Kulturpolitik:Fehler im System

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Die Bayer AG knöpft dem Staat und den Stiftungen Millionen Euro ab, damit die berühmte "Mars"-Statue von Giambologna als nationales Kulturgut wieder nach Dresden gehen kann. Bei diesem Debakel hat jede der beteiligten Instanzen versagt.

Von Jörg Häntzschel

Was "national wertvolles Kulturgut" ist, das hat noch vor Jahren wenige interessiert. Das änderte sich, als Kulturstaatsministerin Monika Grütters die Verschärfung des Kulturgutschutzgesetzes zu einem ihrer großen Projekte gemacht hat. Der Streit darum beschäftigt die Kunstwelt bis heute. Doch selbst die schärfsten Kritiker jener Idee, eine kulturelle Identität müsse vor den Fängen des Markts verteidigt werden, sind sich einig, dass Giambolognas Dresdener "Mars" aus der Kunstsammlung der Bayer AG in die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden gehört, wo er bis 1924 stand. Auch Laien erkennen die Qualität dieser Bronzestatue. Wer dennoch an ihrer Besonderheit zweifelt, den überzeugt seine Geschichte: Der Renaissancekünstler schenkte sie dem sächsischen Kurfürsten persönlich.

Auf öffentlichen Druck hin hat sich die Bayer AG vorletzte Woche erweichen lassen, das Stück zwei Tage vor der Auktion bei Sotheby's zurückzuziehen und es stattdessen an die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden zu verkaufen. Und doch kommt keine Freude auf. Um den Preis von rund fünf Millionen Euro zu bezahlen, greifen Kulturstaatsministerium, das Land Sachsen, die Kulturstiftung der Länder und die Ernst-von-Siemens-Kulturstiftung tief in ihre Töpfe - und natürlich die Dresdener Museen selbst, die dafür ihren Ankaufsetat bis zum Jahr 2020 erschöpfen. Monika Grütters hat ihrem Ärger in einem Brief an den Bayer-Chef Werner Baumann nun noch einmal Luft gemacht. Schon vor der Absage der Auktion hatte sie Bayer angeschossen: Bayer "sollte sich wirklich schämen, dass sie ein national wichtiges Kunstwerk zum Höchstpreis" versteigere.

Doch so richtig die Schelte ist, so seltsam klingt sie aus dem Mund der Staatsministerin. Nicht nur weil es schließlich um das Eigentum einer privaten Firma geht. Sondern auch, weil Grütters sich nicht nur um die Rettung des Giambologna verdient gemacht hat, sondern auch an dessen Beinahe-Verlust eine Mitverantwortung trägt. Jede Instanz hat bei diesem Debakel versagt. Die Firma Bayer selbst, die das Werk günstig oder als Dauerleihgabe an Dresden hätte geben sollen. Das nordrhein-westfälische Kultusministerium, das 2015 die Ausfuhrgenehmigung erteilte, obwohl die Begründung für den Antrag reichlich dubios war, und obwohl der Mars schon damals als Kulturgut hätte eingetragen werden sollen. Doch auch im Bundeskulturministerium hat man nicht aufgepasst, obwohl Sotheby's das Stück mit viel Pomp beworben hat. Noch eine Woche vor der Auktion erklärte ein Sprecher von Grütters der SZ, der Fall sei keineswegs eindeutig, man wolle sich dazu vorläufig nicht äußern.

Klar ist spätestens jetzt, dass das hastig durchgepeitschte Gesetz nicht genügt für den Kulturgutschutz. Privatfirmen brauchen offenbar noch Nachhilfe in kultureller Verantwortung. Die bürokratische Übergriffigkeit des Gesetzes löst sich auf in alter Schlamperei. Bund und Länder stimmen sich nicht ab. Vor allem aber fehlen eine Vision, eine Strategie und geordnete Verfahren für eine staatliche Ankaufspolitik. In letzter Minute Geld zusammenzukratzen - das kann es nicht sein.

© SZ vom 14.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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