Kultur im Koalitionsvertrag:Und plötzlich ist auch von "Künstlerinnen" die Rede

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Ob Integration oder der Kampf gegen rechts: Der Koalitionsvertrag fasst den Kulturbegriff deutlich weiter als bisher. Auch die Me-Too-Debatte schlägt sich nieder.

Von Jörg Häntzschel

Dass der auswärtigen Kulturpolitik in Zukunft neue Aufgaben zufallen, ist bekannt: Sie soll Deutschland im "Wettbewerb der Narrative" mit Ländern wie China und Russland unterstützen, soll weltweit Demokratie, Menschenrechte und kulturelle Infrastruktur fördern und globale Debatten nach Deutschland tragen (SZ vom 5. Februar).

Doch auch im Inland wird die Kultur unter der großen Koalition, so sie denn kommt, eine größere Rolle spielen. Zwar konnte sich die SPD mit ihrem Wunsch nicht durchsetzen, Kultur als Staatsziel ins Grundgesetz aufzunehmen. Vergleicht man aber das Kapitel "Kunst, Kultur und Medien" im Koalitionsvertrag mit dem Text von 2013, sind die Unterschiede offenkundig. Damals war fast ausschließlich von Kulturinstitutionen die Rede, jetzt ist nicht nur die Kreativwirtschaft ins Kulturkapitel gewandert, auch gesellschaftliche Fragen werden dort verhandelt. Geschlechterkrieg, Integration oder Rechtsruck sind nun Angelegenheit der Kultur und sollen mit kulturellen Mitteln gelöst werden. Ein traditioneller ästhetischer Kulturbegriff wurde von einem sozialen und wirtschaftlichen abgelöst.

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Es ist der ursozialdemokratische Gedanke einer "Kultur für alle": So vielen Menschen wie möglich will man den Zugang zur Kultur eröffnen, auch fernab der Großstädte. Deshalb soll nicht nur im Humboldt-Forum in Berlin, sondern auch in anderen vom Bund geförderten Häusern "vermehrt und regelmäßig" der Eintritt frei sein.

Erstaunlich ist, wie unmittelbar sich die Debatten der letzten Jahre hier niedergeschlagen haben. Mit Verve - wenn auch ohne Quote - gibt die Koalition die Geschlechtergerechtigkeit als Ziel aus, bei der Besetzung von Jurys oder der Vergabe von Stipendien. Auch die "Me Too"-Debatte ist berücksichtigt: "Wir unterstützen Maßnahmen für ein diskriminierungs- und gewaltfreies Arbeitsumfeld für Künstlerinnen und Künstler." (Im bisherigen Koalitionsvertrag war übrigens noch ausschließlich von "Künstlern" die Rede.)

Auch die kürzlich erhobene Forderung, Schüler zum Besuch von KZ-Gedenkstätten zu verpflichten, hallt als Echo aus dem Vertrag: "Wir wollen vor allem jüngere Menschen dazu bewegen, Gedenkstätten zu besuchen", heißt es. Dazu wurde ein Programm "Jugend erinnert" aufgelegt. Andererseits will man außer nur dem Antisemitismus - wie noch 2013 - nun auch "antiislamischen Stimmungen entgegentreten".

Die Debatte um den Umgang mit dem Erbe des Kolonialismus hat ebenfalls ihren Niederschlag gefunden: Zum "demokratischen Grundkonsens" gehört nun nicht nur die "Aufarbeitung der NS-Terrorherrschaft und der SED-Diktatur", sondern erstmals auch die der "deutschen Kolonialgeschichte". Das Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste soll außer den Provenienzen von NS-Raubkunst auch die von Raubgut aus den Kolonien erforschen.

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Statt, wie seit dem Fall Gurlitt oft gefordert, eine Regelung für NS-Raubkunst in privaten Sammlungen einzuführen, bleibt es hier allerdings bei dem matten Appell an die Sammler, sich der "Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter nicht zu verschließen". Dem Kunsthandel, den Kulturstaatsministerin Monika Grütters mit dem Kulturgutschutzgesetz gegen sich aufgebracht hatte, wird nun ein Ölzweig gereicht. Man setze sich auf europäischer Ebene dafür ein, dass der 2014 abgeschaffte reduzierte Mehrwertsteuersatz für Kunstwerke wieder eingeführt werde.

Freuen darf sich auch eine Branche, die vom Kulturetat bisher nicht bedacht wurde: "Wir wollen seitens des Bundes eine Förderung von Games zur Entwicklung hochwertiger digitaler Spiele einführen, um den Entwicklerstandort Deutschland zu stärken."

© SZ vom 09.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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