer oder gleich einen Kunsthistoriker nach dem Wertekanon Europas. Denen fällt sicher mehr dazu ein. Denn wie sieht sie denn nun aus, diese Kultur, die plötzlich wieder in ihren Inhalten gefragt ist? Die mancher jetzt gern beschwören, andere lieber abtun wollen? Das Menschenbild, das aus einem Gemälde der Renaissance spricht, ist darin klar zu erkennen. Die Ideale, ja auch die Feindbilder sind deutlich sichtbar in der gegenständlichen Malerei - und das nicht nur in der dediziert christlichen. Man muss sie nur deuten können. Ein kleines Werkzeugkistchen zum Entschlüsseln von Allegorien, zum Lesen von Metaphern und Sinnbildern genügt da schon.

So etwas Diffuses wie "die Werte einer Gesellschaft" lässt sich kaum besser vermitteln als durch die Kunst, die diese historisch gewachsene Gesellschaft hervorgebracht hat. Und so ist es nicht verwunderlich, dass in diesen Tagen die "Kunstvermittlung" an den staatlichen und städtischen Museen und Sammlungen groß geschrieben wird. Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen haben in der vergangenen Woche ihre neuen Programme dazu vorgestellt; zum Termin war Kultusminister Ludwig Spaenle selbst gekommen. Das Lenbachhaus wird Mitte März nachziehen. Und plötzlich wird klar: Dem, was bislang in erster Linie vom Rest-Bildungsbürgertum als schönes, kluges Zusatzangebot für die eigenen Kinder aufgefasst worden ist, kommt ein (noch) höherer Auftrag zu: Auch unbegleitete Flüchtlingskinder, Schulklassen voller Grundschüler mit Migrationshintergrund sowie ganze Familien, die jüngst aus kulturell anders geprägten Gegenden der Welt zugezogen sind, finden darin spezifisch auf sie zugeschnittene Angebote vor.

In der Pinakothek der Moderne gibt es nun einen eigenen Raum für die Kunstvermittlung. Dort können Klassen wie ehedem "die Begegnung mit Kunstwerken nachbereiten", dort wird aber auch ein ganz neues interkulturelles Programm angeboten. "Museen sind die Schatzhäuser eines Landes", sagte Spaenle anlässlich dessen Eröffnung, und die gelte es den Neuankömmlingen auf einer möglichst "barrierefreien Begegnungsplattform" zugänglich zu machen. Wie man sich das vorstellt, zeigte bereits ein Projekt in der vergangenen Woche, das Einheimische und Geflüchtete miteinander vernetzte. Eine Projekt mit Modellcharakter, hofft Spaenle. "Die Teilnehmer setzten sich zusammen aus jugendlichen Geschwisterpaaren und einem Vater mit seinen Kindern, alle aus Afghanistan, sowie 20 Münchnern. Darunter Mütter mit Kindern, Studenten und Rentnern", zählte Andrea Feuchtmayr auf. Die Mitarbeiterin des Museumspädagogischen Zentrums hatte für das Projekt ein Gestaltungsspiel vorbereitet, das sofort eine nonverbale Kommunikation ermöglichte. Dabei galt es, mit unterschiedlichen Materialien ein Blatt zu gestalten. Wenn nach einer Minute die Klingel ertönte, wanderte das Blatt an den Nebensitzenden, der daran weiterarbeitete. "Kontakt entstand schon allein dadurch, dass man seinen Nachbarn mit dem Ellbogen anstößt und auffordert, weiterzumachen", sagte Feuchtmayr.

Kontakt sollte aber auch mit dem Museum und seinen Werken entstehen. Um eben auch die Werte der Zivilgesellschaft kennenzulernen. "Deshalb gingen wir im Anschluss zu den Werken von Paul Klee, fragten die Teilnehmer, ob sie dort etwas aus ihren eigenen Bildern wiederentdeckten", erzählte die Museumspädagogin. Zurück im neuen Kunstvermittlungsraum, verlief der Informationsfluss noch einmal umgekehrt, und die afghanischen Jugendlichen zeigten den Einheimischen, wie sie die Blätter mit ihren Namen auf Arabisch signieren könnten.

Ideen wie diese haben sie reichlich, die Kunstvermittler um Josef Kirmeier, den Direktor des Museumspädagogischen Zentrums, und Jochen Meister, den Leiter der Abteilung in der Pinakothek der Moderne. Doch brauchen die Museen dafür auch Geld. Im Fall der Pinakothek ist das zunächst privates Geld, das die Pin-Freunde beigesteuert haben. Sie leisteten eine Anschubfinanzierung von 30 000 Euro. Damit der neue Raum sonnengelb erstrahlen kann: "Freundlich, sympathisch, aber nicht kindlich", betont Jochen Meister. Die Inneneinrichtung besteht in transportablen Geräten und Möbeln, die jeweils individuell arrangiert werden können - auch das ist also Ausdruck einer Geisteshaltung.

Zudem versteigerten die Freunde der Pinakothek beim Pin-Fest im November zugunsten der Kunstvermittlung an Flüchtlinge ein Fahrrad, das der Künstler Stefan Szczesny bemalt hatte. Den Zuschlag erhielt damals Franz Herzog von Bayern, für 20 000 Euro. Trotzdem wird der künftig mit dem Kunstobjekt nicht durch den Nymphenburger Park radeln. Stattdessen thront es "als Symbol", wie Spaenle sagt, auf der Regalwand des neuen Raums.

Was die Kunstvermittlung wirklich leisten kann, wird man erst in ein paar Jahren erkennen. Wenn die Kinder von heute in so erwachsenen Veranstaltungen zur Kunstvermittlung sitzen, wie sie am Wochenende in der Neuen Pinakothek "zur künstlerischen Verwandtschaft zwischen dem Bildhauer Olaf Metzel und dem Maler Hans von Marrées" stattfand. Wenn dann immer noch so vortrefflich über Marrées' Menschenbild und den deutschen Wald - ist der Schutzraum, Stützkorsett oder doch Gefängnis? - gestritten wird, dann wäre sie geglückt. Die Kunstvermittlung samt Integration.

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