Kulturpolitik:Schaumgeboren

Kulturpolitik: Die historische Zitadelle ist das Wahrzeichen der kleinen zyprischen Hafenstadt Paphos, dem Geburtsort der Venus.

Die historische Zitadelle ist das Wahrzeichen der kleinen zyprischen Hafenstadt Paphos, dem Geburtsort der Venus.

(Foto: mauritius images/imageBROKER/AnnaReinert)

Warum das kleine Paphos auf Zypern und nicht Nikosia europäische Kulturhauptstadt 2017 geworden ist

Von Christiane Schlötzer

In Paphos, einem Hafenstädtchen an der Südküste Zyperns, liegt ein dänischer König begraben. Erik I. war auf Pilgerfahrt nach Jerusalem, fing sich in Konstantinopel eine böse Krankheit ein, setzte aber seine Seereise fort und beendete sein Leben in Paphos, wo die Küste des Heiligen Landes zum Greifen nah zu sein scheint. 1103 war das, es ist also eine sehr alte Geschichte. Nun kann man eine neue schreiben, die zwischen Zypern und Dänemark spielt: Paphos und Aarhus sind die Europäischen Kulturhauptstädte 2017. Der Titel wird seit 1985 als wandernde Trophäe vergeben, seit zehn Jahren stets doppelt, um Staaten, die noch nicht so lange in der EU sind, rascher eine Chance auf das Kultursiegel zu geben, das sich gewöhnlich auch touristisch gut vermarkten lässt.

Paphos galt unter den zyprischen Bewerbern um den Titel als der absolute Außenseiter

Zypern, der südöstlichste Ausläufer der EU, ist erstmals an der Reihe, und Paphos, mit nur 33 000 Einwohnern und maximaler Entfernung von der Inselhauptstadt Nikosia, galt selbst unter den drei zyprischen Bewerbern vor fünf Jahren, als die Entscheidung anstand, als der absolute Außenseiter. Nikosia hatte ebenfalls mitgeboten, und die Hafenmetropole Limassol, die zweitgrößte Stadt der Insel.

Nikosia ist die letzte geteilte Hauptstadt Europas. Jenseits eines Stacheldrahtverhaus, der sich durchs Zentrum zieht, liegt die Türkische Republik Nordzypern, anerkannt als Staat allein von der Türkei, die dort seit 1974 eine massive Truppenpräsenz unterhält. Die türkische Invasion folgte damals auf einen kurzen griechischen Putsch. Die Trennlinie wird von den UN bewacht und ist passierbar, geschossen wird hier schon lange nicht mehr, aber alle Versuche, die Insel wieder zu vereinen, sind gescheitert. Gerade gibt es neue Bemühungen, mit ungewissem Ausgang. Kultur unter solch komplizierten politischen Umständen entfaltet ihren eigenen Reiz, denn Kultur kann auch verbinden.

Dass Nikosia nicht Kulturhauptstadt wurde, liegt womöglich daran, dass man hier schon einmal mit einem großen Kulturereignis grandios gescheitert ist. 2006 sollte die Manifesta, die europäische Biennale für zeitgenössische Kunst, in Nikosia stattfinden. Die Kuratoren hatten ein schönes bi-kommunales Konzept, sie planten das Ereignis zu beiden Seiten des trennenden Zauns, in der auch mit EU-Geld sorgfältig restaurierten Altstadt. Dabei übersahen sie das Paragrafen-Gestrüpp, das den Zypern-Konflikt überwuchert, wie das trockene Gras die tote Zone in der Stadtmitte. Das Fiasko nahm seinen Lauf. Griechisch-zyprische Offizielle führten an, Versicherungsfragen für Veranstaltungen im türkischen Norden seien nicht zu lösen und man sei generell nicht bereit, an den Checkpoints der Türken die Pässe vorzuzeigen, wie es die türkische Seite verlangte. Das Ganze musste abgesagt werden. Es ist gut möglich, dass man sich die Wiederholung solcher Peinlichkeiten bei der Kulturhauptstadt ersparen wollte.

Georgia Doetzer, die künstlerische Direktorin von Paphos 2017 drückt es positiv aus: "Paphos hatte das frischeste Konzept." Es war ein Konzept, entstanden aus dem Mangel, aus der Vernachlässigung einer Stadt am Rande, einer Stadt mit außerordentlichem archäologischem Reichtum, aber wenig spektakulärer künstlerischer Gegenwart. "Paphos war ein bisschen abgehängt von der kulturellen Entwicklung ", sagt Doetzer, 57, die lange ein renommiertes Theater in Limassol leitete und den Job in Paphos erst übernahm, nachdem schon zwei Vorgänger aufgeben hatten.

Geblieben aber ist die Ursprungsidee, mit dem Titel "Open-Air Factory". Statt in (nicht vorhandenen) festen Strukturen, findet das ganzjährige Festival im Freien statt. Unter den weiten, auch im Winter meist blauen Himmel passt alles: Performances, Fotografie und Film, Tanz, Umweltschutz, Mitmachkultur, Mythen und Musik - am 1. Mai treten die Berliner Philharmoniker auf. Eröffnet wird am letzten Januar-Wochenende mit "Pygmalion". In der zyprischen Version des Mythos' verliebt sich der Bildhauer Pygmalion in eine seiner Statuen, er liebkost die Kunstfigur wie eine Geliebte (kennt man heute aus virtuellen Welten), bis sie schließlich lebendig wird. Die beiden zeugen ein Kind, das den Namen Paphos erhält. Womit die Gründungsgeschichte der Stadt erzählt ist. Chöre und Tänzer aus ganz Zypern sollen diesen und andere Mythen wiederbeleben.

Die englisch-griechische Webseite (www.pafos2017.eu) verspricht übers ganze Jahr verteilt ein erstaunlich reichhaltiges Programm, wenn man das eher schmale Budget bedenkt. Paphos kam noch die zyprische Finanzkrise in die Quere. Das Budget schrumpfte von gut 20 Millionen auf 8,5 Millionen Euro. So muss viel improvisiert werden, rund um Starauftritte von Ute Lemper und Goran Bregovic.

Zum Glück gibt es das antike Erbe, Villen aus der Römerzeit mit prächtigen Bodenmosaiken, und die Totenstadt, in der das Leben in unterirdischen Atriumhäusern noch mal gelebt werden sollte. Paphos hat viele Herrscher gesehen, und alle haben etwas hinterlassen, was Zypern zur Kulturbrücke zwischen Europa, Afrika und Asien prädestiniert, wie es sich auch die Kuratoren wünschen. Türkisch-zyprische Künstler reisen auch an, aber man fährt nicht gemeinsam auf die andere Seite.

Und dann gibt es ja noch Aphrodite, die Göttin der Schönheit. Zypern ist ihre Insel und Paphos ihre Stadt. Hier wurde die Unvergleichliche, die wohl sogar orientalischen, also vorgriechischen Ursprungs ist, am längsten kultisch verehrt. Unweit von Paphos soll sie aus dem Meer gestiegen sein, schaumgeboren. Das interessiert gewöhnlich nur die Scharen von Touristen, die zu Füßen des Aphrodite-Felsens ehrfürchtig ins Wasser steigen, in der Hoffnung auf ein verjüngendes Bad. Im August soll dort direkt am Strand "Musik ohne Grenzen" erklingen, und wem es in zyprischen Hochsommernächten zu warm ist, der kann gleich baden gehen.

Zum Auftakt kommt aus Aarhus, wo schon am 21. Januar eröffnet wird, auch das Aarhus Jazz Orchestra. Die Musiker haben es schließlich einfacher als Erik I., die Distanz von 4000 Kilometern zu überwinden.

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