Kulturreport:Künstler, Bastler, Visionäre

Die Performance "Püree Linie" spürt dem Leben auf dem ehemaligen Pfanni-Gelände nach

Von Christian Jooß-Bernau

Technisch und kaufmännisch funktioniert das", sagt Detlef über die Werkstatt. Mit 87 Euro Mietanteil ist man dabei, ob Schreiner oder Hausfrau. Es riecht nach frisch gesägtem Holz. Der Gemeinsinn zählt in diesem zwischengenutzten Provisorium, das gemeinschaftlich betrieben wird. "Nur das Menschliche, das bleibt", seufzt Detlef und will damit wohl sehr höflich andeuten, dass sich nicht immer auch jeder so für die Werkstatt verantwortlich fühlt, wie er das sollte. Demnächst wird sowieso alles abgerissen. Aber Detlef hat Pläne. Er will in Container im Eingangsbereich umziehen und dort eine "Zukunftswerkstatt" aufmachen. 1985 hat er angefangen, Solarmobile zu bauen, jetzt will er wieder weiter an einer besseren Welt basteln. Und nun muss er auch die Kartoffeln gießen, die am Eingang des Werksviertels schon zart in Hochbeeten sprießen. Mit Kartoffeln hat alles angefangen - auch bei dieser "Püree-Linie" wie sich der Performance-Parcours nannte, der am Samstag das Atelier-Gebäude, die Whitebox im Werksviertel eröffnete. Büro Milk heißt das junge Künstlerkollektiv, das den Parcours inszeniert hat.

Gleich hinter dem Ostbahnhof. Auf dem alten Pfanni-Gelände. Da wo der Kunstpark Ost 2003 zur Kultfabrik wurde, soll Neues entstehen. Leben, Wohnen und Kultur könnten sich dort zu einem neuen Stadtviertelgefühl formen. Es ist einige Zeit her, dass der Toni Huber mit seinem Vater hier die Kartoffeln abgeliefert hat, die auf ihrem Bauernhof in Finsing wuchsen. Ob der Toni Huber wirklich so heißt, weiß man nicht, aber es könnte gut sein. Er ist die erste Station des Performance-Parcours, der nach kulturellem Klimmzug klingt, aber doch angenehm einfach darauf vertraut, dass Menschen ihre Geschichte zu diesem Gelände erzählen - in ihren Worten, mit ihrem Stocken und Suchen.

Nur am Ende, im großen Raum der Whitebox, wird dann nicht mehr erzählt. Gegenüber soll Münchens neuer Konzertsaal gebaut werden. Die beiden BR-Symphoniker, Klarinettist Werner Mittelbach und Kontrabassist Teja Andresen, spielen kleine Stücke von Paul Hindemith. In den Videos, projiziert an die Wände, explodiert ein Einkaufswagen, wabern Aliens, laufen Zahlenspiele, grienen Totenköpfe. Am 3. Juni gibt es hier ein Eröffnungskonzert mit dem O/Modernt Kammerorkestar und dem Violinisten Hugo Ticciati und der Perkussionistin Evelyn Glennie.

21 Künstler sind in die Ateliers rund um den großen Raum der Whitebox schon gezogen. 11 Euro warm kostet der Quadratmeter. "Zweites Obergeschoss, Türe öffnet", spricht der Aufzug, der noch provisorisch mit Bauholz verschalt ist. Alle Disziplinen sollen vertreten sein, man achte auf ein internationales Profil sagt die Geschäftsführerin und künstlerische Gesamtleiterin Martina Taubenberger. Das ist schon nicht mehr Teil der Performance. Es ist ein eigenartiges Gefühl, über dieses Gelände zu laufen, mit dem fast jeder in einem bestimmten Alter so seine Erinnerungen verbindet, die etwas mit Neonlicht und nichts mit Sonne zu tun haben. Am Samstag geht es vorbei an Dämmmaterial, Bauschutt, Schubkarren über Schotter, Asphalt und Baubretter. Im Schlagergarten wartet die Hausmeisterin Bea aus Bosnien. Mit der Baustelle, das sei nicht so einfach, sagt sie. Schmutzig und laut. Aber wer hier arbeitet, sei Teil einer Familie. Dann singt Bea ein bosnisches Lied. "Diese Gelände hat einen ziemlich schlechten Ruf früher gehabt", findet Alexis, der in der ehemaligen Reparaturwerkstatt für die Pfanni-Maschinen als Musiklehrer den Rhythmus vermittelt. Und wie man noch überlegt, ob das Billige, Fetenrauschhafte, Absturzgefährdete, was man im Kunstpark so erlebt hat, nicht doch schön schlecht war, schiebt Alexis nach: "Vielleicht wird es etwas steriler als früher."

Der Sprayer Loomit arbeitet hier seit 20 Jahren, hat auch jetzt ein Atelier bekommen, sprüht ein wenig an einer Wand herum und weist auf den alten Schwemmkanal hin, in dem einst die Kartoffeln gewaschen wurden. In der Nachtkantine, in der damals die Pfanni-Mitarbeiter zu Mittag aßen, trifft man Nancy, die Bedienung, die auch schon in der Tabledance-Bar ums Eck gearbeitet hat und beeindruckend tätowiert wie die Personifikation des Nachtlebens aussieht. Dringend hinweisen will sie auf die Großpackung Pfanni-Püree, mit der man hier immer noch koche. Bürgerliche Küche in der Partyzone.

Blickt man aus dem Fenster des Ateliers von Heinz Burghard, der über den Dächern Pop-Art malt, wie man sie schon eine Weile untergegangen glaubte, öffnet sich der Performance-Parcours zum Panorama. Gegenüber, linkerhand wuchtet sich der orange Betonriegel ins Bild, in dem die Whitebox nun zu Hause ist. Unter dem Fenster liegt die vertraute Barackenlandschaft, von denen manche schon eingerissen und tot ihre hölzernen Dachrippen in die Luft strecken. Burghard träumt von seiner Vergangenheit, von New York, von der Warhol-Clique. Die Eröffnungsperformance zeigt auf charmante Art, dass es doch darauf ankommt, dass in dieser teuren Stadt hier auch in Zukunft, Künstler, Bastler, Visionäre und Spinner ihr Ding machen können.

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