Kulturgeschichte:Wenn die beste Freundin mit der besten Freundin

Lange Zeit wurden sie übersehen, nun erzählen die Schriftstellerinnen Marilyn Yalom und Theresa Donovan Brown von Frauenfreundschaften im Laufe der Jahrhunderte.

Von Michaela Metz

Freundschaft macht keine Schmetterlinge im Bauch wie es die Liebe tut. Sie ist weniger glamourös, sie lässt uns nicht fliegen. Aber sie trägt uns. Doch in den ersten 2000 Jahren der Geschichte des Abendlandes wurden überwiegend Männerfreundschaften dokumentiert, von Männern für Männer. Frauen traute man die nötige emotionale Tiefe nicht zu. Oder wie der Philosoph Michel de Montaigne es im 16. Jahrhundert formulierte, besitzt "das schöne Geschlecht gewöhnlicherweise nicht hinlänglich Stoff zur Unterhaltung". Das weibliche Pendant zu den heroischen Freundschaften zwischen Roland und Olivier im Rolandslied, Achill und Patroklos in Homers Ilias, oder Gilgamesch und Enkidu in der babylonischen Geschichte gibt es nicht.

Und so steigen auch Marilyn Yalom, die an der Stanford University über Genderfragen forscht und Theresa Donovan Brown in ihrer Kulturgeschichte der Freundinnen (im Original: "The Social Sex") auch erst einmal mit der Männerfreundschaft ein.

Um 1109 tauchen Briefe von Hildegard von Bingen auf, auf Lateinisch geschrieben, die mehrere enge Freundschaften mit anderen Frauen bezeugen. Es sind dies zunächst Nonnen, die im Schutzraum des Klosters Freundschaften pflegen und, da sie des Schreibens mächtig sind, auch dokumentieren. Doch die Furcht vor gebildeten Frauen war schon im 13. und 14. Jahrhundert groß. Außerhalb des Klosters wurde die Geschichte der Freundschaft weiterhin von Männern geschrieben.

Im England des 16. Jahrhunderts wurde das Wort "gossip" ein üblicher Begriff für eine Freundin. Shakespeare thematisierte Frauenfreundschaften quer durch alle Schichten. Seine Protagonistinnen unterstützen sich gegenseitig im Kampf gegen törichte Männer, gegen Missverständnisse und Gewalt. In "Heinrich IV." etwa, schickt Falstaff, dieser aufgedunsene, betrunkene Schurke zwei Freundinnen die gleiche Liebesbotschaft - die diese einander selbstverständlich zeigen.

Die literarischen Salons in Frankreich waren Vorläufer aller späteren Frauenvereine

Im 17. Jahrhundert bringt die große französische Entourage um Henrietta Maria, die Schwester des französischen Königs Ludwig XIII., den Kult der platonischen Liebe nach England. Ihre Kammerzofen pflegen ein Freundschaftsmodell, um das ihre Standesgenossinnen sie beneiden. Literarische Zirkel und Salons etablieren sich in Paris und London. "Man könnte sogar behaupten, dass französische literarische Salons die Vorläufer aller Frauenvereine waren", schreibt Yalom. In Paris nennen sich Freundinnen nun "Précieuses". Doch Molière überschüttet die "kostbaren Freundinnen" in seinem Theaterstück "Les Précieuses ridicules" mit Spott, äfft ihre affektierte Sprache nach. Sie nennen den Mond "Fackel der Stille", die Zunge "Übersetzerin der Seele" und sprechen von den "Töchtern von Kummer und Freude" wenn Tränen fließen. Doch "amitié", so wie sie die Précieuses feiern, als ein Miteinander gleichgesinnter Seelen, fast wie ein "protofeministisches Vorhaben", verhinderte Molière damit nicht.

Um 1800 werden die Freundschaften unter Frauen intimer. Sie gehören fest zum weiblichen Alltag, zumindest in den höheren Gesellschaftsschichten. Freundschaft wird zunehmend als ein weibliches Phänomen angesehen. "Man kann sogar behaupten, dass der Freundschaftsbegriff besonders in der angloamerikanischen Welt feminisiert wurde", schreibt Yalom. Frauen korrespondieren leidenschaftlich miteinander, sprechen sich mit Liebste, Liebling oder Schatz an. Freundschaft steht nun für emotionale Vertrautheit. Mit der Romantik und Goethes Werther prägen Tränenströme, Seufzer und Poetik den Ton auch unter Freundinnen.

Freundschaften sind immer Ausdruck ihrer Zeit und werden so gelebt, wie es dem Zeitgeist entspricht. Es gibt Fortschritte und Rückschritte, doch immer sind sie ein Spiegel der Gesellschaft. Ob mit der Arbeiterbewegung, wo Freundschaften oft soziale Schicksalsgemeinschaften sind, in der bürgerlichen Frauenbewegung, dem Kampf der Afroamerikanerinnen gegen Rassismus oder im 19. Jahrhundert mit dem Begriff der "neuen Frau". Die lebt in der Stadt, ist gebildet, berufstätig und erstmals relativ frei. Bis ins späte 20. Jahrhundert, wo sich Frauen unter dem Banner der "Sisterhood" versammeln. Die Geschichte der Freundinnen folgt immer dem Kampf um die Rechte der Frau, die Möglichkeit, selbstbestimmt zu leben.

"Würde ich 500 SMS pro Woche gegen ein wöchentliches Treffen eintauschen?"

Frauen werden noch heute auch als heimtückische Rivalinnen porträtiert. Zu dieser Einschätzung trugt das Kino bei, als es die Freundinnen als Sujet entdeckte. 1985 machte die Verfilmung des Romans "Die Farbe Lila" Frauenfreundschaften zu einem Thema, das sich nicht mehr ignorieren ließ. Es folgen zahllose Romane, Filme wie "Thelma und Louise" (1991) oder "Volver" (2006), TV-Serien wie "Sex and the City" oder "Grey's Anatomy" und zuletzt eine Flut von Youtube-Videos.

Überhaupt die sozialen Netzwerke. Sie haben Freundschaften von Männern und Frauen radikal verändert. Sie machen Freundschaft effizienter ("Würde ich 500 SMS pro Woche gegen ein wöchentliches Treffen eintauschen? Bestimmt nicht, weil das ohnehin nicht zustande käme.") Unterliegt nun auch die Freundschaft den Gesetzen des Konsums? Etwa mit dem Online-Service "Rent a friend", wo man (oder Frau) einen Kumpel für Kino, Fitness oder Ausflüge mieten kann. Auch ältere Frauen erleben Freundschaft neu, gründen WGs oder ziehen in Mehrgenerationenhäuser.

Marilyn Yalom will Freundinnen auf eine neue Art betrachten. Sie untersucht das Thema in dieser detaillierten Kulturgeschichte mit Blick auf die verschiedenen Milieus: "von beinahe unsichtbar bis hin zu fast ikonischer Bedeutung." Sie liefert einen spannenden geschichtlichen Abriss mit zahlreichen Beispielen. Das ist historisch interessant, doch gelingt ihr dabei nicht der wünschenswerte frische Blick in die Zukunft, ein luzides Fazit all dieser wunderbaren Frauenfreundschaften der vergangenen 2000 Jahre. Was macht Freundinnen heute, im 21 Jahrhundert wirklich aus? Wie gelingt es Frauen heute, sich verbunden zu fühlen? Am Ende findet man wenige überraschende Schlüsse: "Frauen kommunizieren viel über Facebook". Das ist nicht neu.

Marilyn Yalom, Theresa Donovan Brown: Freundinnen. Eine Kulturgeschichte. Aus dem Amerikanischen von Liselotte Prugger. btb Verlag, München 2017, 416 Seiten, 22 Euro. E-Book 17,99 Euro.

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