Kultur:Im Griff der Sprache

Elke Schmitter, neue Kuratorin des Literaturfests, im Literaturhaus, im Saal, 3. OG

Bringt die Nobelpreisträgerinnen Swetlana Alexijewitsch und Herta Müller in München miteinander ins Gespräch: Kuratorin Elke Schmitter.

(Foto: Florian Peljak)

Die neue Literaturfest-Kuratorin Elke Schmitter über ihr Konzept

interview Von Antje Weber

Wer das Literaturfest besucht, dem soll es "schwindeln vor Erkenntnis", sagt die Schriftstellerin und Spiegel-Journalistin Elke Schmitter. Sie kuratiert das "Forum Autoren" des Literaturfests, das vom 10. bis 27. November stattfindet. Schmitter, 1961 in Krefeld geboren, studierte Philosophie an der LMU München. Sie hat unter anderem Gedichtbände und Romane veröffentlicht; am erfolgreichsten war bisher ihr Roman "Frau Sartoris" (2000), der in 17 Sprachen übersetzt wurde.

SZ: "Ein Wort gibt das andere" - und schon gibt es Streit. Diesen Aspekt Ihres Mottos haben Sie sicher bedacht?

Elke Schmitter: Ja, ein Wort gibt das andere, bis einer heult. . . Aber es ist auch eine poetische, schöne Wendung. Weil Sprechakte ja Sprechakte erzeugen: Ein Wort gibt wirklich das andere. Und ein Wort gibt auch "das Andere": Wenn zwei Menschen miteinander sprechen, in unterschiedlichen Sprachen oder aus unterschiedlichen Kulturen, dann gibt ein Wort wirklich jenes Andere, das man nicht erobern kann, das anders bleibt. Ich will auf das Ästhetische hinaus, aber auch auf das Denken. Der inhaltliche Aspekt interessiert mich bei Literatur ja so gar nicht.

Nein?

Wenn ich über ein Land etwas wissen will, lese ich eine gute Reportage - und keinen Roman. Ich finde, bei einem Literaturfestival geht es um ästhetische Erfahrungen und darum, dass man idealerweise schlauer oder ratloser rausgeht, als man reingegangen ist. Es geht um die Sprache und um das, was sie tut. Um die Bereiche, in denen wir denken, wir haben die Sprache im Griff - dabei hat sie uns im Griff.

Das klingt nach Wittgenstein: "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt"?

Daran hatte ich auch als Motto gedacht: Genau das steht erkenntnistheoretisch dahinter. Ich habe ja Philosophie studiert, und da war immer die große Frage: Gibt es Denken ohne Sprache? Wie kann man etwas sagen, was man nicht denken kann - was, so glaube ich, bei Poesie passiert? Aber auch: Was verstehe ich von dem, was gesagt wird? Natürlich sind das Fragen, die nie abschließend beantwortet werden können. Gleichzeitig sind wir heute auf einem anderen Stand: In den Neurowissenschaften wissen wir viel mehr, in der Ethnologie, auch über das Übersetzen.

Was interessiert Sie besonders?

Was ich mir wünsche, ist eine Selbsterfahrung, die jeder machen soll: dass man über das eigene Sprechen anders nachdenkt. Das wäre mir wichtiger, als einen speziellen Forschungsaspekt zum Gehirn kennenzulernen. Der eine hört vielleicht einem Neurobiologen wie Gerald Hüther zu, der zweite sieht einen ethnologischen Film über Sprachen, die sich gar nicht verschriftlichen lassen, weil der Anteil an Gestik so hoch ist - und denkt danach mit mehr Andacht über Schrift nach.

Es geht Ihnen auch um das Unmögliche der Kommunikation, das Scheitern?

Ja, von Stefan Weidner habe ich zum Beispiel einen fantastischen Vortrag gelesen, der sagt: Den Koran zu übersetzen, ist im Grunde nicht möglich, weil die gesamte arabische Literatur metaphorisch ist. Unser abendländisches Denken dagegen besteht aus Abgrenzungen, aus Festlegungen. Das ist doch Wahnsinn. Das geht so weit hinaus über triviale Vergleiche wie: Wir sagen "Heimweh", und die Amerikaner benutzen das als Lehnwort. . .

In welchen Formen wollen Sie Ihr Sprach-Thema präsentieren?

Ich denke zum Beispiel an Filmsequenzen oder Hör-Inseln der Ethnologin Mandana Seyfeddinipur, die in London an einem Archiv für gefährdete Sprachen forscht. Das würde ich gerne kombinieren mit einer Installation des Malers Haralampi Oroschakoff, der eine Art Archivar alter osmanischer Kulturen ist. Mit Judith Kuckart, die vom Tanz kommt und viel mit Blinden gearbeitet hat, möchte ich ein Theaterstück entwickeln. Ich versuche, so viel Anschauung wie möglich hineinzubringen.

Es gibt zum Beispiel eine "Bänkel"-Bar?

Ich bin viel in Osteuropa herumgereist, und da gibt es Gesangstechniken, die wir hier nicht haben: Kehlkopfgesang zum Beispiel. Das sind Töne, die gehen einem durch und durch. Die beruhen auf Sprache, es sind Volkslieder, Klagelieder. Ich würde so etwas gerne einbinden und Lyrik immer mit Musik abwechseln, damit keine weihevollen Lesungen entstehen. Auch mit dem Münchner Streichquartett Mesconia plane ich zum Beispiel einen Abend über Musik und Sprache.

Zwei prominente Gäste stehen bereits fest: die Nobelpreisträgerinnen Swetlana Alexijewitsch und Herta Müller.

Ja, ich dachte mir, die beiden müssten einmal miteinander über Sprache und Diktatur reden. Die beiden kennen sich noch nicht und freuen sich aufeinander.

Wenn wir schon Sprache analysieren: Ihr eigener erster Gedichtband 1982 hieß "Windschatten im Konjunktiv". . .

Ich würde heute einen Gedichtband nicht mehr so nennen. Aber der Konjunktiv ist schon eine interessante Form: Allein die Tatsache, dass andere Länder andere Tempi haben: mehr Vergangenheitsformen, keinen zweiten Konjunktiv. Wie denkt man das Irreale, wenn man diese Sprachform gar nicht hat - ist das nicht sagenhaft? Darüber möchte ich sprechen.

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