Kulturreport:Rock around the Kammerspiele

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Das städtische Haus an der Maximilianstraße lockt junges Publikum mit immer mehr Popmusik aus allen Sparten. Jetzt gibt es sogar einen Sachbeauftragten. Der neue Intendant mag es laut

Von Christiane Lutz

Der erste Song war noch nicht mal zu Ende, da tanzte das ganze Publikum, statt auf seinen Plätzen zu sitzen. "Wie finden wir das?" hatte Christoph Gurk den technischen Direktor der Kammerspiele, Klaus Hammer, gefragt und prüfend auf den ersten Rang hinauf geblickt, auf dem die Menschen hopsten. Ob das statisch bedenklich sei? Der technische Direktor gab Entwarnung, das sei schon in Ordnung. Also tanzten rund 700 Menschen am Eröffnungsabend der Intendanz von Matthias Lilienthal ausgelassen zu der Band Young Fathers im Jugendstiltheater. Die Ränge brachen nicht.

Christoph Gurk mag den Ausdruck "Popbeauftragter" nicht, schließlich ist der 53-Jährige auch Dramaturg für viele freie Theaterprojekte, die an die Kammerspiele geholt werden. Doch er kuratiert seit kurzem eben auch deren Musiksparte, die, das ist schon abzusehen, die Popszene der Stadt beeinflussen wird. An diesem Freitag tritt der kanadische Singer-Songwriter "Destroyer" in den Kammerspielen auf, unlängst war Julia Holter zu Gast, eine Professorentochter, die anspruchsvolle Musik mit anspruchsvollen Texten schreibt, und eben die Young Fathers, die eine eigenwillige Mischung aus Hip-Hop und Industrial Pop machen.

Popmusik im Theater, das ist natürlich keine Erfindung der Kammerspiele oder von Christoph Gurk. Bereits im Jahr 2000 organisierte er an der Berliner Volksbühne Musikprojekte, Theaterstücke, für die Musiker Musik komponierten. Auch am Residenztheater, dem Volkstheater und den Kammerspielen fanden und finden immer wieder Popkonzerte statt, mehr oder weniger inhaltlich eingebunden. Ein derart durchdachtes Konzept und eine Expertise wie die von Christoph Gurk aber hebt das Thema Pop am Theater auf eine neue Ebene. Gurk war jahrelang Musikjournalist, unter anderem Chefredakteur der Musikzeitschrift Spex, bevor er ans Theater wechselte. Von seinem Wissen und den Kontakten aus der Zeit profitiert er bis heute.

Heiße Rhythmen, dass die Bude wackelt: Die "Young Fathers" brachten die Zuschauer zum Tanzen. (Foto: dpa)

Popkonzerte im Theater haben immer eine besondere Atmosphäre. Eine zauberhaftere, um es einmal zu pauschalisieren. Denn ein Raum wie die Kammerspiele gewährt der Musik eine gewisse Andacht und Aufmerksamkeit, die in größeren Hallen kaum möglich ist. Auf der anderen Seite wird das Elitäre eines Theaterraums gebrochen, wenn, wie eben bei den Young Fathers, 700 Menschen feiern. Raum und Musik beeinflussen einander unweigerlich. Theater wird Teil des Pop, Pop wird Teil der sogenannten Hochkultur. Aufspringen und Mitsingen inklusive.

Christoph Gurk hat genaue Vorstellungen davon, welche Musiker er gern in den Kammerspielen haben würde und warum: "Die Young Fathers passen gut zu dem, was wir wollen. Die Band besteht aus Geflüchteten. Da konnten wir elegant die Tatsache im Eröffnungsabend platzieren, dass uns die Thematik wichtig ist." Vor dem Konzert hatte "Der Kaufmann von Venedig" Premiere, ein Stück, in dem es um Diskriminierung geht. Die Young Fathers traten dann im Bühnenbild der Inszenierung auf. "Wir wollten damit gleich am ersten Abend klarmachen, dass unsere Bühne allen möglichen Menschen zur Verfügung steht. Wir wollen nicht nur den klassischen weißen, mittelalten, heterosexuellen Zuschauer." Es gehört auch zum Selbstverständnis der Kammerspiele, sich neue Zuschauergruppen erobern zu wollen, warum also nicht auch über Pop? Popkultur sei immer eher Teil der Massenkultur gewesen und nicht der sogenannten Hochkultur: "Im Pop besteht eine höhere Chance, dass nicht nur wieder die üblichen Verdächtigen auf unseren Bühnen stehen", sagt Gurk. Das Programm der nächsten Monate ist schon fast komplett eingetütet: Bianca Casady, eine Hälfte der Band Coco Rosie, tritt am 18. November auf, Andreas Spechtl, Sänger von Ja, Panik, spielt seine Soloplatte "Sleep", passend zur dann laufenden Produktion der Oper "La Sonnambula". Die Tindersticks und Pantha du Prince kommen.

Gelegentlich wird Christoph Gurk mit dem Vorwurf konfrontiert, Theater würden als öffentlich geförderte Institutionen Steuergelder einsetzen, um Popstars zu bezahlen. Vielleicht sogar besser zu bezahlen, als es manch privatem Veranstalter möglich wäre. "Wenn ich das Gefühl habe, es ist eine Veranstaltung, die auch unter den Bedingungen des freien Marktes in München stattfinden könnte, ich sie aber gern in den Kammerspielen hätte, weil sie da gut in den von uns behaupteten inhaltlichen Kontexte passt, versuche ich, eine Gage auszuhandeln, die so angelegt ist, dass die Veranstaltungskosten tatsächlich durch die Eintritte wieder eingespielt werden", sagt er dazu. Von Subventionierung spricht er nur, wenn es sich um Musiker handelt, die er für unverzichtbar hält, für die es außerhalb der Kammerspiele aber keinen Markt gibt. Der Wettbewerb mit anderen, an ähnlichen Künstlern interessierten Veranstaltern solle fair bleiben.

Die Galerie der Kammerspiele hielt dem Klanggewitter stand. (Foto: Andreas Heddergott)

Dadurch allerdings, dass immer mehr Projekte der freien Szene und aus dem Pop am mit öffentlichen Geldern geförderten Theater stattfinden, vermischen sich frei finanzierte Kunst und staatlich geförderte kulturelle Einrichtungen. So wird das deutsche Subventionssystem bis zu einem gewissen Grad unterlaufen. Denn das fördert ja nur bestimmte Häuser und deren Ensembles. Wenn dieses Prinzip immer weiter aufgeweicht wird, könnte sich die Kulturpolitik veranlasst sehen, nach Modifizierungen zu suchen.

Christoph Gurk sieht es auch als seine Aufgabe, die Popkultur vor den Gesetzen des freien Marktes zu schützen, denen sie weitgehend unterliegt. "Normale" Konzertveranstalter müssen über Eintrittspreise und Brauerei-Deals die Kosten wieder reinholen und Gewinn machen. "Ich finde, dass es öffentliche Räume geben muss, in denen die Musik die Hauptrolle spielt und in einem Rahmen präsentiert wird, in dem eben keine Gläser klappern und kein Bier verkauft wird. In dem man sich 90 Minuten lang hinsetzt, hinstellt, um das Konzert als etwas wahrzunehmen, das eine Bedeutung hat. Und nicht nur als Unterhaltung."

Davon abgesehen sei das Theater längst ein von Musikern geschätzter Arbeitgeber. Ob als Songschreiber für Produktionen oder musikalische Begleiter. Der Künstler Schorsch Kamerun ist ein gutes Beispiel, er ist sowohl Mitglied der Goldenen Zitronen als auch ein ernst zu nehmender Theatermann. Und am Residenztheater hat sich der Singer-Songwriter Ian Fisher als Shakespeare-Sonette-singender Narr sein ganz eigenes Publikum erobert, woraufhin er mit seiner Band Junior später auch ein Konzert im Marstall spielen durfte. In Zeiten der Grenzverwischung einzelner Genres kann so ein spannendes Zusammenspiel entstehen, von dem sowohl das Theater als auch die Popkultur profitiert.

© SZ vom 13.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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