Kulturpolitik:Im völkischen Käfig

An diesem Donnerstag stimmt der Bundestag über das Kulturgutschutzgesetz ab. Die Folgen des Gesetzes könnten fatal sein. Es wird die Abwanderung von Kunst jedoch nicht stoppen, sondern fördern.

Von Willibald Sauerländer

Das Kulturschutzgesetz, über welches seit Monaten räsoniert und gestritten wird, soll am heutigen Donnerstag dem Parlament zur Beschlussfassung unterbreitet werden. In dem Gesetz, wie es derzeit geplant ist, liegen zwei hohe Rechtsgüter miteinander im Streit: der Respekt vor dem Privateigentum und der Schutz des Patrimoniums, der herausragenden künstlerischen und kulturgeschichtlichen Zeugnisse auf dem Territorium unserer Republik, die vor einer grenzüberschreitenden Veräußerung bewahrt werden sollen. Angesichts dieses Widerstreits zwischen dem Recht auf freie Verfügung über das Privateigentum und der Sorge um das Patrimonium scheint es geboten, noch einmal über die sachlich wie demokratisch fragwürdige Exposition des Gesetzentwurfs nachzudenken.

Die Regelungen, welche der Gesetzentwurf vorsieht, berühren sich mit einem anderen hohen Verfassungsgut: der Freiheit der Kunst. Sie ist universal und wird durch die Einschränkung auf den Begriff eines "nationalen Kulturgutes", das "dauerhaft inhaltsprägend für die nationale Kultur ist", wie es im strammsten philiströsen Behördendeutsch tönt, empfindlich einschränkt. Um nur an ein Beispiel zu erinnern: Jene beiden Werke Andy Warhols der nordrhein-westfälischen Spielbank Westspiel, deren Veräußerung ins "Ausland" angeblich ein Anstoß für das geplante Gesetz gewesen ist, waren ästhetisch und kunsthistorisch gewiss äußerst wertvoll, aber waren sie ein nationales Kulturgut, das unbedingt innerhalb der Grenzen der Bundesrepublik festgehalten werden musste?

300 000 Euro für Gemälde, 50 000 für Zeichnungen? Was haben Preise mit ästhetischem Wert zu tun?

Wohl kaum. Die moderne, die aktuelle Kunst agiert längst global, der Versuch, sie sozusagen "völkisch" einzukäfigen, erinnert an Zeiten, in denen die Frage "Was ist deutsch an der deutschen Kunst?" den ästhetischen Diskurs beherrschte. Die Werke der größten deutschen Künstler der Gegenwart, Georg Baselitz, Anselm Kiefer und Gerhard Richter, hängen längst in den bedeutendsten Museen der Welt und gehören, wenn es denn schon national zugehen soll, zu unserem kulturellen Ruhm. Sie sind Zeugnisse einer globalen Freiheit der Kunst.

Doch auch für den Umgang mit älterer Kunst, mit alten Gemälden, Skulpturen, Zeichnungen und Objekten des Kunstgewerbes bedroht die behördliche Regelungswut der Gesetzesnovelle produktive Freiheiten. Der Kunsthandel exportiert ja nicht nur, sondern bringt auch manche schönen Dinge ins Land, die dann in die Hände von örtlichen Sammlern und Liebhabern übergehen. Die Sphäre, in der diese sich produktiv bewegen, ist ein weltweiter Kreis von Kennern.

Ist es sinnvoll, ist es vernünftig und demokratisch, für die Veräußerungen von Objekten ins "Ausland" Meldepflicht einzuführen und dafür wie bei einer Steuerbehörde Preisgrenzen festzulegen: 300 000 Euro für die Gemälde, 100 000 für Skulpturen, 50 000 für Zeichnungen? Das sind die Zahlen, die man zu hören bekommt. Jeder, der nur die geringste Kenntnis von Auktionen und Messen hat, weiß, dass die Preise für Kunstwerke, auch für die älteren Werke, ständig in Bewegung sind, ständig sinken und steigen. Das ästhetische Urteil und der Geschmack lassen sich nun einmal nicht schablonieren.

Doch halten wir inne und kehren um. Die Hut des Patrimoniums ist ein Nobile Officium des zivilisierten Staates. Seine Ausübung aber muss mit dem anderen hohen Gut, der Freiheit des Privateigentums, sensibel abgeglichen werden. Wir haben in der Bundesrepublik eine lange und grundsätzlich gute Erfahrung mit der Aufstellung von Listen von Objekten, Spitzenstücken des Patrimoniums, deren grenzüberschreitende Veräußerung genehmigt oder untersagt werden kann.

Ein Vorkaufsrecht nach britischem Vorbild würde wenigstens das Privateigentum respektieren

Aber an dieser Stelle kommt wieder der Respekt vor dem Privateigentum ins Spiel, dessen Besitzern man nicht Wertabschreibungen zumuten kann wie beim Verfall einer Aktie. Hier sollte man sich, wie schon öfter vorgeschlagen, an ein in Großbritannien seit Langem praktiziertes Verfahren halten. Soll ein Spitzenstück des Patrimoniums ins Ausland veräußert werden, erlässt der Staat zunächst eine Ausfuhrsperre von einem halben oder ganzen Jahr. In dieser Zeit haben inländische Interessenten - Museen oder Sammler - die bevorzugte Möglichkeit, das Spitzenstück im Lande zu halten, müssen allerdings dafür den Preis entrichten, welcher auf dem internationalen Markt zu erzielen wäre. Sind sie dazu nicht bereit oder in der Lage, wird nach Ablauf der Sperrzeit die grenzüberschreitende Veräußerung freigegeben.

Das wäre eine Lösung, die sowohl das Privateigentum respektiert wie die Spitzenstücke des Patrimoniums im Lande zu halten sucht, ohne dessen Eigentümer auf behördlichem Wege kalt zu enteignen. Das wäre die Regelung, wie sie einem demokratischen Kulturstaat anstünde, die Freiheit des Handels wie das Bewahrens achtete. Belässt man es bei dem jetzigen Gesetzentwurf, so wird man eine andere Abwanderung ins Ausland fördern: Sammler werden das Land verlassen, Kunsthändler abziehen. Die Deutschen wären endlich allein mit dem "Kulturgut, das dauerhaft inhaltsprägend für die nationale Kultur gewesen ist".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: